Leben

Eine für alle Man wird ja mal mies drauf sein dürfen

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Niemand kann sich immer nur toll fühlen.

(Foto: imago/Ikon Images)

Schon die alten Griechen und Simone de Beauvoir wussten: Leid ist Teil unserer Existenz. Wir heutigen funny people in unserem ewigen Optimierungswahn würden uns jedoch eher die Hand abhacken als zugeben, dass wir mal schlecht drauf sind. Die Kolumnistin nimmt sich davon nicht aus.

"Don't worry, be happy" - ein Ohrwurm, sorry. Aber darum soll es in diesem Text gehen - um dieses Gefühl, ständig gut drauf sein zu müssen. Dabei ist es doch nur natürlich, wenn man auch mal keinen Bock hat, wenn man mal Nein sagen möchte. Das fängt schon in der Pubertät an, die Mama kommt supergelaunt ins unaufgeräumte Zimmer und sagt: "Geh' doch mal raus, es ist so schöööönes Wetter." Man hat aber Lust auf Weltschmerz, die Sonne tut direkt weh. Außerdem - kann man das Schöne nicht erst besonders wertschätzen, wenn man auch das nicht so Schöne kennt? Weiß man nicht erst dann, dass etwas wirklich wunderbar ist, wenn man "the dark side of the moon" gesehen und kennen gelernt hat? In unserer heutigen Gesellschaft ist es ein Makel, schlecht drauf zu sein.

Man darf natürlich auch nicht auf jedes "Wie geht's?" gleich die ganze Familiengeschichte erzählen, von Opas Weltkriegsberichten bis hin zu den Essstörungen der Cousine, aber dieses ewige Getue, dass alles wirklich ständig paletti ist - wer soll das denn glauben? Eine Fernsehmoderatorin, die Krebs und eine fiese Chemotherapie hinter sich hat, spricht darüber, als wäre das quasi nichts gewesen. Sie hätte überhaupt keine Lust, sich davon die Laune verderben zu lassen. Anfänglich begeistert von diesem Optimismus dachte ich, dass diese positive Einstellung zum Leben selbiges sicher erleichtern oder gar retten kann, mein Gefühl wich jedoch einer gewissen Nachdenklichkeit: Kann das sein, dass man eine lebensbedrohliche Erkrankung wirklich leichter nimmt, bloß weil man sich sagt, man kann es eh nicht ändern? Und darf man nicht auch mal wütend und ängstlich sein? Schreien, weinen?

Da erscheint der Instagram-Account "Bowelbabe" der britischen Moderatorin Dame Deborah James, die ihrer tödlichen Krankheit schrecklicherweise gerade erlegen ist, sehr viel realistischer: Sie strahlte auf vielen Fotos, aber sie zeigte auch einiges, was nicht so gut läuft. Sagte, dass sie Angst hat, dass sie den Gedanken, ihre Kinder nicht weiter heranwachsen zu sehen, unerträglich findet. Das wirkte sehr authentisch. Und es ist nicht so, dass diese Frau nicht genügend Optimismus versprüht hätte - sie sammelte Millionen für die Darmkrebsforschung, hatte Kinder, für die sie da sein - am Leben bleiben - wollte, liebe Eltern, einen tollen Mann, einen wunderbaren Job, Freunde - und dennoch hat es nicht gereicht, zu sagen: "Dont' worry – be happy!" Ihr Optimismus war nicht genug als Heilungsmethode. Hat sie deswegen versagt? Natürlich nicht, denn dieser Scheiß-Krebs war einfach stärker als sie.

Ich bin doch nicht depri ...

Eine beliebte Frage in der Altersklasse der 40- bis 65-Jährigen ist die Frage nach den Kindern, unseren größten Prestige-Objekten. Zu 80 Prozent wird auf die Frage: "Wie geht's der Tochter/dem Sohn, was macht sie/er gerade?" mit: "Du, alles fein! Tolle Uni, tolle Wohnung, toller Abschluss, tolle Freunde, tolle Stadt, tolle Berufsaussichten, tolle Sprachkenntnisse, toll toll toll" geantwortet. Man kann sich denken, dass die Eltern sich freuen, wenn Junior auch mal danke sagen würde oder außer zu Weihnachten vorbei käme, aber nee, is' ja alles einfach zu toll.

