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"Im Zweifel für den Angeklagten" - so lautet eine ungeschriebene Grundsatzregel der Rechtsordnung. Diese Unschuldsvermutung soll sicherstellen, dass Angeklagte, an deren Schuld Zweifel bestehen, nicht zu Unrecht verurteilt werden.
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Doch was, wenn dieser Grundsatz gar nicht greift? Weil gar keine Zweifel für die Justiz bestehen? Und der Tatbestand so klar erscheint, dass es zu einem rechtskräftigen Urteil kommt?
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In solchen Fällen spricht man von einem Justizirrtum: einem Fehlurteil, wegen dem ein Angeklagter irrtümlicher Weise zu einer Freiheits- oder gar Todesstrafe verurteilt wird.
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Tatsächlich berichten Medien immer wieder über solche Einzelschicksale. Denn auch hinter Richterbänken sitzen nur Menschen, und Menschen machen Fehler.
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Einige Fälle sorgen in der Öffentlichkeit besonders für Aufsehen. Sie sind besonders tragisch, verwunderlich, grotesk oder langwierig.
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In Deutschland erregt so zum Beispiel die Geschichte von Harry Wörz großes Aufsehen.
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Der 48-Jährige wird 1998 zu Unrecht des versuchten Totschlages an seiner damaligen Frau für schuldig befunden.
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Elf Jahre soll Wörz daraufhin ins Gefängnis gehen. Doch er gibt nicht auf, sondern legt Revision ein, stellt Anträge zur Wiederaufnahme des Verfahrens, legt Beschwerden ein ...
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... und erreicht schließlich ein Wiederaufnahmeverfahren, ...
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... das am 6. Oktober 2005 zu seinen Gunsten entschieden wird. Zu seiner Freude und der seiner Frau Anke entscheidet das Landgericht Mannheim, dass Wörz' Schuld nicht nachweisbar sei.
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Doch der Kampf von Wörz gegen die Justiz ist noch nicht beendet. Seit seiner Entlassung streitet er mit den Behörden um die Höhe seiner Haftentschädigung.
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Für den Zeitraum seiner Haftstrafe erhält er rund 42.000 Euro, was einem Tagessatz von 25 Euro entspricht.
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Doch damit nicht genug. Wegen "strafverfolgungsbedingter Erwerbsunfähigkeit" bekommt er außerdem monatliche Zahlungen. Über die Höhe ist nichts bekannt, außer dass Harry Wörz sich nicht mit ihr zufrieden gibt. Er legt Klage ein.
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Ein Fall, der über Landesgrenzen hinaus auf großes Interesse stößt, ist der von James Bain (2.v.l.).
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Der US-Amerikaner sitzt ganze 35 Jahre unschuldig im Knast, bevor er im Dezember 2009 freigesprochen wird.
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1974 wird er aufgrund der Aussage eines erst Neunjährigen wegen Entführung und Vergewaltigung verurteilt, ...
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... und das, obwohl er zur Tatzeit ein Alibi hat. Erst dank eines DNA-Tests wird er schließlich entlassen - übrigens als 248. unschuldig Inhaftierter, der dank einer Erbgutprobe in den USA freigesprochen wird.
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Seine Geschichte erzählt er danach Menschen auf der ganzen Welt - wie hier als Gast bei "Menschen 2010" bei Thomas Gottschalk.
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Das Schicksal dieser Frau ist hingegen noch ungeklärt. Die in Berlin geborene US-Todeskandidatin Debra Milke soll 1989 zwei Männer angestiftet haben, ihren vierjährigen Sohn Christopher zu ermorden.
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Wegen mangelnder Beweise wird dieses Urteil 2013 nach 24 Jahren aufgehoben (hier mit ihrer Mutter).
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Milkes Verurteilung ist stets umstritten, da sie fast ausschließlich auf einem Geständnis beruht, das sie nie abgelegt haben will.
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Ob jedoch ein Wiederaufnahmeverfahren ansteht, ist noch unklar. Die zuständige Richterin lehnt bislang eine endgültige Einstellung des Verfahrens ab.
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Die hier dargestellten Schicksale sind keine Seltenheit. Immer wieder gibt es Berichte über Menschen, die langjährige Haftstrafen absitzen müssen, bevor ihre Unschuld bewiesen werden kann.
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So geschehen auch bei Jonathan Fleming. Der US-Amerikaner kommt nach 24 Jahren frei, weil er nachweisen kann, dass er sich zur fraglichen Tatzeit 1800 Kilometer von New York - dem Tatort - in Disneyland aufhielt.
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Bei seinem Freispruch am 8. April 2014 bricht Fleming in Tränen aus und fällt seinem Anwalt Anthony Mayol in die Arme. "Der Tag ist endlich gekommen. Ich habe so viele Nächte davon geträumt."
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Besonders tragisch ist auch das Schicksal von Mary Virginia Jones, die 1981 wegen Mordes verurteilt wird. Die US-Amerikanerin sitzt ganze 32 Jahre im Gefängnis, bevor die Justiz ihren Irrtum aufklärt.
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Freigesprochen wird sie letztlich nur, weil Jura-Studenten sich ihres Falls annehmen und die Beweise widerlegen. "Unwirklich", so die mittlerweile 71-Jährige bei ihrer Freilassung.
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Fast ein halbes Jahrhundert muss der Kanadier Steven Truscott auf seinen Freispruch warten. 2007 wird das Urteil gegen ihn erst nach langen 48 Jahren für nichtig erklärt.
