Leben

"Mode interessiert mich nicht" Die Frau hinter dem Gucci-Bestseller

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Maurizio Gucci und Patrizia Reggiani 1972: "Ich habe versucht, Patricias Rolle verständlich darzustellen. Sie hat diesen Mann geliebt, den sie später ermorden ließ, weil er ihrer überdrüssig wurde. Sie hat auch ihre Töchter geliebt", so Forden.

Maurizio Gucci und Patrizia Reggiani 1972: "Ich habe versucht, Patricias Rolle verständlich darzustellen. Sie hat diesen Mann geliebt, den sie später ermorden ließ, weil er ihrer überdrüssig wurde. Sie hat auch ihre Töchter geliebt", so Forden.

(Foto: imago images / Independent Photo Agency)

Sara Gay Forden ist kein Fashion-Victim. Sie sieht das analytischer und schreibt lieber über die wirtschaftlichen Zusammenhänge in der Mode-Industrie. Vor allem über Gucci. Und dann so, dass das Buch verfilmt wird - wenn auch Jahrzehnte später.

Patrizia Reggiani (Mitte) bei der Beerdigung.

Patrizia Reggiani (Mitte) bei der Beerdigung.

(Foto: imago images/Independent Photo Agency)

Als am Morgen des 27. März 1995 vier Schüsse durch Mailands Straßen hallen, arbeitet die amerikanische Journalistin Sara Gay Forden, gar nicht weit entfernt, an einem Text über Finanzen. Oder die Börse. Das Opfer dieser Schüsse ist Maurizio Gucci, Erbe der legendären Modedynastie Gucci - Sinnbild für Luxus, Glamour, aber auch für Qualität und Tradition. Maurizio Gucci wird auf den Stufen zu seinem Büro von einem unbekannten Täter erschossen. Die Suche nach dem Mörder beginnt, und nachdem Patrizia Reggiani bei der Beerdigung ihres "geliebten" Gatten, der sie zu Lebzeiten gar nicht mehr so sehr liebte, ein, zwei Tränchen vergossen hatte, klingelt der Mailänder Polizeichef zwei Jahre später persönlich an den Pforten des prächtigen Palazzo der "Schwarze Witwe", um sie wegen Mordes zu verhaften.

Es ist eine Geschichte, die man sich nicht besser oder dramatischer ausdenken kann. Sie erzählt von Liebe, Untreue, Aufstieg und Fall, Lust und Rache - und von Intrigen innerhalb einer Familie, die nach außen alles zu haben scheint, der aber eines fehlt: der Zusammenhalt. Hat Patrizia ihren Ex-Mann also umbringen lassen, weil er das Vermögen der Familie verschleuderte? Oder hat sie es aus Eifersucht getan, weil er seine Mätresse heiraten wollte? Vielleicht stimmen beide Annahmen nicht? Bei Gucci ging es schon immer auf und ab, und dass das Unternehmen da steht, wo es heute steht, ist keinesfalls selbstverständlich.

Sara Gay Forden schafft es, die Gucci-Story so zu erzählen, dass man atemlos folgt: Journalistisch einwandfrei recherchiert - natürlich, das hat sie gelernt, das ist ihr Beruf - ist "House of Gucci" ein fesselnder Bericht über das Wesen der High Fashion, die Hochfinanz, die dahintersteckt, und vor allem aber die fesselnde Tatsachenbeschreibung persönlicher Tragödien. Forden wurde in Frankfurt geboren, hat Deutsch studiert, ihr Vater arbeitete bei der CIA, die Familie zog oft um. Im College begeisterte sie sich für Berlin, Kurt Tucholsky und George Grosz und die Frage, wie es den Intellektuellen damals nicht gelingen konnte, rechtzeitig zu sehen, welch' enorme Bedrohung im ersten Viertel des letzten Jahrhunderts sich in Europa formierte.

"Die Geschichte wiederholt sich, befürchte ich, und wieder guckt keiner so richtig hin", sagt Forden im Gespräch mit ntv.de in Berlin. Sie ist oft in der deutschen Hauptstadt. Ihre Schwester, eine Künstlerin, lebt hier, und nach ihrer Zeit in Italien liebt sie es sowieso, in Europa zu reisen. In der Modemetropole Mailand landete sie, weil sie von dort über International Business berichten wollte, was damit endete, dass sie für das Wall Street Journal, die International Herald Tribune, Women's Wear Daily, W Magazine und Bloomberg News über die Modeindustrie schrieb, sagt sie, lacht und betont: "Obwohl ich wirklich no idea hatte von Fashion."

