"Lieber mutig und offensiv" Resilienz - der Schlüssel zur inneren Ruhe?
18.06.2023, 16:33 Uhr Artikel anhören
Jutta Heller ist Expertin für Resilienz und begleitet Unternehmen, Teams und Privatpersonen.
Jutta Heller begleitet seit über 30 Jahren Unternehmen, Führungskräfte und Teams bei der Resilienz-Beratung. Ihr Konzept: Die Schlüsselfaktoren. Nachdem sie selbst einige Krisen bewältigen konnte, teilt Jutta Heller ihre eigene Erfahrung, um andere Menschen zu unterstützen. Die "Stehauf-Qualitäten" - wie sie es nennt - sind erlernbar und sollen zur mentalen Stärke führen.
ntv.de: Was ist Resilienz?
Jutta Heller: Es geht immer um Stabilität und Flexibilität gleichzeitig. Für den Menschen bedeutet das, eine innere Regulationskompetenz zu entwickeln, sodass wir immer dann, wenn wir etwas Destabilisierendes erleben, unseren Kurs wechseln können, wodurch wir stabil sind und handeln können.
Was steckt hinter dem Konzept der Resilienz?
Akzeptanz, Unterstützung, Eigenverantwortung, Optimismus, Netzwerk-, Lösungs- und Zukunftsorientierung: Das sind die sieben Schutzfaktoren, mit denen ich arbeite. Da gibt es zahlreiche Interventionen, über die man seine Persönlichkeit so weit entwickeln kann, um leichter mit schwierigen Situationen umzugehen.
Wie wird man resilient?
Am allereinfachsten liest man zuerst ein Buch oder einen Artikel, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wenn man sich angesprochen fühlt und denkt, es wäre eine tolle Methode, um sich zu stärken, macht man einen Resilienz-Check. Der erkennt, wo der Schuh drückt und an welchen Stellen geschraubt werden soll.
Wie sieht so ein Resilienz-Check aus und wo finde ich ihn?
Diesen Check finden Sie hier. Anschließend bekommen Sie kostenfrei Coachingtipps zugemailt.
Gibt es einen Prototyp des "resilienten Menschen"?
Nein. Resilienz ist immer ein Prozess und kein Endprodukt. Immer wieder passiert etwas - dementsprechend müssen wir je nach Situation reagieren, uns anpassen und engagieren. In meinem Konzept arbeite ich mit sieben Schlüsseln, den sogenannten Schutzfaktoren, über die wir uns situativ unterstützen können.
Worin besteht die Wichtigkeit von Glaubenssätzen?
Glaubenssätze sollten ein Ziel verfolgen. Dafür sollte man erstmal überprüfen, ob man seinen Glaubenssatz unterstützend oder einschränkend formuliert und verinnerlicht hat. Durch die Verinnerlichung handelt man nach dem Glaubenssatz. Bis sich ein Mindset verändert, braucht es immer wieder neue Erfahrungen, in denen man das neue Verhalten einsetzen kann. Ist das gelungen, dann beginnt die Veränderung.
Was für eine Rolle spielen Glaubenssätze für das Mindset?
Als ich letztens einen Vortrag gehalten habe, beklagte eine Frau, dass sie immer alles alleine machen muss. Das ist aus meiner Sicht ein einschränkender Glaubenssatz. Niemand muss alles alleine hinkriegen. Klar, manchmal ist es schwierig, sich Hilfe zu organisieren, gerade in der Familie, wo jeder sein Ding machen möchte. Der eigene innere Anspruch bedeutet für viele, eine Rolle alleine perfekt auszuführen, was den Menschen möglicherweise überfordert. Das führt oft zu selbst gemachtem Stress. Über den Schlüsselfaktor "Eigenverantwortung" gesteht man sich ein, dass man sich selbst überfordert. Damit geht einher, dass man sich fragt, was einen unterstützen kann. Sätze wie: "Ich kann bewusst nein sagen", "Ich kann Grenzen setzen" und "Ich kann für mich selbst stehen" können dabei helfen, das Mindset zu ändern und die Veränderung besser aufzunehmen.
Wie gehe ich mit meinen eigenen Fehlern um?
Das hängt damit zusammen, wie man einen Fehler bewertet, wenn er passiert ist und was der Fehler einem bringt. Die Frage ist, wenn man sich selbst verurteilt oder negative Gefühle entwickelt, ob man dann richtig gut ins Arbeiten kommen kann. Deshalb sollte man sich vor Augen führen, dass Fehler passieren, und dass zum Beispiel die Korrektur eines Textes kein schlechtes Urteil ist, sondern konstruktives Feedback. Das ist auch eine Einstellungssache.
Gibt es eine Methode für zwischendurch, mit der man sein Mindset ändern kann?
