
Der Zauber liegt im Detail.
(Foto: Ocean)
Wenn das Essen versalzen schmeckt, dann liegt das daran, dass ein Koch seine Gäste derart verwöhnt, dass sie zu Tränen gerührt sind. Alexander Oetker, ntv-Frankreich-Experte, war wieder unterwegs, dieses Mal in Portugal. Genauer gesagt ist er an die Algarve gereist. Oder in den Himmel, wie er es nennt.
Die Algarve war jahrzehntelang eine Gourmet-Wüste. Bis zwei Österreicher kamen und den Portugiesen zeigten, wie stolz sie auf ihre Produkte sein können. Dieter Koschina hält seit 23 Jahren zwei Sterne in der "Vila Joya", sein jüngeres Pendant heißt Hans Neuner - und Neuner kocht derart besonders, dass er Gäste zu Tränen rührt.
Die Theatervorstellung beginnt, wenn sich die hölzerne Flügeltür öffnet. Draußen hat sich nach einem langen Strandtag schon der Abend über die Algarve gesenkt. Dann stockt dem Gast das erste Mal der Atem. Da ist die kurze Treppe, der Holzboden und auf der rechten Seite die Wand, wie ein riesiger Setzkasten, gefüllt mit wunderschönen Korallen. Dazu das ausgeklügelte Lichtkonzept - und dann: die Fensterfront, bodentief und darin, wie ein gemaltes Bild, das Meer unter dem dunkelblauen Himmel, nur ein paar Felsen und der Ozean, weit bis zum Horizont, die Wellen, die heranrauschen. Sofort wird klar: Es gibt wenig schönere Gasträume auf der Welt.
Vorhang auf fürs "Ocean", Vorhang auf für Hans Neuner. Seit 13 Jahren kocht der Tiroler Junge mit den tätowierten Armen hier. Das Hoteldorf ist geschaffen von Familie Pohl, der die Deutsche Vermögensberatung gehört, also hat Neuner reichlich Geld im Rücken. Aber das haben viele Köche. Der Österreicher hat halt was daraus gemacht - er hat seine Freiheit erhalten, innerlich und äußerlich - und es ist keine Übertreibung, zu sagen: Nirgendwo in Portugal können Sie derzeit besser essen als hier.
Aufregend und supergut
Der Zauber liegt im Detail: Das Menü kommt als Schatzkarte, der Gast muss es ausrollen und wird gleich mitgenommen auf die Reise. Und dann kommt die halbmeterlange metallene Ankerkette als Amuse-Bouche an den Tisch: Der Anker aber ist aus hauchzartem Teig, gefüllt mit Makrele, roh und als Crème, dazu feinste Tomaten und Basilikum, daneben liegt eine Venusmuschel aus Knusperteig, gefüllt mit einem Bluefin-Thunfisch-Tatar. In anderen Restaurants könnte dieser große Auftritt als reine Showeinlage verkommen, hier ist es beides: aufregend und supergut.
Hans Neuner hat während der ersten Lockdown-Wochen Panik geschoben: Was soll er tun mit all den Angestellten? Was, wenn die Krise länger dauert? In Portugal, wo das Geld traditionell nicht sehr locker sitzt, würden sich die erfahrenen Kellner, Commis und Sommelière schnell nach einer anderen Arbeit umsehen, außerhalb der Gastronomie. Das durfte nicht passieren. Also lud der Chef die Crew kurzerhand ins Flugzeug - doch wohin sollte er reisen? Die Welt war quasi geschlossen. Aber Portugal hat ja seine eigene Welt. Also flog das Team einmal durch Portugals Inseln und frühere Kolonien: Madeira, Azoren, Sao Tome, einige Flugstunden entfernt von Ghana. Sie schlugen sich durch Berge und Dschungel, besuchten Köche und normale Familien, fanden seltene Produkte - und brachten die Rezepte der Inseln mit, das kulinarische Gedächtnis Portugals.
Schmoren auf den Azoren
Auf den Azoren etwa ist das die Alcatra. Ein Eintopf aus Rind, gewürzt mit Lorbeer, Chili, Knoblauch und Speck, der oft einen ganzen Tag im Tontopf in den heißen Steinen der Insel vor sich hinschmort. Neuner setzt diesen Eintopf jetzt jeden Tag an - und serviert anschließend nur die Brühe in einem Emailletopf, dazu serviert er gerolltes Wagyu-Rind auf dem luftigen Brot der Insel Terceira. Einmal hatte er Gäste von den Azoren, die in Tränen ausbrachen, voller Stolz darauf, dass hier jemand der rustikalen Küche ihrer Heimat ein Sterne-Denkmal setzte.
Es ist eine Reise durch Portugals Inselwelt, immer aufregend, immer mit einem Augenzwinkern: Der Rochen mit Austern kommt hauchfein in einer aberwitzig grünen Schnittlauchsoße und könnte ein Signaturgericht werden, so schön ist dieser Teller.
Das Lebensende der perfekt gegarten Chalot-Ente wird mit Maulbeeren dargestellt, die wie Schrotkugeln auf dem Teller platziert sind. Das Dessert aus weichem Käse, Surinam-Kirsche und Nüssen kommt dekorativ in einer alten Schmelzkäse-Packung - es ist so zauberhaft wie aromatisch.
Im Laufe des Abends verlieren die Gäste die Ehrfurcht vor diesem Palast überm Meer, es gibt Lachen, laute Gespräche, es sind kosmopolitische Gäste aus aller Welt. Ein bisschen wie auf dem Broadway. Doch das hier ist eben keine Show, nur reines Wohlgefühl - und die Frage: Warum hat so einer nicht längst drei Sterne? Würde Hans Neuner nicht in Portugal kochen, das traditionell unterbewertet wird, wäre er längst in der Königsklasse angekommen. Aber bald wird er den dritten Stern bekommen - deshalb ist die unbedingte Empfehlung: Hingehen. Jetzt. Bald wird die Wartezeit für einen Tisch ein Jahr dauern.
Ocean im Hotel Vila Vita Parc, Rua Anneliese Pohl, 8400-450 Porches, Portugal, Menü in 13 Schritten 235 Euro, Weinbegleitung 140 Euro
Der Weintipp aus dem "Ocean":
Der Quinta da Pedra in der auffälligen Flasche wird von Sommelier Ricardo Rodrigues als 2014er Jahrgang serviert, aber auch jüngere Weine sind einfach herrlich sommerlich und bringen neben Leichtigkeit auch eine herbe Mineralität mit: Die Apfelnoten sind schon in der Nase, bevor der erste Schluck sich auf die Zunge legt. Ein wunderbarer Wein für Fischgerichte - und ein Beleg dafür, wie hoch die Qualität in Portugal ist, bei einem unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnis (22,25 Euro). In Frankreich würde so ein Wein dreimal so viel kosten.
Quelle: ntv.de