So sind wir aufgewachsen

"Meine Hoffnung war, dass, wenn alle miteinander reden, niemals mehr ein Krieg ausbrechen könnte, das war meine tiefe Überzeugung. Daran glaubten wir damals. Wir - die Nachkriegsgeneration oder Kinder der Nachkriegsgeneration - sind so aufgewachsen." Jetzt feststellen zu müssen, dass das alles nur Theorien waren, beschäftigt sie, die inzwischen wieder in Washington arbeitet, sehr.

Sie ist ein analytischer Mensch, schreibt in den Achtziger und Neunziger Jahren über die Joint Ventures in der Modeindustrie, vor allem bei den familiengeführten Boutique-Labels wie Prada, Armani, Versace und natürlich Gucci. Als diese zu Mega Brands wurden, fiel das irgendwann immer mehr in ihren Bereich. Sie lernte Italienisch: "Ich liebte diese Verbindung von Kreativität und Big Business, wie diese Unternehmen geführt wurden", erzählt Forden. Sie bewundert Mode und ihre Macher noch heute, ist nach wie vor fasziniert davon, wie sich eine Industrie ständig etwas Neues ausdenken muss, um die Leute bei der Stange zu halten. Persönlich begeistert sie eher Vintage -Mode, "so, wie die jungen Mädchen heute auch wieder". Das Thema Gerechtigkeit zieht sich durch ihr Leben. In DC arbeitet sie inzwischen wieder für Bloomberg News, leitet dort ein Reporter-Team, das zu den Einflüssen von Amazon, Apple, Facebook und Google auf die Hauptstadt der USA und deren Entscheidungen recherchiert.

Sara Gay Forden, die Autorin des Bestsellers "House of Gucci".

Sara Gay Forden, die Autorin des Bestsellers "House of Gucci".

(Foto: Nancy Fina)

Und wie entstand nun dieses Buch, auf dessen Grundlage schließlich der Film "House of Gucci" basiert? "Ich habe mich irgendwann gefragt, ob später irgendjemand noch meine Texte über den Dow Jones und die Märkte von vor zehn Jahren lesen würde", lacht sie. "Wohl kaum! Aber es wird die Leute interessieren, was aus Familienunternehmen wie Armani oder Gucci geworden ist!" In Fordens Augen haben die italienischen Modeschöpfer schon immer ein Auge dafür, wer sie sind, wo sie sich befinden - im Business, vor allem im Vergleich auf den Märkten. Mit Grandezza seien sich die meisten davon treu geblieben. "Sie haben diese Begeisterung für ihr Produkt, und das ist etwas so Beständiges."

Fantastische Zahlen

Als Maurizio Gucci 1993 seine erste Pressekonferenz gehalten und für viel Wirbel gesorgt hatte, wurde deutlich, dass fortan ein anderer Wind wehen würde. Er hatte nun die Kontrolle über das Geschäft. Maurizio Gucci hatte die anderen Guccis rausgekauft, jetzt wollte er seine Vision durchsetzen und Gucci zur Numero Uno machen. Die Zahlen, die er nannte, waren fantastisch. Forden schrieb über ihn, ihr Artikel erschien auf der ersten Seite des Wallstreet Journal Europe. Es stellte sich jedoch heraus, dass Maurizios Zahlen vorne und hinten nicht stimmten: "Er hatte einfach ein paar Zahlen aus dem Hut gezaubert, und ich dachte nur: 'Verdammt, mein Artikel war auf der Frontpage des Wallstreet Journals und die Leute glauben, was da steht, mein Name steht darunter.' Also fing ich an, über Gucci zu recherchieren, und auf einmal kamen von überall her Leute, die eine Story für mich hatten."

