Leben

Eine für alle Was wären wir ohne große Schwestern?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Welche ist denn wohl die Schlauere? Welche die Schönere ist, ist einfach nur Geschmacksache.

Welche ist denn wohl die Schlauere? Welche die Schönere ist, ist einfach nur Geschmacksache.

(Foto: imago stock&people)

Schwestern - überhaupt Geschwister, ein Kapitel für sich. Ach was, Hunderte Kapitel. Zeit, sich mal Gedanken zu machen über große Schwestern.

Googelt man "little sister" kommen unzählige Lieder über kleine Schwestern: "Cry Little Sister" (Gerard McMahon), "Hey Little Sister" (Imany), "Little Sister" (Queens of the Stone Age), "Dance Little Sister" (Terence Trent D'Arby). Googelt man "Big Sister" kommt ein Lied: Der "Big Sister Song", ein Mutmachlied für Kinder. Wem das nun mehr Mut machen soll, der großen oder der kleinen Schwester, sei mal dahingestellt.

Allein die Tatsache, dass die kleine Schwester immer so ein bisschen sexy und süß ist und die große eher so verantwortungsvoll und vorausschauend - das ist doch bezeichnend. Und was soll ich sagen? Es ist so, genau so! Ich bin selbst eine "große Schwester", mein kleiner Bruder hat heute noch Alpträume, nehme ich an, wenn er an seine von mir verkorkste Kindheit denkt. Ich übertreibe natürlich, Sie kennen das bereits, er auch. Denn selbstredend war es anders. Nix verkorkst. Und auch nicht immer vernünftig. Dafür süß. Ich war eine Wegbereiterin, ganz einfach, damit kann ich leben. Ich habe ihm gezeigt, wie's geht. Wie man die Eltern um den Finger wickelt, wie man jemandem eine reinhaut, wie man Dinge vermeidet, die zu nichts führen, wie man mit Frauen umgeht, wie man ein guter Mann wird. Ich habe ganze Arbeit geleistet.

Von Hänsel & Gretel, Schneeweißchen & Rosenrot

Große Schwester - it runs in the family: Meine Mutter war auch eine große Schwester. Und meine eine Tochter ist ebenfalls eine große Schwester. Die andere ist die kleine, obwohl sie inzwischen länger ist. Die große Schwester hat mich mal wissen lassen, dass ich nicht immer alles richtig gemacht habe. Und dass ich ihr auch ein paar Dinge zugemutet habe in meinem teilweise unsteten Leben, die sie dann für ihre kleine Schwester - und sich - ausbügeln musste. Das tat und tut mir noch immer sehr leid. Aber man ist ja auch zum ersten Mal alleinerziehend, zum ersten Mal alleinverdienend, überhaupt irgendetwas zum ersten Mal, zum ersten Mal Mutter. Und diese Muttersache schreit so dermaßen nach Perfektion, dass frau es nur verhunzen kann. Es kann nicht funktionieren, angefangen beim perfekten After-Baby-Body bis hin zur Erziehung. Wir wissen es inzwischen doch eigentlich besser. Aber ich schweife ab.

Wie komme ich jetzt überhaupt auf dieses große-Schwester-Ding? Es ist die Geschichte aus dem Urwald, die mich gerade nicht in Ruhe lässt: Ein Flugzeug stürzt ab, die Erwachsenen sterben, vier Kinder überleben. Die Kinder sehen ihre Mutter grausamerweise sterben - vier Tage lang, denn noch vier Tage war sie mehr oder weniger am Leben. Sie hat ihnen mit auf den Weg gegeben, wie sie sich am besten verhalten sollen.

Ihrer ältesten Tochter wird sie wahrscheinlich gesagt haben: "Ich weiß, Lesly, du bist erst 13, aber kümmer' dich um deine Geschwister, sie brauchen dich." Also hat die kleine Lesly alles, was ihr sinnvoll erschien, an der Absturzstelle eingepackt, und ist mit ihren Geschwistern (Soleiny, 9, Tien Noriel, 5, und dem Baby Cristin, das im Dschungel ein Jahr alt wurde) losgezogen. Gefunden wurden die Kinder stark unterernährt, aber lebendig. Und vor allem: Alle vier. Sie haben sich nicht aus den Augen gelassen, und nach den ersten Gesprächen mit ihnen war klar: Lesly hat die anderen zusammengehalten, ihnen Mut gemacht, ihnen gesagt, was sie essen können und was nicht. Sie kennt sich aus im Regenwald, ihre Großmutter hat ihr viel beigebracht, 40 lange Tage und Nächte. Ein Wunder, natürlich, aber eben auch eine Leistung, die viele große Schwestern kennen dürften.