So toll sogar, dass es den Eltern auch immer "super" geht. Dabei dürfte man doch durchaus mal anmerken, dass einen das Empty-Nest-Syndrom ganz schön umgehauen hat, dass man plötzlich sehr viel Zeit hat und erstmal nachdenken muss, was man damit anfangen soll. Stattdessen: Kompensation-Kompensation-Kompensation, immer weiter, nie zurückblicken, immer gut drauf, immer dabei. Es wäre so dermaßen sympathisch, wenn eine(r) mal sagen würde: "Ganz ehrlich, ich hatte mir das anders vorgestellt." Oder: "Ich muss mal nachdenken, ich muss mich neu sortieren." Oder gar: "Ich bin traurig." Aber nein, bloß nicht, sollen die anderen etwa denken, dass man ein Depri ist?

Nicht verwundbar sein, nicht inaktiv wirken, nicht mal durchhängen - schon mal drüber nachgedacht, wie anstrengend das ist für Leute, die nicht mit einem halbvollen Glas in der Hand geboren wurden? Die sich ständig fragen: "Ich könnte glücklich sein, warum bin ich es nicht? Ich müsste jetzt noch diesen Job haben, diese Freunde, dieses Auto, diese Eigenschaft, und schon wäre ich so glücklich wie die anderen." Denn ob der Mensch es will oder nicht: er vergleicht sich, will auf keinen Fall langweilig oder unspannend wirken. Oder gar belastend. Stimmt natürlich, es ist sehr unterhaltend, anderen zuzuhören, denen vieles gelingt, es ist amüsant, es ist kurzweilig. Aber ist es auch tiefgründig? Ist diese Person da, wenn man sie braucht? Hat diese Person nicht was Besseres zu tun, als sich dein Gejammer anzuhören? Ja, das ist zu befürchten. Dabei KANN niemand immer gut drauf sein.

Nichts gegen amerikanische Verhältnisse übrigens: Ein fröhliches "How are you?" im Supermarkt sollte jedoch wirklich nur mit "Alles bestens" beantwortet werden. Auf keinen Fall tiefergehen, nur nicken, lächeln und weiter. Aber im Freundeskreis, wenn da keiner mehr sagen kann, dass er sich mal gelangweilt hat. Dass er eine Fehlinvestition getätigt hat, dass er sich enttäuscht fühlt von sich oder jemand anderem, dann wird es bedenklich. Also, zurück zur Normalität, aber wie? Einfach mal was Blödes zugeben, das macht wirklich menschlich.

Obszöner Optimierungswahn

In jedem Buchladen schmeißen sich einem die Ratgeber an den Hals, liegen fast schon obszön mit aufgeschlagenen Seiten in der Mitte des Raumes, drängen sich auf und wollen uns "optimieren", als ob ein Mensch sich nur aus Win-Win-Situationen zusammensetzt. Es wird vorgegaukelt, dass ich glücklich sein werde, wenn ich das Richtige esse, richtig gucke, mich richtig kleide, den richtigen Job habe, den falschen aufgebe. Aber ist es nicht gerade das Unperfekte, was wir an den anderen lieben, was wir charmant finden?

Einmal Instagram geöffnet und man kommt übrigens nicht mehr raus aus dieser "Positivity"-Vergewaltigung. Dort gibt dir eine junge Frau, die aussieht wie ein Kind, aber schon 33 ist und gerade ihr viertes Kind bekommen hat, Ratschläge, wie dein Bauch wieder flach wird, ganz einfach nämlich: du musst es nur WOLLEN! Ergo: Wenn du noch 'ne Wampe hast nach drei Wochen, bist du selbst schuld und musst dich nicht wundern, wenn die anderen dich nicht ernst nehmen. Du hast es einfach nicht genug GEWOLLT!

Marie-Agnes, hilf!

