Leben

Barrierefreies Wohnen "Das Wichtigste ist das Badezimmer"

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Früher war Duschen für Klaus Gerz eine Herausforderung. Seit dem barrierefreien Umbau seines Badezimmers kann der 75-Jährige es wieder genießen.

Früher war Duschen für Klaus Gerz eine Herausforderung. Seit dem barrierefreien Umbau seines Badezimmers kann der 75-Jährige es wieder genießen.

(Foto: Jörg Schmellenberg)

Viele merken es erst, wenn es zu spät ist: Die Muskeln werden schwach, die Knochen wollen nicht mehr richtig. Droht jetzt ein Platz im Altersheim? Nicht unbedingt. Bundesweit helfen Berater dabei, das eigene Haus oder die Wohnung alters- oder behindertengerecht umzubauen.

Klaus Gerz ist 17 Jahre alt, als ein Sportunfall sein Leben für immer verändert. Diesen Tag im August 1965 hat er bis heute nicht vergessen. Es passiert im Schwimmbad. Bei einem Sprung ins Wasser bricht er sich den siebten Halswirbel. Diagnose: inkomplette Querschnittslähmung. Die Nerven im Rückenmark sind stark geschädigt. "Ich konnte mich zuerst voll bewegen", sagt Gerz.

Er lässt sich nicht unterkriegen. Dass er manchmal Muskelkrämpfe bekommt, sogenannte Spasmen, nimmt er hin. Obwohl seine Beine manchmal unkontrolliert zucken, findet er ein neues Hobby: Skilanglauf. Er macht sein Abitur, studiert Jura, arbeitet bei der Stadt München. Er macht den Führerschein, fährt einen Automatik-Wagen. Später fährt er mit einem Tretroller durch die Gegend. "Das war riskant. Mindestens einmal im Monat bin ich gestürzt, regelrecht durch die Luft geflogen", sagt er.

Dann merkt er, dass seine Kraft immer mehr nachlässt. "Mein Neurologe hat gesagt, das läge am Alter", erklärt Gerz, der mittlerweile 75 Jahre alt ist. Seit fünf Jahren braucht er einen Rollstuhl. Doch auch den lässt er manchmal stehen. "Dreimal die Woche mache ich einen Spaziergang, und dann nutze ich Gehhilfen, also Stöcke." Und auch dann, wenn er von seinem Wohnzimmer über eine schmale und enge Wendeltreppe in sein Badezimmer hinabsteigt, lässt er den Rollstuhl stehen. Dass er für den kurzen Weg fast vier Minuten braucht, stört ihn nicht. Er ist Pensionär, hat Zeit, und so kann er in Bewegung bleiben.

"Das wichtigste ist Körperpflege"

Seine Wohnung im Olympiadorf München ist geschmackvoll eingerichtet. Hier gibt es bequeme Sessel, ausgesuchte, farblich abgestimmte Möbel, an den Wänden hängen Bilder. Dass hier ein Mensch mit einer Behinderung lebt, fällt nicht auf. Das will Klaus Gerz auch nicht. Er will so normal leben wie möglich. Wäre da nicht die Sache mit dem morgendlichen Duschen gewesen. "Das war ein Risiko: Ich kam nicht in mein Duschbecken rein, und dann musste alles immer ganz schnell gehen", sagt er in der Rückschau. Durch einen Zeitungsbericht wird er auf das Kompetenzzentrum barrierefreies Wohnen in München aufmerksam. Dort schaut er sich auf einer Ausstellung an, wie ein barrierefreies Badezimmer aussehen kann - und ist begeistert.

Architektin Barhana findet zusammen mit ihren Kundinnen und Kunden Lösungen.

Architektin Barhana findet zusammen mit ihren Kundinnen und Kunden Lösungen.

(Foto: Jörg Schmellenberg)

Yaelle Barhana ist Architektin, sie hat Klaus Gerz bei der Einrichtung seiner Wohnung beraten. "Er hat eine Skizze von seinem Bad gehabt, und dann hatte ich die Ideen, wie man das Bad verändern kann. Das ist das Erste, was man in einer Wohnung verändern sollte. Körperpflege ist das Wichtigste", erklärt sie.

Die meisten der Menschen, die Yaelle Barhana berät, stellen irgendwann fest, dass sie nicht mehr so beweglich sind. Aber manchmal kommen auch junge Menschen zu ihr, die sich Sorgen machen um ihre Eltern und sich informieren wollen. Die Mitarbeiter des Kompetenzzentrums kommen dann zu ihren Klientinnen und Klienten nach Hause, schauen sich die Wohnungen an und entwickeln so Ideen, wie man das Zuhause so umgestalten kann, dass es gemütlich ist. "Unser Ziel ist es, dass die Menschen so lange wie möglich selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden leben können und nicht auf ein Heim angewiesen sind", definiert Barhana ihre Arbeit.