Ich hab' jetzt eine echte Puppe

Denn, und das ist immer noch so - die Gesellschaft erwartet von Schwestern stets ein bisschen mehr als von Brüdern: Ich persönlich kann nicht klagen, mein Bruder und ich wurden eigentlich immer gerecht bestraft. Wenn er was angestellt hatte, wurde ich der Einfachheit halber mitbestraft und umgekehrt genauso. Da half kein "... aber, ich kann doch gar nichts dafür", oder "... aber, ich war gar nicht dabei", es war meinen Eltern einfach zu umständlich, sich unsere jeweiligen Rechtfertigungen anzuhören. Ich musste auch nie auf ihn aufpassen. Ich erinnere mich an ein einziges Mal, ich muss acht gewesen sein und er vier, da kamen unsere Eltern einfach nicht nach Hause abends, beziehungsweise nachts, sie waren aus, und wir waren allein zu Haus'. Als wir fanden, es reicht jetzt, und uns ängstlich-besorgt fragten, wo denn bloß unsere Eltern bleiben, sind wir zu Nachbarn gegangen; Nachbarn, die unsere Eltern so richtig bekloppt fanden. Diese reizenden Nachbarn haben nun also mit uns Kindern auf die Heimkehr unserer angetüterten Eltern gewartet und uns zu später Stunde mit gerunzelter Stirn an unsere Erziehungsberechtigten übergeben. Die Sache mit dem Babysitting erledigte sich für mich von selbst, ab da musste ich nie wieder allein auf meinen kleinen Bruder aufpassen.

Immer hilfreich, immer märchenhaft - aber normalerweise, Kinder, aufgepasst! Vorsicht vor festgeklemmten Männern mit Bart!! Und seien sie auch noch so klein!

Immer hilfreich, immer märchenhaft - aber normalerweise, Kinder, aufgepasst! Vorsicht vor festgeklemmten Männern mit Bart!! Und seien sie auch noch so klein!

(Foto: imago images/H. Tschanz-Hofmann)

Da hatte es meine ältere Tochter schon schwerer. Als sie bei der Geburt der Jüngeren alle ihre bis dahin heiß geliebten Puppen in die Ecke feuerte und sagte: "Die brauch' ich nicht mehr, ich habe jetzt eine echte Puppe", war das natürlich sehr süß. Tochter 1 war sehr hilfreich, brachte, holte, machte, tat, fütterte, spielte - bis es ihr irgendwann auch langweilig wurde mit dem sehr vitalen Neuzugang. Aber - sie war drin in der Rolle. Ist es bis heute. Und es ist großartig, wie bei Schneeweißchen und Rosenrot: Sie sind keine Rivalinnen, sondern Freundinnen. Jede weiß, was sie besser kann als die andere, sie lernen voneinander, inzwischen in beide Richtungen. Als irgendwann die Frage aufkam, ob ein drittes Geschwisterchen nicht ganz putzig wäre, sagte Nummer 2, dass sie das auf keinen Fall wolle, sie wolle immer die Kleine, die Jüngste sein, unser Baby. Gut, Nummer 3 wurde dann ein Hund, damit können alle gut leben.

Das Vorurteil in mir

Schauen Sie jetzt mal bitte ganz tief in sich hinein: Denken Sie nicht auch, dass Schwestern sich gut vertragen sollten? Und dass Brüder sich ruhig mal raufen und streiten dürfen? Dass Schwestern zusammenhalten sollten? Und Brüder "ihren eigenen Platz im Leben" finden müssen? Dass Frauen und Mädchen als schwierig gelten, wenn sie streiten oder schreien, dasselbe bei Männern aber gut für die Lungen und die Führungspersönlichkeitsentwicklung ist? Weisen wir nicht noch immer den Schwestern Attribute wie "die Schönere", "die Schlauere", "die "Vernünftigere" zu? Haben Sie schonmal gehört, dass einer der Brüder "der Schönere" ist (außer bei Warren Beatty und Shirley MacLaine, was höchstgradig ungerecht ist). Diese Rollen, die Kindern zugewiesen werden, werden sie unter Umständen ein ganzes Leben lang nicht mehr los.

Es gibt Schlimmeres, das mag sein, und es kann auch anders laufen. Against all odds ist es in meinem Fall so, dass mein jüngerer Bruder trotzdem sicher immer einen Tick vernünftiger war, besser organisiert, die Reihenfolgen im Leben besser eingehalten hat und sich gesagt hat: "DEN Fehler mach' ich garantiert nicht!" Schlau! Wirklich. Ich profitiere heute davon, was beweist, dass es im Leben Gerechtigkeit gibt.

Wie heißt es so schön? Frauen sind MultitaskerInnen. Das klingt so positiv, dabei ist es eigentlich nur eine an Frauen herangetragene Unverschämtheit, die impliziert, dass sie viele Dinge auf einmal zu erledigen haben. Dinge, die Männer gern hintereinander machen dürfen. Lasst das einfach, Schwestern, werdet wie Brüder. Es bringt nur Migräne, 'ne Fettleber und Falten. Ich wünsche den vier Geschwistern aus dem Regenwald jetzt vor allem eine schnelle Genesung und keine weiteren Probleme mit ihren Verwandten, die sich bereits um die Erziehungsberechtigung der Kinder streiten. Außerdem, dass sie ihr ganzes Leben lang so zusammenhalten, wie in der nun zum Glück hinter ihnen liegenden Extremsituation. Denn anstatt zu streiten oder einander an den Haaren zu ziehen, sollten Geschwister verstehen, dass es das Beste ist, was einem passieren kann: Nie allein zu sein.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen