Zwei Autoshows als Zukunfts-Orakel Wo die Musik spielt
New York – der Name der Metropole am Hudson River klingt immer noch nach Welthauptstadt. Gerade in diesen Tagen wird deutlich, wie fern der Realität solch naive Vergangenheitsverklärung ist. Das Wesentliche findet nicht mehr in "Big Apple" statt, sondern auf der anderen Seite des Globus. Greifbar wird dies an zwei Messen zum gleich Thema: Autos.
Fast zeitgleich stellt die Automobilindustrie in New York (noch bis 1. Mai) und Schanghai (noch bis 28. April) neue Produkte, Konzepte und Modelle aus. Die New York International Auto Show ist mit ihrem Gründungsjahr 1900 die älteste Fahrzeug-Präsentation auf dem amerikanischen Kontinent. Die bedeutendste war sie nie, die findet – obwohl wiederholt symbolisch beerdigt – noch immer in Detroit statt. Aber mit einer runden Million von Besuchern, die viel häufiger echte Kunden als Fachbesucher sind - übertrifft sie nicht nur die Messe in der Stadt der "großen Drei", sondern auch häufig andere Leitmessen wie Genf, Frankfurt oder Tokio.
Erst seit 1985 findet die Automobil-Show von Schanghai statt. Rund 100 Jahre Fahrzeug-Entwicklung fand also ohne sie statt und in den ersten Messen im Reich der Mitte wurde sie als eine Art Leistungsschau des chinesischen Copy-Shops eher belächelt. Jetzt ist es ernst geworden. Kein namhafter Hersteller kann es sich mehr leisten, auf der zur zentralen asiatischen Car-Show aufgestiegenen Messe nicht präsent zu sein. Auch für Nutzfahrzeuge und Zulieferer ist der Termin zu einer bedeutenden Kontaktbörse geworden.
Kopfzerbrechen in den Vorständen
Wie wichtig die Fachwelt die Messe in Schanghai nimmt, ist nicht zuletzt an der Zahl der Presse-Akkreditierungen zu erkennen. Diesmal waren es mehr als 7000 Journalisten, die für ihre Medien direkt von der Show berichten wollten. Diese Zahl wird nur noch übertroffen von der Menge der Berichterstatter, die jeden Januar ins winterlich-ungemütliche Detroit reisen.
Die erstmalige terminliche Überlappung der Messetage in Schanghai und New York sorgte in den Chefetagen mancher Konzerne für Kopfzerbrechen: Wohin die Vorstände und Marken-Repräsentanten schicken? Wo die spektakulärsten Konzeptstudien und Serienmodelle enthüllen? Volkswagen hat sich mit einer ebenso raffinierten wie aufwändigen Entscheidung der Sorge entledigt, irgendwo als nicht präsent wahrgenommen zu werden. Der neue Beetle wurde gleichzeitig auf drei Kontinenten, nämlich in Berlin, New York und Schanghai der Öffentlichkeit vorgestellt. Volkswagen verkauft schon längst mehr Autos in China als in Deutschland und möchte durch Produktion vor Ort den Status einer führenden Marke festigen.
Dass Daimler-Chef Dieter Zetsche schon 2009 Schanghai als Auftrittsort wählte, verwundert ebenso wenig. Seit Jahren werden nirgends auf der Welt so viele S-Klassen gekauft wie in China. Die Premiere einer neuen S-Klasse nach China zu verlegen, hatte deshalb auch niemanden mehr überrascht. Und, wie hatte der damalige Vertriebschef Klaus Meier schon bei der Vorstellung eines neuen Smart erklärte: In welchem Land wäre der Archetyp eines perfekten Stadtautos wohl "besser aufgehoben als hier, wo jeden Monat eine neue Stadt die Größe von New York erreicht".
New York bewusst gesucht
Wie die Gewichte sich verschoben haben, registrieren Wirtschaftsbeobachter nicht nur seit geraumer Zeit, sondern auch mit wachsendem Erstaunen. Die vor wenigen Tagen akuten Meldungen einer möglichen Haushaltssperre in den USA passen ausgezeichnet zu der Tatsache, dass das asiatische Milliarden-Volk mittlerweile der größte Gläubiger der Vereinigten Staaten ist. Schon trifft China Vorsorge für den Tag, an dem der Yüan zur gleichwertigen Weltwährung gegenüber dem Dollar wird. Dass dies nicht ohne Einfluss auf die Automobilbranche bleiben kann, liegt auf der Hand.
So sehr die Abkehr einzelner Hersteller vom Messeplatz New York die schwindende weltwirtschaftliche Bedeutung der USA symbolisieren mag, so einleuchtend können auch die Gründe anderer sein, Schanghai noch auf "Stand-By" zu halten. Jaguar etwa, sicher nicht mit dem Messebudget von Volkswagen oder Daimler gesegnet, entschied, die Vorstellung der Modelle des Jahrgangs 2012 in New York zu zelebrieren. Warum? Ein Bündel von Gründen kommt in Betracht. Erstens ist die Nachfrage nach Sport- und Luxusautos der englischen Marke in den USA noch höher als in China. Zweitens könnten die Neuigkeiten kleinerer Hersteller im Kirmes-Geklingel der asiatischen Mega-City in der medialen Wahrnehmung untergehen. Und drittens konkurriert Jaguar mit seinem Modell XF direkt mit den deutschen Premium-Mittelklässlern Audi A6, BMW 5er und Mercedes E-Klasse. Die haben von ihren Modellen jeweils eine der in China so geschätzten Langversionen im Angebot, Jaguar hat (noch) nichts Vergleichbares vorzuweisen.
Mit 18 Millionen verkauften Neufahrzeugen jährlich hat China die kränkelnden USA bereits als wichtigster Markt weit hinter sich gelassen. Auch in der Produktion hat das Land die einst führenden Autonation hinter sich gelassen. In Europa und dem Rest der Welt fällt das nur deshalb nicht sonderlich auf, weil die chinesischen Erzeugnisse fast vollständig von Heimatmarkt aufgesogen werden. Die Vokabeln Abschwung oder Krise haben in China einen komplett anderen Klang als in Europa, denn wenn die Wachstumsraten der Automobilbranche von mehr als 40 Prozent auf Mitt-Dreißiger-Werte fallen, ist das wohl kaum ein Niedergang zu nennen. Die europäischen Hersteller und auch General Motors (mit der Marke Buick) werden ihre Fertigungen in China ausbauen und weiter auf steigende Nachfrage setzen.
Dass terminliche Konflikte wie gegenwärtig den medialen Tanz ums goldene Auto auf beiden Hälften des Globus behindern, soll künftig vermieden werden. Vertreter der Messe-Organisationen aus New York und Schanghai haben sich mittlerweile in der neutralen Schweiz getroffen. Thema: Ausarbeitung einer Strategie für die nächsten Jahre zur Verhinderung von Überschneidungen.