Elliot Pages Memoiren "Pageboy" "Lasst mich einfach mit euch in dieser Welt sein"


Drei Jahre nach dem öffentlichen Outing sieht sich Elliot Page "erst am Anfang" seiner Transition.
(Foto: picture alliance / empics)
In seiner Autobiografie "Pageboy" beschreibt der kanadische Schauspieler Elliot Page den schmerzhaften, doch letztlich befreienden Weg zu seinem Outing als trans Mann. Neben einer zärtlichen Seelenschau und einer Abrechnung mit dem System sexualisierter Gewalt in Hollywood ist das Buch vor allem eins: ein flammendes Plädoyer für mehr Menschenliebe in Zeiten erstarkenden Queer-Hasses.
Es ist 2007, der kanadische Schauspieler Elliot Page erlebt seinen Hollywood-Durchbruch mit dem Film "Juno", in dem er eine schwangere Teenagerin spielt. Magazin-Cover, TV-Interviews, Oscar-Nominierung: Mit 20 Jahren steht Page mitten im Rampenlicht und auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Karriere. Die Hollywood-Maschinerie springt an und mit ihr ihre "verwirrenden, sich ständig ändernden Spielregeln", schreibt Page in seiner jüngst veröffentlichten Autobiografie "Pageboy".
Kurz zuvor hatte Page seine Freundin Paula kennengelernt. Doch seine Managerin drängt ihn nach dem großen "Juno"-Knall, die queere Beziehung geheim zu halten. Page hatte sich damals noch nicht geoutet und das sollte in den Augen seiner Managerin auch so bleiben - während andere "ihrer Klient*innen mit ihren Ehepartner*innen über den roten Teppich spazierten oder sich in Interviews als hetero outeten", schreibt Page. Stattdessen wird er für Award-Feiern, dem klassischen Rollenklischee der Frau entsprechend, in enge Kleider gesteckt, auf High Heels gestellt und geschminkt. "Nicht schon wieder das Basecap", nörgelt die Managerin. Und Page? Er beißt die Zähne zusammen, spielt das Spiel mit - und "hasst es", wie es in "Pageboy" heißt.
Essstörung, Depression, Selbstverletzung
Denn während Page nach außen hin den scheinbar perfekten Hollywood-Traum lebt, zerbricht hinter den Kulissen seine Beziehung zu Paula, die die Geheimhaltung nicht länger erträgt. Page leidet an dem ständigen Versteckspiel, fühlt sich "gefangen in einer jämmerlichen Verkleidung". Die Folgen sind Essstörung, Depressionen und Selbstverletzung. Doch Hollywood ignoriere die Folgen dieser Selbstverleugnung, klagt Page an. "Ich wurde für mein Queersein bestraft, während Missbraucher in Schutz genommen oder gar gefeiert wurden".
Dass er queer ist, weiß Page bereits als Kind. Die Kleider, die seine Mutter für ihn aussucht, gefallen ihm nicht, fühlen sich falsch an. Immer wieder ist da der sehnsüchtige Blick zu Jungs mit Kurzhaarschnitten, in T-Shirts und Jeanshosen. Doch obwohl Page weiß, dass er kein Mädchen ist, verhindern die mütterlichen Ansprüche, die Blicke von anderen Kindern auf dem Schulhof und gesellschaftliche Zwänge, sein wahres Ich auch offen auszuleben. "Ich will doch nur das Beste für dich, dich schützen. Nicht, dass du es später mal schwer hast im Leben", zitiert der heute 36-Jährige seine Mutter. Mit "dem Besten" sei gemeint, den gesellschaftlichen Vorstellungen zu entsprechen, "innerhalb der vorgegebenen Grenzen zu bleiben", erklärt er in seinem Buch.
"Ein winziger Käfer, gefangen unter einem Glas"
Mit 15 unternimmt Page den ersten wirklichen Versuch, seiner Mutter von seinem Queersein zu erzählen. "So ein Blödsinn!", habe sie gerufen, ehe er seinen Satz zu Ende sprechen konnte. Und je deutlicher in den folgenden Jahren wurde, dass er nie "ein hübsches, heterosexuelles Mädchen" sein würde, desto mehr stieg der Druck vonseiten der Mutter, sein Aussehen zu verändern - ebenso wie das Mobbing in der Schule. Was daraus folgt, beschreibt Page als immenses Gefühl der Einsamkeit, das zusätzlich von Scham und Schmerz flankiert wird: "Ich dachte, ich wäre der einzige Mensch auf der Welt mit diesem Problem. Ein winziger Käfer, gefangen unter einem Glas". Aus heutiger Sicht weiß Page, welchen "Riesenunterschied" es gemacht hätte, als Kind und Teenager Kontakt zu anderen queeren und trans Menschen zu haben. Das hätte die Probleme zwar nicht in Luft auflösen, den Prozess der Selbstfindung und -akzeptanz jedoch beschleunigen können.
