Leben

In Vino Verena Ein Hoch auf die Schamhaare!

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Sugaring, Waxing, Rasur, Epilation: Den Schamhaaren wird heutzutage übel mitgespielt.

(Foto: imago)

Es gab eine Zeit, in der Wildwuchs als erotisch galt. Heute wird den Schamhaaren übel mitgespielt. Ekelhaft seien sie und unhygienisch! Sogar bis in die Pofalte wird vorgerückt. Unsere Autorin fordert: Schluss mit der Schamhaar-Verteufelung!

Liebe Leserinnen und Leser, wir müssen über Schambehaarung reden! Den Schamhaaren wird dieser Tage übel mitgespielt, ich befürchte fast, sie werden ihres evolutionären Vermächtnisses beraubt.

Jahrtausende erfüllten die Schamhaare der Menschheit gegenüber gewissenhaft ihre Pflicht, stellten sich selten quer, krabbelten höchstens mal ein wenig - bis eines Tages ein paar ausgebuffte Kosmetik-Heinis und Porno-Fatzkes es auf sie abgesehen hatten und schwupp, brauchte es keine 50 Jahre und der Mensch zieht nahezu täglich in den Krieg gegen die harmlosen Kringelchen, die niemandem etwas zuleide tun.

Neulich sitze ich mit meiner Freundin Tina auf ihrem Balkon, wir lauschen dem Klang des Windspiels in der untergehenden Abendsonne, da erzählt sie mir von ihrem Sohn, der im Biologieunterricht gerade die Pubertät zum Thema habe. Einhergehend mit der Pubertät sprießen sie ja, die Schamhaare. Sie sagt, der Sohn sei zwar sehr einsilbig und kichere viel, aber eins sei sicher: Seine Klassenkameraden sind alle von der ASF, der Anti-Schamhaar-Fraktion. Denn Schamhaare seien ekelhaft und unhygienisch.

So schöne Frauen, so behaart!

Ist es nicht vollkommen verrückt, dass Pubertierende ihre Schamhaare, die gerade erst anfangen zu sprießen, sofort abrasieren? Denen braucht man nicht mit Nenas Achselhaaren in den Achtzigern zu kommen oder ihnen zu sagen, dass Intimrasur vor ein paar Jahren noch ein sehr kleines Thema war.

Tina meint, am schlimmsten und schon mehrfach Thema auf Elternabenden sei der einfache Zugang von Jugendlichen zu Pornos, in denen herangezoomte, rasierte Geschlechtsteile gang und gäbe sind. Irgendein Steppke habe immer eines dieser Filmchen auf dem Handy, man sei da nahezu machtlos und könne immer nur reden und erklären, aber nicht verbieten.

Noch in den Siebzigern galt Wildwuchs keineswegs als unerotisch. Neugierig geben wir "seventies nude" bei Google ein und staunen nicht schlecht. So schöne Frauen, so behaart!

Für gewöhnlich denke ich: Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Die eine mag Brasilian Cut beziehungsweise Landebahn, die andere mag die Landebahn eben schmaler, viele, Frauen wie Männer, bevorzugen inzwischen die Rodung auf ganzer Linie. Aber! Für wen machen die das? Für sich selbst? Für den Partner?

Viele Waxer begründen dieses Prozedere nicht nur mit der Ästhetik und der Hygiene (Letzteres ist natürlich vollkommener Quatsch), sondern damit, dass der Cunnilingus dann einfach fetziger sei. Okay, verstehe ich. Aber was hat der Cunnilingus bitteschön mit der Pofalte zu tun? Das sind zwei ganz verschiedene Orte! Aber die Pofalte gehöre nun mal dazu, das sei inzwischen so normal wie Zähneputzen.

Die Mär von der gesunden Selbstoptimierung

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es da draußen auch nur irgendeinen Mann gibt, der nachprüft, ob die Pofalte der Liebsten akkurat gerodet ist. Welcher Mann prüft das nach und sagt dann: "Oh, Chérie, ich liebe dein wundervolles Lächeln, aber deine Pofalte sieht leider aus wie ein aufgeplatztes Sofakissen, bitte verlasse umgehend das Etablissement." Das macht doch keiner! Warum also all der Stress und all die Schmerzen?