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Marie-Agnes Strack-Zimmermann

(Foto: imago/photothek)

Weitergescrollt, gibt eine andere junge Frau aus gutem Hause Anlagetipps und ihre Freundin zeigt dir, wie sie gerade bei einem "Ladies Only Event" mit total tollen anderen Frauen zusammen gesessen und über Zeitmanagement konferiert haben. Ergebnis: "Zeit ohne soziale Medien ist so wichtig!" Alle tragen Blümchenkleider und haben entweder Laptop oder Säugling auf dem Schoß (außer Marie-Agnes Strack-Zimmermann, herrlich wohltuend mit merkelschen Attributen ausgestattet à la immer gleicher Hosenanzug, egal ob plus oder minus 30 Grad im Schatten). Eine andere lacht fortwährend auf ihrem Account und gibt dir zu verstehen, dass du echt in Ordnung bist, so wie du bist, aber vor einem halben Jahr - man könnte es schwören - hatte sie auch noch 20 Kilo mehr auf den Rippen.

"Dusch dich frei und verrückt!"

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Ich möchte lieber nicht: Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven | Eine Befreiung aus dem Zwang zum Glücklichsein und des positiven Denkens
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Sehr schön zusammengefasst hat diesen ganzen "Alles immer herrlich"-Wahnsinn übrigens eine Frau, die so aussieht, als müsste sie den lieben langen Tag glücklich sein, so schön ist sie, so schlau und so erfolgreich. Das Buch von Juliane Marie Schreiber heißt: "Ich möchte lieber nicht - eine Rebellion gegen den Terror des Positiven." Schreiber bekommt übrigens schon zu viel, wenn auf dem Duschgel steht: "Fühl dich frei und verrückt." Zugegeben, eine wirklich übertriebene Aufgabe für ein Duschgel, das lediglich der Körperhygiene dient. Schreiber schreibt in der Mai-Ausgabe der deutschen "Vogue" daher: "Der Glücksterror belastet nicht nur, er hat auch eine politische Dimension. Er macht uns blind für die Macht der Umstände. Wir verlagern gesellschaftliche Probleme auf eine psychologische, individuelle Ebene." Die Buchautorin glaubt, dass die meisten von uns eher an ihrer eigenen Resilienz und Effizienz mithilfe von Be-Happy-Tees, Bäume-umarmen und Tanz-dich-frei-Seminaren arbeiten würden, als einmal zuzugeben: "Nein, danke, ich kann das nicht." Oder gar: "Nein danke, ich möchte das nicht."

Auch verweist sie auf diejenigen, die nicht alles schwuppdiwupp mit einem "positiven Mindset" wieder richten können, denn manchmal lassen sich Arbeitslosigkeit, Krankheit, Verlassenwerden, Depression nicht einfach mit einem Yoga Retreat unter Gleichgesinnten ungeschehen machen. Schreiber erinnert uns daran, dass diese dunkle Seite ihre absolute Berechtigung hat. Wir neigen dazu, die negativen Aspekte einfach zu übersehen, sie zu verdrängen: "Dabei lautet eine Erkenntnis der frühesten philosophischen Texte über den Existenzialismus von Sartre über de Beauvoir bis bis hin zu modernen Psychologie: 'Leid ist ein Teil unserer Existenz.'"

Kunst, Philosophie und Religion waren über Jahrtausende Ausdruck einer Kultur der Schmerzbewältigung und ein wichtiger Motor für gesellschaftlichen Fortschritt. Wut treibt zur Handlung an, Unzufriedenheit zur Verbesserung der Lebensumstände, nicht nur der persönlichen, auch der anderer. In den USA formiert sich gerade eine große Gegenbewegung, die sich entgegen der Entscheidung des Supreme Court wieder dafür einsetzt, dass Frauen allein über ihren Körper bestimmen können und nicht ein von Männern und Konservativen gemachtes Gesetz zu Abtreibung oder nicht Abtreibung. Das ist gut. Das ist sehr gut.

Also - nicht in den falschen Hals bekommen: Positiv zu sein, das Gute zu sehen und zu fühlen, eine fröhliche Ausstrahlung und Kraft zu haben, das Streben nach Glück, immer weiter vorankommen wollen - alles super! Aber bitte nicht so tun, als wäre nie was. Wer todkrank ist oder gerade arbeitslos wurde, der darf auch mal zweifeln am lieben Gott, darf auch mal fragen: "Warum ich?", darf die Welt ungerecht und mies finden. Und hoffen, dass er Freunde hat, die trotzdem noch zuhören. In diesem Sinne: "Always look on the bright side of life!"

Quelle: ntv.de

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