Auch der trans Autor, Schauspieler und Musiker Henri Jakobs erzählt in seinem ntv.de-Interview, wie wichtig die Sichtbarkeit von trans Personen in der Öffentlichkeit auf dem Weg seiner eigenen Transition war. "Für mich wäre total wichtig gewesen, zu sehen okay, wow, da ist jemand, der hat diese Entscheidung getroffen. Und das Leben, das er jetzt hat, ist gut. Das hat mir schon gefehlt", erzählt er im Gespräch.
Der große Schritt
2014 wagt Elliot Page dann den ersten großen Schritt, outet sich auf einer Menschenrechtskonferenz in Las Vegas öffentlich als queer. "Es war einer der wichtigsten und heilsamsten Momente in meinem Leben", schreibt Page über den Auftritt - und das trotz der Anfeindungen und des Hasses, die er danach erfährt. Da ist zum Beispiel ein berühmter Schauspiel-Kollege, der ihn auf einer Party belästigt: "Du bist nicht queer. So was gibt's nicht. Du hast nur Angst vor Männern", meint er und bedrängt Page im Laufe des Abends noch weiter. Doch da sind auch die unzähligen anonymen Hasskommentare im Netz und Anfeindungen Fremder auf offener Straße.
Der Backlash sei jedoch "nichts" gewesen im Vergleich mit dem, was Page nach seinem Outing als trans Mann erfährt. 2020 teilt Page diese Mitteilung mit der Öffentlichkeit. Und plötzlich kommen die Anfeindungen nicht mehr nur von "irgendwelchen Leuten im Internet oder auf der Straße, sondern auch von guten Bekannten und Freund*innen". All dem begegnet Page in seinem Buch mit einer simplen, aber fundamentalen Forderung: "Lasst mich einfach mit euch in dieser Welt sein, glücklicher als je zuvor". Denn trotz der Ablehnung und all der Wirrungen dieses "verschlungenen Weges" findet Page durch diese Entscheidung schließlich das "Portal" zur Selbstliebe - und so den Zugang zu seiner eigenen Wahrheit.
Denn auf das Outing folgt die Mastektomie, später beginnt Page mit der Testosteron-Behandlung und findet so zu einer "neuen Ruhe". "Es fühlt sich so gut an, jetzt in der Sonne zu sein, ich hätte nie gedacht, dass ich das erleben könnte, die Freude, die ich in meinem Körper fühle", schreibt Page im Mai unter einem Instagram-Post.
Als gefeierter Hollywood-Star leistet Page einen wichtigen Beitrag in puncto Sichtbarkeit von queeren und trans Personen - der ihm selbst und anderen hilft. "Öffentliche Sichtbarkeit von prominenten trans Personen wie Elliot Page hat eine enorm große Bedeutung. Solche Erfahrungsberichte können sensibilisieren und Wissen vermitteln. Daneben können sie trans Personen bestärken, selbstbewusst den eigenen Weg zu gehen und sich weniger vereinzelt zu fühlen", sagt Kalle Hümpfner vom Berliner Bundesverband Trans* e.V. im Gespräch mit ntv.de. Es sei jedoch wichtig, dass trans Personen "nicht nur als Entertainer*innen oder Künstler*innen Sichtbarkeit bekommen, sondern sich in allen gesellschaftlichen Bereichen, also beispielsweise auch in Politik, Wissenschaft oder Wirtschaft, einbringen können. Hier müssen noch viele Hürden abgebaut werden", so Hümpfner im Gespräch.
Das Portal zur Selbstliebe durchschreiten
Über seine Erfahrungen zu schreiben, begreift Page als wichtigen Schritt des Widerstands gegen ebendiese Hürden und gegen Menschen, die queere und trans Personen unsichtbar machen und eliminieren wollen. Wie das funktioniert, schildert Alok Vaid-Menon in dem Buch "Mehr als binär". Um Menschengruppen aus der Öffentlichkeit zu eliminieren, müsse man sie zunächst dämonisieren - "so wird das Verschwindenlassen dieser Gruppen nicht als Diskriminierung wahrgenommen, sondern als Akt der Gerechtigkeit". Um dieses Narrativ zu durchbrechen, sei es wichtig, dass queere und trans Personen ihre eigenen Erfahrungen teilen können. Dass ihnen zugehört wird, anstatt über sie zu sprechen.
In "Pageboy", aus dem Englischen übersetzt von Stefanie Frida Lemke, Lisa Kögeböhn und Katrin Harlaß, erzählt Page, wie wichtig queere Erfahrungsberichte in Form von Literatur für ihn waren. "Bücher haben mir geholfen, mich sogar gerettet", schreibt der Schauspieler in seinen Memoiren. Er wolle mit seinem Buch anderen dabei helfen, sich gesehen und weniger allein zu fühlen. Er selbst stehe zwar erst am Anfang seiner Reise. Doch das Glück, dass er jetzt empfinde, sei unbeschreiblich: "Ich finde keine Worte dafür".
Quelle: ntv.de