Sind Leute der Ansicht, sich besser zu fühlen, wenn alle Schamhaare - inklusive Pofalte - entfernt sind, bitte, nur zu! Es ist ja auch nicht so, dass die Geschichte der Intimbehaarung neu ist, schon die alten Ägypterinnen liebäugelten mit glatten Bikinizonen.

Zum Geburtstag bekam ich neulich von einer Freundin einen Gutschein geschenkt, und zwar fürs Intimzonen-Waxing. Sie sagte, sie habe einen Termin für uns beide zusammen gebucht, da könnten wir dann nebeneinanderliegen und plauschen. Und das erwähnt sie so ganz nebenbei, als würde sie von einem Buch erzählen, das sie gerade ausgelesen hat: "Du waxt ja wohl auch komplett, oder? Pofalte ist ja nur am Anfang lästig, man gewöhnt sich ja ganz schnell an den Schmerz." Hallo? Meine Pofalte ist meine Pofalte ist meine Pofalte.

Später gebe ich aus purer Neugier: "Erfahrungen Pofalten-Waxing" bei Google ein und lese von Nahtod-Erfahrungen und Ohnmachtsanfällen. Alles sei aber ganz normal und gehöre heutzutage zu einer "gesunden Selbstoptimierung". Sofort geistern die Pofalten-Mäher durch meine Fantasie. Worüber die sich wohl in der Mittagspause unterhalten: 'Und wie viele Pofalten hattest du heute schon?'

Too much information

Ist Ihnen das auch too much information? Sehn'se!

Mir geht vor allem dieses: Das-ist-voll-normal-das-machen-alle-Gequatsche auf den Zeiger, genauso wie Frauen, die denken, Männer würden eine komplett rasierte Vagina voraussetzen.

Wir sugarn, waxen, rasieren und epilieren; der eine im Studio, der andere zu Hause. Aber ist es nicht witzig, dass Leute immer wieder behaupten, Schamhaare seien unhygienisch, während gleichzeitig ein üppiger Hipster-Bart an ihrem Kinn wuchert, in dem man genau sieht, was es zum Mittagbrot gab?

Und wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen einem Mann mit Bart, der eine rasierte Frau oral beglückt und einem Mann ohne Bart, der eine Frau mit Schambehaarung liebkost? In Sachen Oralverkehr wird ja gerne geflötet, wie unsexy ein im Mund gelandeter Haarkringel sei. Oh, Schande über dich, du verirrtes Lümmel- und Schnecken-Löckchen!

Ein Hoch auf die Natürlichkeit!

Auch schön: Während untenrum volle Pulle abgerüstet wird, rüstet man obenrum mächtig auf. Bart, Augenbrauen, lange Haare, drei Kilo Fake-Wimpern auf den Lidern. Klimper, klimper. Und die Industrie reibt sich die Hände und lacht sich kaputt über uns Nutztiere, denen sie ihre Trendprodukte verhökert. Am liebsten schauen sie "Naked Attraction" bei RTL 2, wo ältere Männer mit sprießenden Nasenhaaren und Rücken-Flokati ihre glatt rasierten Genitalien präsentieren.

Mir schnurz, jeder nach seinem Gusto. Wenn aber junge Menschen die natürliche Schambehaarung unhygienisch, ekelhaft und widerlich finden, läuft gewaltig was schief. Viele junge Männer, zumindest jene, die nach 1985 geboren sind, kennen nur noch enthaarte Frauen, viele junge Frauen nur noch gewaxte Männer. Dabei sind Schamhaare die beste Armee gegen Schmutz, Schweiß und Bakterien.

Liebe Frauen und Männer, seid nicht so streng mit den kleinen Kringeln, sie machen einen guten Job, wenn man sie nur lässt. Ein Hoch auf die armen, unschuldigen Löckchen - ein Hoch auf die Natürlichkeit!

Quelle: ntv.de

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