Marie Tomanova, Fotografin Das Auge einer neuen Generation
12.10.2021, 18:02 Uhr
Marie Tomanova wollte schon immer Künstlerin werden.
(Foto: Marie Tomanova Archives )
Marie Tomanova verlässt ihre tschechische Heimat als studierte Malerin, um Au-pair-Mädchen in den USA zu werden. Acht Jahre später kehrt sie als Fotografin zurück und spürt, dass alles anders ist. Mit ntv.de hat sie über ihren amerikanischen Traum gesprochen.
Supermodels sehen unter anderem deswegen so super aus, weil sie von Fotografinnen und Fotografen ins rechte Licht gesetzt werden. Supermodels sieht man irgendwann nicht mehr, wenn sie älter werden, obwohl sie immer noch schön sind, die Fotografen und Fotografinnen immer noch ihre Vorzüge preisen könnten und der Markt dafür, "ältere Frauen" in den Fokus zu setzen, durchaus da ist. Denn ja, Designer-Klamotten sehen an jungen, knabenhaften Frauen gut aus (muss nicht jeder so finden, ist aber noch immer üblich), werden aber von älteren Frauen, die nicht dünn sind, dafür aber ein dickes Portemonnaie haben, gekauft!
Es war daher sehr auffällig, als das ehemalige Supermodel Paulina Porizkova vor ein paar Monaten wieder auf einem Cover zu sehen war, und zwar auf der Bibel aller Mode-Journale, der "Vogue". Es ist vermutlich, wie zum Ritter geschlagen zu werden, und es fühlt sich vielleicht an, wie Isabella Rossellini zu sein, die in fortgeschrittenem Alter nochmal "Gesicht" einer Kosmetikmarke werden konnte (der Marke übrigens, die sie vor Jahren aufgrund ihres Alters rausgeschmissen hatte, aber die Zeiten ändern sich ja zum Glück). Es ist, wie darauf zuzusteuern, so zu werden wie Iris Apfel: Alt, bunt, faltig, lustig, echt, ikonisch.
Zurück zu Paulina Porizkova, dem tschechischen Model mit den hohen Wangenknochen und den wunderschönen Augen, der atemberaubenden Figur. Die hat sie noch immer, die Wangenknochen, die Augen und die Figur. In Szene gesetzt hat sie eine andere Frau, eine sehr junge Frau, Marie Tomanova, ebenfalls aus Tschechien, und mehr aus Zufall Fotografin. Wie kam es also zum dem Shooting? Tomanova lebt schon eine ganze Weile in New York, Porizkova ebenfalls, die tschechische "Vogue" fand, dass das eine gute Idee wäre, die beiden aufeinandertreffen zu lassen. "Sie dachten, es wäre 'a great match'", erzählt Tomanova lachend, "und das war es auch. Paulina ist so bodenständig und herzlich, sie wohnt bei mir quasi um die Ecke und wir sind inzwischen befreundet. Es ist schön, ab und zu mal tschechisch mit jemandem zu sprechen!"
Arbeitslosigkeit, Einsamkeit, Wut, Anderssein
Dieses Shooting war für beide etwas ganz anderes, denn "Paulina ist das große Setting gewöhnt, mit viel Licht und Ausstattung, Make-up und Stylisten, viel Drumherum eben, und ich kam mit meiner kleinen Kamera um die Ecke", erinnert sich Tomanova. Sie geht bei ihrer Arbeit anders vor: Sie versucht, das Team möglichst klein zu halten, sie liebt es, während der Arbeit zu reden und damit eine unverkrampfte Atmosphäre herzustellen. Das wurde im Falle des Porizkova-Shootings belohnt: Aus der normalen Auftragsarbeit wurde ein Cover und Paulina Porizkova konnte zeigen, wie gut Frauen mit Mitte 50 aussehen können. Fotografiert von einer Frau, die quasi halb so alt ist.
Tomanova fotografiert eigentlich keine Supermodels, sondern junge Leute auf der Straße, manche von ihnen spricht sie einfach an, einige begleitet sie dann länger. So gelingt es ihr, ein Bild zu schaffen, das andere Geschichten erzählt: von Arbeitslosigkeit, Einsamkeit, Melancholie, Wut, Anderssein. Es gelingt Tomanova, dieses Bild glaubwürdig zu zeigen, obwohl ihre eigene Geschichte sich anhört wie der typische amerikanische Traum: Sie hatte ihr Malerei-Studium an der Hochschule in Brno beendet und wusste nicht, wie es weitergehen sollte: "Als Malerin habe ich an der Uni keine große Unterstützung erfahren. Und wir wurden überhaupt nicht auf unser Berufsleben vorbereitet. Deswegen habe ich mich entschlossen, als Au-pair nach Amerika zu gehen." Sie landete in North Carolina, einer ganz anderen Welt. "Zum Glück war ich zuerst dort, denn dort konnte ich lernen, wie Amerika funktioniert: Mit fünfspurigen Autobahnen zum Beispiel und ohne Google Maps." Tomanova lacht und betont, wie froh sie war, zuerst dort gelandet zu sein, denn so sehr sie New York jetzt auch liebt, diese Stadt hätte sie anfangs vielleicht doch überfordert.
Es wurden dann acht Jahre in den USA, erzählt sie ntv.de, bis sie wieder - zu Besuch - nach Hause zurückkehrte. Amerika hatte sie verzaubert, doch die Ein- und Ausreiseformalitäten machten ein schnelles Hin-und Herreisen nicht leicht. Seit 2018 hat sie die Green Card. "Es tat mir sehr weh, meine Familie nicht zu sehen und meine Freunde, die mich nur sehr unregelmäßig besuchen konnten, aber ich hatte das gefunden, was mein Leben - vollkommen ungeplant - grundlegend verändert hat." In New York fühlt sie sich zu Hause und seit sie sich ihrer alten Heimat durch die Fotografie wieder genähert hat, hat sie auch ein gutes Gefühl dabei. Sie akzeptiert, dass die Dinge sich verändert haben, bei sich und bei den anderen.
Zwischen den Fotos, die sie damals von ihren Freunden, Liebhabern und Partys mit ihrer kleinen Handykamera von 2005 gemacht hat, bis zu Fotoausstellungen in Arles, Berlin oder Tokio und nun ihrem zweiten Bildband, der gerade erschienen ist, könnten Welten liegen. So ist es aber nicht: Dank Tomanovas authentischer Art wirkt alles im Fluss, selbstverständlich fast. So wie die Fotografin selbst, die von einem Ohr zum anderen strahlt, wenn sie von ihrem jetzigen Leben berichtet. "Ich möchte mit meinen Fotos das wahre Leben zeigen. Das kann das Leben sehr junger Leute auf der Suche sein oder auch das Leben eines Supermodels, das eine wichtige Botschaft hat. Nämlich, dass das Alter Frauen stark machen kann, dass ältere Frauen auch schön sind, mit ihren Falten und angeblichen Makeln." Nach dem "Vogue"-Cover folgte übrigens eine Welle von anderen Titelbildern, worüber Marie Tomanova sich sehr freut: "Das Leben, das Alter, sollte gefeiert und nicht versteckt werden. Niemand sieht für immer aus wie 20."
Langsam verändert sich die Gesellschaft, sie wird offener und wir sollten weiter daran arbeiten. Tomanova gelingt das besonders gut in New York, in der Stadt, die für sie das Musterbeispiel an Freiheit ist. "Hier herrscht eine spezielle Energie, weil viele Menschen hierherkommen, um sich zu finden. Um dann so zu leben, wie sie es woanders vielleicht nicht könnten. Es ist so kreativ hier! Jeder darf sein, wie wer er will!"
Dass eine andere Künstlerin das Vorwort zu ihrem neuen Bildband geschrieben hat, macht Marie Tomanova stolz: "Kim Gordon von Sonic Youth hat ähnliche Erfahrungen in New York gesammelt. Auch sie wollte dazu gehören - was einem anfangs wie eine kaum überwindbare Hürde erscheint, aber New York erlaubt es dir." Auf über 150 Fotos hat Marie Tomanova in ihrem neuen Bildband die coolen Kids von New York eingefangen, und nicht nur sie, sondern auch das Drumherum. Die Malerei-Studentin, die allein in die Vereinigten Staaten von Amerika kam, hat ihren Traum wahr gemacht. Kunsthistoriker Thomas Beachdel schreibt über "New York New York": "Tomanovas Geschichte ist eine Geschichte vom Träumen, von Risiken, vom Überleben und vom Finden des eigenen Weges." Und vom Ankommen.
Quelle: ntv.de