"Ihr Tier lockt Wildtiere an" Wie ein Kater die Nachbarn auf die Barrikaden treibt


Im Internet lieber gesehen, als auf dem Hof: der Berliner Kater "Freddie"
In Deutschland gibt es Millionen Haustiere. Aber eines scheint ganz besonders zu stören. Dies ist die skurrile Geschichte des Berliner Katers "Freddie", dessen betreute Abendspaziergänge zu einem Dorn im Auge der Nachbarschaft geworden sind. Freddie muss weg!
"Das Leben und dazu eine Katze, das ergibt eine unglaubliche Summe, ich schwör's euch", hat Rainer Maria Rilke einmal gesagt. Mein ganzes Leben lang hatte ich Katzen. Schalkhaft sagt der Volksmund, sie seien die einzigen Haustiere, die Personal haben. Seit zwei Jahren wohnt "Freddie" in meinem Haushalt. Er ist ein stattlicher, schwarzer Kater mit vier weißen Pfoten und einem weißen Fleck auf der Nase, der es liebt, in den Abendstunden mit mir gemeinsam spazieren zu gehen. An der Leine. Wie ein Hund.
Auf unseren Streifzügen durch den Kiez treffen wir viele Leute, die sich an unserem Anblick erfreuen. Man kommt ins Gespräch. Die meisten sind verzückt und interessiert, wie ich den Kater an das Geschirr gewöhnt habe. Ich antworte dann immer, das sei Zufall gewesen, denn er hat das Geschirr von klein auf mit Freude verknüpft.
Vor unserem Haus ist ein kleines Waldstück und erst seitdem ich mit meinem Kater dort spazieren gehe, beobachte ich, wie viele Tiere in der Großstadt auf engstem Raum friedlich mit uns zusammenleben. Wir begegnen Füchsen, Mardern, Fledermäusen und ganzen Igel-Familien.
In meinem Wohngebiet gibt es auch Freigänger und Streuner. Einige von ihnen verlieren ihr Leben auf der Hauptstraße, die in der Nähe meines Wohnhauses verläuft. Das Schöne: Es gibt hier auch einen riesigen, parkähnlichen, fast verwunschenen Hinterhof. Das Haus, in dem ich wohne, ist denkmalgeschützt. Der Innenhof erinnert mich immer an meine Kindheit in der DDR und daran, wie ich meiner Mutter beim Wäscheaufhängen half oder es Stunk gab, wenn Opa Krause ausgerechnet am Waschtag auf die glorreiche Idee kam, den Wohnzimmerteppich auszuklopfen.
Dort, wo ich lebe, wohnen Jung und Alt nebeneinander. Vielleicht sollte ich sagen: nebeneinander her. Im Sommer und an den Wochenenden ist der Hof fest in der Hand junger Familien. Die Kinder tollen wild umher, die Mütter sitzen auf den Bänken. Manche haben die Füße auf den Tischen, aber alle haben Spaß, auch wenn viele Ältere manchmal ob der Lautstärke schimpfen oder aber, wenn man wegen des Grill-Geruchs im Hochsommer die Fenster schließen muss. Der Hof hat ein pulsierendes Eigenleben, auf dem die größeren Kinder manchmal Soldat spielen samt Exekution, Lampen kaputttreten oder absichtlich die Latten der Sitzbänke zerbrechen. Müll wird nicht selten liegen gelassen, weil die Verwaltung die einst vorhandenen Mülleimer abmontiert hat.
"Haben Sie das Schild nicht gesehen?"
Am Eingangstor des Hofes hängt ein kleines Schild: "Hunde und Katzen ausführen nicht gestattet". Ein Verbotsschild, an das sich nicht jeder Mieter akribisch hält. Auf dem Hof sind einige Freigänger zugange, so auch "Warrior", der zehn Jahre alte Kater aus dem Nachbaraufgang, der öfter in turbulente Mauz-Gefechte wegen etwaiger Revierstreitigkeiten gerät. Auch Hunde sind gelegentlich anzutreffen. "Locke", der Pinscher von Frau Müller oder "Bommel", ein süßer Havaneser.