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1959 wird er als erst 14-Jähriger als jüngste Person des kanadischen Justizgeschichte zum Tode verurteilt. Nach zehn Jahren kommt er jedoch dank des enormen Einsatzes seiner Anwälte auf Bewährung raus.
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Der Weg zu Truscotts nachträglichem Freispruch beginnt jedoch erst im Jahr 2000. Die kanadische Fernsehgesellschaft CBC recherchiert im Rahmen einer Berichterstattung über den Fall und findet Hinweise auf Ermittlungsfehler.
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Erst auf dieser Grundlage erreicht der Kanadier 2001 die Wiederaufnahme des Verfahrens, das schließlich für den Familienvater (hier mit seinen drei Kindern und seiner Ehefrau) mit der Aufhebung des Urteils endet.
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Kein wirkliches Happy End erfährt dagegen die britische Anwältin Sally Clark.
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Sie wird zwar 2003 nach einer ursprünglichen Verurteilung wegen Mordes an ihren zwei Söhnen freigelassen, ...
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... doch sie erholt sich nie wieder von ihrem vierjährigen Gefängnisaufenthalt und den falschen Anschuldigungen.
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Nach ihrer Haftentlassung wird Clark alkoholabhängig und stirbt 2007 im Alter von 43 Jahren an einer Alkoholvergiftung.
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Nicht minder tragisch ist das Schicksal des jungen Briten Derek Bentley.
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Im Alter von nur 19 Jahren wird er 1953 trotz öffentlicher Proteste wegen Mordes an einem Polizisten hingerichtet.
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Dereks Schwester Iris glaubt nie an seine Schuld und ruft verschiedene Kampagnen ins Leben, um eine posthume Begnadigung ihres Bruders zu erreichen.
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Als diese schließlich 1998 erzielt wird, kann sich nur noch Iris' Tochter Maria freuen.
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Ihre Mutter erliegt bereits 1997 ihrem Krebsleiden.
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Doch durch den Tod Derek Bentleys wird eine scharfe Debatte um die Todesstrafe in Großbritannien angeheizt. 1965 erlässt die britische Regierung schließlich ein Gesetz ("Murder Act"), das die Todesstrafe abschafft.
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Der Fall von Rubin "Hurricane" Carter findet auf anderer Ebene großes Interesse.
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Hollywood wird auf die Geschichte des Mittelgewichtboxers aufmerksam, der wegen einer unrechtmäßigen Verurteilung wegen Mordes 19 Jahre hinter Gittern sitzt.
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Denzel Washington wird für seine Darstellung des zu Unrecht verurteilten Boxers Carter in "Hurricane" vielfach mit Filmpreisen ausgezeichnet - hier mit dem Silbernen Bären im Jahr 2000 in Berlin.
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Nach seiner Freilassung 1985 engagiert sich Carter in einem Verein für Justizopfer. Dieses Bild zeigt ihn mit der ebenfalls zu Unrecht wegen Mordes verurteilten Linda Chamberlain-Creighton im März 2012.
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Durch die Verfilmung seiner Geschichte erfährt Carter große mediale Aufmerksamkeit. So wird die Nachricht von seinem Krebstod im April 2014 mit großer Bestürzung von der Öffentlichkeit aufgenommen.
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Ob diese junge Frau in die Liste spektakulärer Justizirrtümer aufgenommen werden muss, wird womöglich nie endgültig geklärt werden können.
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"Der Engel mit den Eisaugen", wie die US-Amerikanerin oft genannt wird, soll 2007 zusammen mit ihrem damaligen Freund Raffaele Sollecito ihre Mitbewohnerin Meredith Kercher umgebracht haben.
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Die Verhandlung gegen die beiden gestaltet sich jedoch zu einem wahren Justizkrimi.
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Nachdem sie 2009 zunächst für schuldig befunden wird, ...
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... wird sie 2011 in einem Berufungsverfahren für unschuldig befunden und aus der Haft entlassen.
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Amanda Knox genießt ihre Freiheit, sie schreibt eine Biografie, gibt sogar im Fernsehen Interviews über ihr Schicksal (hier bei "Markus Lanz").
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Doch dann der Rückschlag: Die Staatsanwaltschaft geht in Revision und das Gericht entscheidet: Amanda Knox ist schuldig.
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Hat die Justiz Unrecht? Was ist im November 2007 in der Wohnung von Amanda Knox im italienischen Perugia tatsächlich geschehen? Der Ausgang dieses Falls ist noch ungewiss.
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Ganz ähnlich sieht es im Fall von Peggy Knoblauch aus.
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2004 wird der geistig Behinderte Ulvi K. wegen Mordes an dem Mädchen zu lebenslanger Haft verurteilt.
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Zweifel an der tatsächlichen Schuld des Mannes kommen schnell auf.
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Die Rede ist von gefälschten Beweisen, einem erzwungenen Geständnis, dem generellen Vermögen des Beschuldigten, die Tat zu begehen.
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Und nicht zuletzt: Eine Leiche wird nicht gefunden. Peggys Mutter, Susanne Knoblauch, zweifelt dennoch nicht am Tod ihrer Tochter.
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Es bleibt noch offen, ob sich im laufenden Wiederaufnahmeprozess zeigen wird, dass Ulvi K. Opfer der Justiz geworden ist.
Große Justizirrtümer Fehlurteile und ihre Einzelschicksale
Unschuldig hinter Gittern: ein Albtraum, der für Betroffene kein Ende nehmen kann. Zwar besteht immer die Möglichkeit zur Revision - doch was, wenn die nachträgliche Aufhebung des Urteils erst Jahre später oder gar zu spät kommt?
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