Dafür gibt es verschiedene kleine Übungen. Ich empfehle den "positiven Tagesrückblick", wo man drei Dinge aufschreibt, die einen gefreut haben und immer dazu ergänzt, was man selbst dazu beigetragen hat. Damit fängt man an, seinen Wahrnehmungsfokus zu lenken, was wiederum die Stimmung beeinflusst. Wenn wir anfangen, in positiven Gefühlen unterwegs zu sein, führt das zu konstruktiven Denkprozessen. Wenn wir hingegen negative Emotionen speisen, laufen unsere Stressprogramme auf Hochtouren. Das ist verbunden mit Kämpfen, Flüchten, Totstellen. In den alten Überlebensprogrammen sind wir in der Regel nicht denkfähig.
Wie strukturiere ich meinen Alltag um?
Das hat wieder was mit dem Mindset zu tun. Welche Anspruchshaltung habe ich an mich selbst? Wie gestalte ich bewusst mein Lebensumfeld? Wer ist da jeweils beteiligt? Merke ich überhaupt - anhand meiner eigenen Energie - wie viel ich leisten kann? Da gibt es kein Patentrezept dafür, wie viele Stunden man in Freizeit, Sport oder Familienzeit investieren sollte, um ein ausgeglichenes Leben zu führen. Man muss für sich entscheiden, wie man sein Leben führen will und wo man seine Prioritäten setzt.
Wie findet man die Balance im Alltag?
Wenn die Kita um 17 Uhr schließt, muss man das Kind abholen, natürlich. Man kann aber auch schauen, ob man sich das mit dem Partner teilen kann. Oder man spricht mit dem Chef darüber, seine Arbeitszeit flexibel zu gestalten. Ich glaube, das Wichtigste ist, nicht zu meinen, alles alleine regeln zu müssen, sondern einfach das Gespräch zu suchen und Unterstützung und Hilfe zu organisieren. Lieber mutig und offensiv über die eigene Situation sprechen.
Gibt es Symptome, um zu merken, wann ich gestresst bin, wenn ich nicht bewusst merke, dass ich gestresst bin? Einfach zur Vorbeuge.
Ich persönlich arbeite gerne mit einem metaphorischen Ampel-Check: Oft sagen wir, dass alles im grünen Bereich ist - also alles gut ist. Gelb wäre logisch gesehen nicht mehr so gut, beziehungsweise wäre es besser, auf die Bremse zu drücken, um bei Rot dann auch wirklich stehen zu bleiben. Oder andersrum: Wenn die Ampel rot zeigt und anfängt, auf Gelb zu wechseln, kann man sich bereit machen, auf das Gaspedal zu treten. Erster Schritt: Wie schauen die Zustände aus? Die meisten kennen Grün und Rot, aber die Phase dazwischen nicht. Das kann man durch Gedanken, Gefühle oder sein Körpergefühl und eventuell dem sozialen Verhalten entnehmen. Am besten schreibt man die Reflexion auf.
Viele ArbeitnehmerInnen fühlen sich durch ihren Job gestresst. Wie kann man innerhalb eines Unternehmens eine Resilienz aufbauen?
Dann sprechen wir von Team-Resilienz, in der es darum geht, wie es dem Team geht und wann das Team aus der Fassung kommt. Vielleicht liegt das Problem am Umfeld oder an einer Situation. Das Teamgefühl kann bröckeln, wenn beispielsweise von der Geschäftsleitung Druck gemacht wird. Den Kurs zu wechseln und das Unternehmen zusammenzuhalten, wäre eine Aufgabe der Führungskraft, finde ich. Die sind auch dafür verantwortlich, dass eine unterstützende Atmosphäre herrscht. Die Führungskraft sollte auch herausfinden, wie jeder mit der Situation umgeht und darauf reagiert. Dann ist es wichtig, keine Negativ-Gedanken zu produzieren, sondern sich wertschätzend zu äußern. So beginnt die Interaktion innerhalb des Teams, unterstützend zu sein.
In Ihren Büchern wird das Känguru sinnbildlich als Wesen dargestellt, das die Resilienz erlernen kann. Wie kann ich es denn machen wie das Känguru?
(lacht) Diese kleinen Kängurus wachsen im Beutel der Mutter auf. Bereits ab dem vierten Monat hüpfen sie in den Beutel rein und wieder raus. Währenddessen wachsen sie weiter. Mit circa acht Monaten passen sie einfach nicht mehr hinein. Also müssen sie lernen und akzeptieren, dass ihr Leben jetzt anders verläuft. Ein anderer Aspekt ist, dass das Känguru seinen großen Schwanz als Balance für die großen Sprünge braucht. So braucht der Mensch auch eine für ihn passende Balance. Außerdem kann das Känguru nicht, wie ein Hund oder eine Katze, rückwärtslaufen. Sie müssen zukunftsorientiert nach vorne hoppeln.
Mit Prof. Dr. Jutta Heller sprach Tamara Kutanoski
Quelle: ntv.de