Wenn jemand mit seinem Haustier über den Hof spaziert, dann stets, wenn die Eltern mit ihren Kindern schon gegangen sind, der Abend über die Giebel von Berlin klettert und die Dämmerung die Geräusche des Tages langsam verschluckt. Die Stille breitet sich über dieses kleine Fleckchen Heimeligkeit aus wie eine Einladung. Denn wenn es draußen dunkel wird und in den Stuben hell, gehört der Hof den Tieren, die man tagsüber nicht sieht. Den Igel-Familien, die an der Hauswand entlangwandern, den kleinen Nagetieren und ein Fuchs war auch schon da.
Während mein Kater "Freddie", benannt nach "Queen"-Sänger Freddie Mercury, im gesicherten Hof über den Rasen flitzt wie Jesse Owens und sich seines herrlichen Katzenlebens erfreut, erscheint plötzlich eine Frau auf dem Hof, um die Wäsche von der Leine zu nehmen. Unsere Blicke treffen sich. Verständnislos, fast verächtlich schüttelt sie den Kopf, als sie an mir vorbeigeht. Ich sage verdutzt und etwas forsch: "Hallo?" Sie antwortet schnippisch: "Selber Hallo." Schließlich fragt sie mich vorwurfsvoll, ob ich das Schild am Hofgatter nicht gesehen hätte. "Doch", sage ich, "ich wohne seit sechs Jahren hier." "Na, bitte! Dann wissen Sie ja Bescheid." Wenig schlagfertig und leider auch nicht deeskalierend antworte ich abwehrend: "Na dann gehen Sie sich mal schnell bei der Hausverwaltung über die böse Katze beschweren!"
Einige Tage später bin ich wieder auf dem Hof. Eine andere Frau ruft mir vom Balkon entgegen, meine Katze würde ihr, "den Blick in die Natur versperren." Vor ihrem Balkon ist eine Blumenwiese, in der "Freddie" selbstredend verschwindet, so klein ist er. Die Dame schimpft, mein Kater "lockt die Wildtiere an". Wir sehen zu, dass wir uns schnell vom Acker machen.
Auf dem Heimweg hänge ich meinen Gedanken nach. Ich stelle mir vor, wie der Hof durch meinen "Wildtier-Anlocker" wohl aussähe, wenn er wirklich voller Wildtiere wäre. Nicht nur die kleinen Nagetiere wären da, sondern auch Hirsche, Rehe und Wildschweine. Löwen sollen in Berlin ja auch schon gesichtet worden sein.
Gute Nachbarschaft vs. Verbotsschilder
Ein paar Wochen meide ich den Hof bei unseren allabendlichen Spaziergängen, auch wenn mein Kater mich immer wieder in dessen Richtung zieht. Auf der Straße sehen wir wieder in viele freundliche Gesichter. Aber im Hof sind wir nicht willkommen. Weil da eben ein Schild hängt. Dieses Schild gibt den Leuten die Legitimation, sich zu beschweren. Zu tuscheln. Hinter den Gardinen zu stehen und uns zu beobachten. Die Frau im Hof macht etwas, das laut Schild "nicht gestattet" ist. Sie geht spazieren. Mit ihrer Katze. Das ist, man kann das kaum glauben, für die Nachbarn ein einziger Skandal.
Dass "Freddie" bei seinem Hofbesuch immer betreut ist, weder sein Geschäft hinterlassen kann und auch vom Sandkasten ferngehalten wird, ist irrelevant, schließlich hängt da ja - dieses Schild! Und wenn uns Deutschen eines wichtig ist, dann sind es unsere Verbotsschilder. Wer braucht schon gute Nachbarschaft, Harmonie und sinnvolle Kommunikation, wenn er Verbotsschilder hat?
Es folgt ein weiterer Versuch, mit einem der Nachbarn, der sich an meinem Vierbeiner stört, ins Gespräch zu kommen. Auf die Frage, was er denn zu den Freigängern im Hof sagt, antwortet er herablassend, das würde mich nichts angehen. Ich komme zu der Erkenntnis, dass das Verbotsschild anscheinend nur für meinen Kater gilt, man sollte es umbenennen in: "Das Ausführen von Katzen mit dem Namen "Freddie" ist in den Grünanlagen nicht gestattet".
Eines Abends, es ist schon fast dunkel geworden, fährt ein kleines Kind mit seinem Rad an mir und meinem Kater vorbei. Als es uns erblickt, ruft es seiner Mutter zu: "Mama, da ist schon wieder diese Katze!" Diese Katze. Diese böse Katze. Die Mutter erwidert in feinstem Empörungsgestus: "Ja, und die dürfte eigentlich gar nicht hier sein!"