"Jede Stufe ist ein Hindernis"

Längst nicht mehr "kriminell": Gerz' barrierefreie Dusche - inklusive Haltestange und Hocker.

Längst nicht mehr "kriminell": Gerz' barrierefreie Dusche - inklusive Haltestange und Hocker.

(Foto: Jörg Schmellenberg)

Wenn man in Gerz' Badezimmer hineinschaut, kommt man auf den ersten Blick nicht auf die Idee, dass es von einem Menschen mit Behinderung genutzt wird. Doch er erklärt: "Zunächst ist in einem Badezimmer jede Stufe eine Barriere. Mein vier Zentimeter hohes Duschbecken war kriminell. Mit meiner tendenziellen Spastik, die reinschießen kann, bin ich öfter ausgerutscht. In einem Hotel habe ich mal gesehen, wie schön bodengleiche Duschen sein können. Das wollte ich auch." Dann hat er rutschfeste Fliesen in sein Bad legen und sein Waschbecken höher bauen lassen, damit er im Notfall Platz für seinen Rollstuhl hat. Am Waschbecken und an der Toilette befinden sich kleine Stangen zum Festhalten.

"Aber das Allerschönste ist mein Stuhl in der Dusche. Jahrelang war Duschen für mich immer eine Herausforderung, weil alles so prekär war und ich immer Angst vor Spastiken hatte. Und ich liebe es, kalt zu duschen, und zwar richtig ausgiebig. Für mich als Spastiker ist das eine Dummheit, weil ich damit Spastiken auslöse. Jetzt plumpse ich auf diesen wunderbaren Klappsessel und lasse kaltes Wasser auf mich herunterprasseln. Manchmal zehn Minuten lang."

"Haben noch einiges vor uns"

Seit 1988 lebt die Israelin Yaelle Barhana in Deutschland. Sie ist als Austauschstudentin gekommen. Dann gefiel es ihr hier, und sie blieb. Ihr Job macht ihr Spaß. In den letzten Jahren habe sich vieles verändert, "aber immer noch haben wir einiges vor uns", sagt sie. "Viele Wohnungen sind nicht zugänglich. Ich erlebe das immer wieder: Es kommen ältere Menschen zu uns, die möchten in ihrer Wohnung bleiben. Aber die liegt in einem Altbau, vierte oder fünfte Etage, kein Fahrstuhl. Die können ihre Wohnung oft nur mit Begleitung verlassen, wenn überhaupt."

Viele schwerbehinderte Menschen brauchen höhere Bewegungsradien, sagt Yaelle Barhana. Das könne man schon frühzeitig planen - beispielsweise, "indem man eine ebenerdige Dusche einbaut, über die man gleichzeitig die Toilette erreichen kann. Oft kann man durch das Umstellen von Möbeln auch im Rest der Wohnung einen größeren Bewegungsradius erreichen."

Außerdem könne man viel mit Licht machen. "Im Alter brauchen wir mehr davon. Nicht nur, weil die Augen nachlassen, sondern auch, weil wir nonvisuelle Einflüsse durch die Lichtquellen wahrnehmen. Licht fördert Serotonin, also das Glückshormon. Gerade Menschen, die ihre Wohnung nicht mehr so oft verlassen können, haben gute Erfahrungen mit circadianischen Lichtquellen gemacht. Die simulieren die Veränderung des Sonnenlichts in Räumen. Zu wenig Sonnenlicht kann im Ernstfall zu Depressionen führen", erklärt Barhana.

Finanzielle Hilfe

Ein barrierefreier Umbau einer Wohnung kann im Einzelfall recht teuer sein. Doch Menschen, die darauf angewiesen sind, können finanzielle Hilfen bekommen. "Wer eine Pflegestufe hat, kann sich zum Beispiel an die Pflegekasse wenden", sagt Barhana. Im Einzelfall lassen sich Wohnungsumbauten bei schwerbehinderten Menschen auch durch das sogenannte "persönliche Budget" teilfinanzieren. Mehr Informationen dazu gibt es auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Häufig leisten aber auch Städte und Gemeinden finanzielle Hilfen beim Wohnungsumbau.

Vor allem aber ist zunächst eine kompetente Beratung wichtig. In München gibt es dazu das Zentrum für Barrierefreies Wohnen, in vielen Städten gibt es ähnliche Einrichtungen. Außerdem können sich betroffene Menschen an den Sozialverband Deutschland, den VDK und andere Sozialverbände wenden. Klaus Gerz jedenfalls ist begeistert. "Ich war ja zuerst sehr skeptisch. Aber jetzt bin ich wirklich froh, dass ich Menschen wie Frau Barhana kennengelernt habe."

Quelle: ntv.de

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