Maurizio gab Geld aus, das er nicht hatte. Seine Visionen waren sicher gut, aber er hatte das Vertrauen seiner Finanzpartner verspielt. Sie dachten, er wollte sie ausnehmen, das führte zu riesigen Spannungen, natürlich. Nur ein paar Monate später musste er 50 Prozent der Firmenanteile verkaufen. "Darüber schrieb ich quasi täglich, ich dachte bei weitem nicht an ein Buch, ich begleitete nur die Ups and Downs." Und dann, 1995, wird Maurizio Gucci ermordet. Fordens Büro ist nur ein paar Hundert Meter weit entfernt. Die Autorin erinnert sich: "Ich wollte immer ein Buch schreiben, aber keinen Roman, es musste ein Sachbuch sein, und dann habe ich mir quasi selbst das Thema geschenkt: Ich googelte Gucci - zu diesem Zeitpunkt hatte man noch nicht Tausende von Ergebnissen bei einem Suchwort, vielleicht gerade mal zwanzig - und über Gucci waren acht von zehn Artikeln von mir. Es lag also auf der Hand!"

Nach einigem Hin und Her mit Verlagen und Agenten - sie hatte von neun Verlegern bereits ein Nein bekommen, weil die Gucci Story ihnen zu europäisch für die amerikanischen Leser erschien - konnte sie loslegen. "Ich habe viel mit Giorgio und Roberto gesprochen, Maurizios Cousins, die beide ihr eigenes Ding machen. Einige andere waren bereits tot oder im Gefängnis. Aber mit den Mitarbeitern, die seit Jahrzehnten bei Gucci gearbeitet haben, konnte ich über alles sprechen. Die sind wie Familie gewesen." Im Jahr 2000 war das Buch fertig. Und nur 22 Jahre später wurde es zu einem riesigen Erfolg? Forden lacht sehr. "Ich hatte zwei Jahre nur an diesem Buch geschrieben, und ich sehnte mich nach einem neuen Job. Ich wusste, dass das Buch gut ist, und während ich schrieb, hatte ich bereits Filmszenen im Kopf. Da war ich aber die Einzige."

"Ich ging zu Ridley Scott"

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Dann hörte sie, dass Martin Scorsese einen Film über Gucci machen wollte, aber anhand eines anderen, alten Buches. Dieser Film jedoch kam nie zustande. Später gab Ridley Scott ein Interview, in dem er verriet, dass er nun einen Gucci-Film drehen wollte, und "ich setzte meine Agentin darauf an, ihm mein Buch als Grundlage zu geben. Aber die wollten es auch nicht, sie würden lieber ihre eigenen Recherchen anstellen, sagte man uns." Fordens Enttäuschung war riesig. Und auch alle, die irgendetwas mit diesem Buch zu tun hatten in den letzten Jahren, waren enttäuscht: "Sie machten mir Druck: 'Tu was! Du musst was unternehmen', und ich dachte nur: 'Ich bin doch kein Hollywood-Typ, das ist gar nicht meine Welt.'"

Aber als sie dann jobbedingt sowieso in Los Angeles zu tun hatte, gab sie sich einen Ruck: "Ich ging zu Ridley Scotts Leuten und fragte sie persönlich. Da kannten die mein Buch schon! Als Quelle." Es vergingen wieder Jahre. "Ich war inzwischen eher so: 'Wenn ihr es wollt, lasst es mich wissen, wenn nicht, auch ok, sagt nur Bescheid.'" Tatsächlich wurde ein junger, italienischer Drehbuchautor ins Spiel gebracht, Roberto Bentivegna. "Seine Mutter hatte dreißig Jahre für Armani gearbeitet, er war total drin in der Mode-Welt. Sie fragten mich, ob ich ihn unterstützen würde, und ich sagte natürlich ja. Sein Drehbuch war sensationell."

Es war eine lange Geburt von der Entstehung des Buches bis zur Verfilmung. "Während der Premiere traf ich unter anderem Lady Gaga. Sie ist außergewöhnlich - klein und doch so mächtig. Sie besitzt einen großartigen Stil, ist leidenschaftlich und war eine super Patrizia Reggiani. Sie ist eine Ikone." Am Ende wurde doch alles gut, die analytische Sara Gay Forden hat der ganzen Welt gezeigt, wie kreativ sie ist. "Ja, aber das Kreativste, was ich je erreicht habe, ist nicht mein Buch, sondern meine Tochter, die 1996 geboren wurde."

Quelle: ntv.de

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