Katzen sind kleine, scheue Geschöpfe
Als ich anfing, mit "Freddie" spazieren zu gehen, habe ich unsere Streifzüge gelegentlich gefilmt. Tausende Menschen schauen inzwischen zu und mögen die kleinen Momente der Entschleunigung. Neulich hat mir eine Lehrerin geschrieben, die ihren Schülern beibringt, wie gut und wichtig Empathie für Tiere ist. Einmal habe sie zu einem Schnuppertag eingeladen und ihren kleinen Hund mitgebracht. Zwanzig Kinder, so sagte sie, haben voller Freude den Hund gestreichelt und mit ihm gespielt. Vier Kinder standen daneben, eines davon zwickte den Hund, ein anderes zog ihm am Schwanz und sagte, das "sei nur ein Tier, das nichts wert" sei. Den Rest möchte ich hier nicht reproduzieren.
Es gibt auf dieser Welt so viele Probleme. Wie wir mit unseren Tieren umgehen, ist nur eines davon. Und es betrübt mich sehr, dass es Eltern gibt, die ihre Antipathie gegen eine Katzenspaziergängerin, die in den Abendstunden über einen leeren Hof streift (Verbotsschild hin oder her), an ihre Kinder weitergeben. Die Mutter hätte auch zu ihrem Kind sagen können: "Oh, wollen wir mal fragen, ob wir die Katze streicheln dürfen?"
Dieser Hinterhof in meinem Kiez ist der einzige, den ich kenne mit einem Verbotsschild für Katzen. Katzen sind kleine, oft scheue Geschöpfe, die gern schnüffelnd durch die Natur pirschen.
Eine ältere Dame, die hier seit den Sechzigerjahren wohnt, verrät mir den Grund für das so wichtige Verbotsschild. Eine Katze habe sich mal im Sandkasten erleichtert. Das ist natürlich nicht schön. Aber niemand sieht oder interessiert sich für die Tiere, die tagsüber unbeaufsichtigt oder nachts im Hof unterwegs sind. Und vielleicht brauchen sie deswegen jemanden, den sie dafür verantwortlich machen können.
Empathie ist die Grundlage für eine gute Gesellschaft
Mit über 20.000 Tier- und Pflanzenarten ist Berlin eine der artenreichsten Städte Europas. Viele Tiere arrangieren sich zwangsläufig mit der Enge, die wir Menschen erzeugt haben, sowie mit dem stetig anwachsenden Autoverkehr. Die streng geschützten, nachtaktiven Fledermäuse oder eine Igel-Familie zu beobachten, empfinde ich als Bereicherung. Natürlich sollte man genügend Abstand halten. Ich verstehe jeden Menschen, der nicht möchte, dass Kinder beim Spielen in Tier-Exkremente treten. Deswegen und wegen der Gefahr für sein Leben, die von uns Menschen ausgeht, lasse ich "Freddie" nie allein auf die Straße oder auf den Hof. Ich hätte mir nur etwas mehr Kommunikation gewünscht, als unhöfliches Verweisen auf solch ein Verbotsschild.
Letzten Endes wird es darauf hinauslaufen, dass ich einen Brief von der Verwaltung erhalte, in dem ich freundlich darauf hingewiesen werde, mich doch bitte an die Hausordnung zu halten. Dann werden einige Mütter hinter ihren Gardinen stehen und ihren Sieg feiern, den sie für ihre Kinder errungen haben. Denn Freddie wird dann nicht mehr in der Dämmerung über die Wiese des geschützten Hofes rennen und in der Dunkelheit dem Konzert der Grillen lauschen. Und die Mieter der Wohnanlage sind dann endlich vor dem spitzohrigen Unhold geschützt.
Darüber hinaus bin ich der festen Überzeugung, dass es wichtig ist, unseren Kindern Empathie für jedes Lebewesen beizubringen. Denn diese Fähigkeit ist das Fundament für ein harmonisches Zusammenleben. Die Vermittlung von Empathie für jede Art von Leben an unsere Kinder trägt zu einer mitfühlenderen Gesellschaft bei. Eine Gesellschaft, in der man über den eigenen Tellerrand schaut und sich nicht daran stößt, wenn ein kleiner Kater im noch satten Gras liegt und seine Nase neugierig in den Abendhimmel hält.
Quelle: ntv.de