Radfahren mal anders Im Liegen auf große Tour
22.07.2010, 12:03 Uhr
Sie schnell und bequem: Liegeräder führen dennoch ein Dasein am Rande.
Die Funktionäre des Weltradsportverbandes UCI hatten schon immer eine genaue Vorstellung, welches Design ein Fahrrad haben darf. Entspricht es nicht ihren Vorschriften, existiert diese Gattung einfach nicht und wird zu keinem offiziellen Wettbewerb zugelassen. In ihren Augen sind daher nur Räder mit dem klassischen Diamantrahmen "richtige Räder". Die Freunde der Liegeräder können mit diesem Bannstrahl offensichtlich gut leben, denn die mitunter exotisch wirkenden Modelle erfreuen sich einer treuen Fangemeinde.
Begonnen hat die Geschichte des "Radfahrens im Liegen" bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als in Frankreich das "Fauteuil-Velociped" (Sofa-Fahrrad) auf die Straße rollte und sich deutlich von den damals noch verbreiteten Hochrädern abhob. Das revolutionäre Konzept, mit dem das Radfahren wesentlich komfortabler und vor allem auch schneller wurde, fand bald viele Nachahmer, wobei auch durchaus skurrile Konstruktionen wie ein amerikanisches Modell mit Ruderantrieb (vergeblich) auf Kunden hofften. Im Jahr 1933 schließlich wurde mit einem Liegerad der Stundenweltrekord auf 45,056 Kilometer geschraubt. Offensichtlich war das den strengen Herren der UCI zu viel, denn bereits ein Jahr später wurden die Modelle von allen Wettbewerben ausgeschlossen.
Geschwindigkeitsrekord mit Liegerad
Doch ganz ließen sich die Liegeräder nicht ausschalten, eine kleine Minderheit ging mit den flachen Rädern weiter auf Rekordjagd und mit entsprechend aufgerüsteten Geräten fiel auch bald die 100-km/h-Marke. Der absolute Geschwindigkeitsrekord für ein mit Muskelkraft angetriebenes Fahrzeug liegt inzwischen bei 132,5 km/h (über 200 Meter mit fliegendem Start) und wurde im September 2008 mit einem aerodynamisch verkleideten Liegerad erreicht. Dennoch hatten es die Liegeräder schwer, sich einen größeren Markt zu erschließen. Sie fahren auch heute noch in einer Nische.
Ihre Rückkehr auf die Straßen verdanken die Liegeräder nicht zuletzt dem wachsenden Umweltbewusstsein gegen Anfang der 1980er Jahre, als ökobewegte Zeitgenossen eine Alternative zum Automobil suchten, sich aber gleichzeitig von der Masse abheben wollten. Die damals angebotenen Standardräder waren in jenen Jahren noch ziemlich primitiv ausgerüstet und boten längst keinen vergleichbaren Komfort.
Einstellung ist wichtig
Der größte Vorteil der Liegeräder ist in der Tat die komfortable Sitzposition, wobei vor allem das sogenannte Sesselrad hervorsticht, in dem sich die Vorteile beider Radwelten (Standard- und Liegerad) vereinen. Der Fahrer sitzt bequem auf einer breiten Sitzfläche und stützt den Rücken an einer Lehne ab. Gegen Aufpreis liefern einige Hersteller auch Kopfstützen. Außerdem werden im Gegensatz zu den Rädern mit Diamantrahmen Arme, Schultern, Handgelenke und Rücken weitgehend entlastet, und der ausreichend hoch platzierte und verstellbare Sitz ermöglicht auch eine gute Übersicht im Verkehr.
Dank der Abstützung durch die Lehne ist ein kräftiger Tritt in die vorne unten platzierten Pedale möglich. Der kurze Radstand und die kleinen Laufräder machen diese Modelle zudem äußerst wendig. Allerdings müssen die Räder genau auf die Maße des Fahrers eingestellt sein, um schmerzende Gelenke zu vermeiden. Neben dem Sesselrad erreicht auch der sogenannte Kurzlieger eine hervorragende Alltagstauglichkeit. Bei diesem Typ befinden sich die Pedale noch vor dem Vorderrad, was am Anfang eine gewisse Gewöhnungsphase verlangt. Zwar muss man das Radfahren nicht neu erlernen, doch einige Proberunden auf einem Parkplatz bringen die notwendige Sicherheit.
Mehr Zuladung für die große Tour
Inzwischen haben auch Radtouristen die Liegeräder entdeckt. Vor allem die mit drei Laufrädern ausgerüsteten Modelle eignen sich hervorragend für die große Tour. Zum einen bieten die Räder eine größere Zuladung als die Diamant-Modelle und dank der aerodynamisch günstigeren Position lassen sich auch höhere Geschwindigkeiten erreichen.
Bei der Technik müssen die Liegeradfreunde keine Abstriche machen. Voll gefederte Fahrwerke, Scheibenbremsen, leichte Komponenten und auch Unterstützung durch einen Elektromotor gehören längst zum Angebot der Hersteller. Inzwischen gibt es sogar Faltmodelle, die sich auch im Bahnabteil transportieren lassen. Preislich sind die Liegeräder allerdings teurer als herkömmliche Fahrräder. Mindestens 1.500 Euro kostet das besondere Fahrvergnügen.
Quelle: ntv.de