Auffällig und dezent zugleich CL 63 AMG
14.10.2006, 13:59 UhrVon Axel F. Busse
Viele würden gern Mercedes fahren, können es sich aber nicht leisten. Ab einem bestimmten Einkommen kann man es sich wiederum kaum leisten, nicht Mercedes zu fahren. Damit treten neue Probleme auf: Wie sich unterscheiden vom Firmenlenker nebenan, der auch schon die neue S-Klasse vor der Doppelgarage hat?
Bei der Abwendung solcher Nöte hilft das Kürzel AMG. Die Mercedes-Veredler aus Affalterbach bieten ab sofort auch die S-Klasse und das neue Luxus-Coupé CL in optisch wie akustisch verschärfter Version an. Herzstück der Kraftentfaltung ist ein V8-Saugmotor, der analog zu den Hochdrehzahl-Aggregaten aus Ingolstadt und München auf Kompressor oder Turbo zur Leistungssteigerung verzichtet. Gleichzeitig kann sich der betuchte Kunde darüber freuen, den hubraumstärksten Pkw-Motor zu fahren, den Mercedes überhaupt im Angebot hat. Bei 7200 Umdrehungen beginnt der "rote Bereich", schon unterhalb der 7000er-Marke befördert die auf 6208 Kubikzentimeter aufgebohrte Maschine 525 PS an die Kurbelwelle. Und noch ein Wert zum schwindlig werden: Knapp oberhalb von 5000 Umdrehungen erreicht der Motor sein maximales Drehmoment mit 630 Newtonmetern.
Spaß durch Sportsitze
Gegenüber dem "zivilen" Achtzylinder, der sonst in S-und CL-Klasse Verwendung findet, sind das 137 PS und 100 Nm Drehmoment mehr. Beides kann man nicht sehen, weshalb AMG die beiden Luxusschlitten mit Front- und Heckschürze, Seitenschwellern, vier Auspuff-Endrohre und 19-Zoll-Rädern visuell aufrüstet. Die bekannte Mercedes-Innenarchitektur wird von AMG nicht nur durch eine quadratische Analog-Uhr der Schweizer Edelmarke IWC aufgewertet. Die Verwendung der so genannten Multikontursitze verspricht allerhöchsten Sitzkomfort. Sie haben aufblasbare Seitenpolster, die von Lenkeinschlag- und Giermoment-Sensoren gesteuert werden und so erstklassigen Halt auch bei rasanter Gangart liefern.
Über die sehr individuelle Einstellbarkeit und Bequemlichkeit hinaus vermitteln diese Sitze auch ein spezielles Fahrerlebnis, das Querbeschleunigung auf angenehme Art spürbar macht. Empfindungen dieser Art werden bei einem Auto dieser Leistungs- und Gewichtsklasse nämlich üblicherweise gnadenlos weggefiltert. Auch bei Mercedes verhindert die Active-Body-Control, dass die Physik allzu viel Einfluss auf die Karosse nimmt, Seitenneigung oder Wanken werden elektronisch ausgemerzt. Andererseits ist der schlanke Zweitonner – das Coupé wiegt fast so viel wie die S-Klasse mit kurzem Radstand – auch nicht gerade dafür prädestiniert, den Athleten zu geben. In der abgeschotteten Welt aus Leder und edlem Holz, von dicken Polstern, Verkleidungen und Scheiben umgeben, den Blick auf brillante Displays und funkelnde Metallknöpfe gerichtet, ist es naturgemäß schwer, das Gefühl zu entwickeln, in einem Sportwagen zu sitzen.
Der dynamische Sitz kann dieses Manko ausgleichen, pumpt sich, je nach Kurvenlage, abwechselnd auf, hält den Piloten stabil in aufrechter Position und macht nüchterne Leistungswerte erlebbar. Die sind objektiv beeindruckend: 4,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h, eine erreichbare Höchstgeschwindigkeit von mehr als 300 (die jedoch werksseitig erst durch Aufheben der elektronischen Sperre bei 250 Realität werden kann). Um die schiere Kraft effektiv an die Hinterräder zu befördern, kommt ein Siebengang-Getriebe zum Einsatz, das sich mittels Lenkrad-Paddel manuell schalten lässt. Freilich kann man im Automatikbetrieb in Situationen geraten, die beim schnöden Kickdown den Verdacht aufkommen lassen, fast drei Meter Radstand seien zu lang für eine spontane und unmittelbare Kraftübertragung an die Hinterachse. Aber nach der kurzen Verzögerung schnaubt der V 8 gewaltig auf und es geht wie an der Schnur gezogen vorwärts.
Markerschütterndes Grollen
Laut AMG-Chef Volker Mornhinweg sind die jetzt in Kitzbühel gemeinsam der Öffentlichkeit vorgestellten Autos "auffällig und dezent zugleich". Das stimmt aber nur solange, wie der Fahrer nicht beherzt aufs Gas tritt. Schlagartig entfaltet sich dann nämlich an den vier Auspuffendrohren ein markerschütterndes Grollen und mit der Dezenz ist es vorbei. Es ist ein Sound, der wirklich den Namen verdient und er trägt dazu bei, dass sich die Hupe nicht allzu schnell abnutzt. Die Lenkung ist direkt, fordert aber auch einen gewissen Kraftaufwand: "Soll die Frau halt SLK fahren", denkt der Macho-Pilot. Morhinweg kennt nicht nur seine Autos, sondern auch seine Kunden. Ab 100.000 Euro, so seine Gewissheit, spielt der Preis des Fahrzeugs für die Käufer eine eher untergeordnete Rolle.
Wer mit der Zahl "63" auf der Kofferraumklappe liebäugelt, läuft nicht Gefahr, allzu nahe an dieser Marke zu verharren. 127.252 Euro sind derzeit für den S 63 AMG zu entrichten. Will der Eigner lieber im Fond platz nehmen und dort die Annehmlichkeit von TV- oder Video-Programm genießen, ordert er für rund 7000 Euro mehr einen langen Radstand. Der Verzicht auf zwei Türen, eine geringfügig flachere Silhouette und deutlich mehr Prestige kosten schließlich 140.766 Euro, der Preis für den CL 63 AMG.
Quelle: ntv.de