Premier bleibt im Amt Boris Johnson übersteht Misstrauensvotum
06.06.2022, 22:03 Uhr
Boris Johnson könnte die fraktionsinterne Abstimmung als Sieg verkaufen - das ist sie aber nicht.
(Foto: dpa)
Boris Johnson kann erst einmal aufatmen. Die Mehrheit der Tory-Partei spricht ihm das Vertrauen im Parlament aus. Ein echter Erfolg ist das Votum allerdings nicht. Zu viele Parlamentarier entziehen ihm die Unterstützung. Dazu stehen Johnsons Partei Ende Juni zwei wichtige Wahlen bevor.
Der britische Premierminister Boris Johnson hat ein Misstrauensvotum in seiner konservativen Fraktion überstanden. Die Mehrheit seiner Parteikollegen sprach dem Premier in London ihr Vertrauen aus. Auslöser für die Abstimmung war die Affäre um Partys in Johnsons Amtssitz während des Corona-Lockdowns. Am Ende sprachen 211 Parlamentarier Johnson das Vertrauen aus, 148 taten das nicht.
Das Ergebnis kann Johnson keineswegs als Erfolg verbuchen - auch wenn er genau das tat. "Ich glaube, das ist ein extrem gutes, positives, abschließendes und deutliches Ergebnis", sagte der konservative Parteichef nach der Abstimmung in einem Fernsehinterview. Er fügte hinzu: "Was das bedeutet ist, dass wir als Regierung nun voranschreiten können und uns auf Dinge konzentrieren können, die den Menschen meiner Meinung nach wirklich wichtig sind." Das dürfte allerdings zunehmend schwerer werden: Johznson hat die Unterstützung von 40 Prozent seiner Abgeordneten in der Parlamentsfraktion verloren - mehr als Theresa May 2018 bei ihrem Misstrauensvotum. Innerhalb von acht Monaten nach diesem Ergebnis trat May von ihrem Amt zurück.
Ein Misstrauensvotum wird nach den Regeln der britischen Konservativen abgehalten, wenn 15 Prozent der Fraktion dem Premier das Misstrauen ausspricht. Diese Schwelle war am Sonntag mit entsprechenden Mitteilungen von mindestens 54 der 359 Tory-Abgeordneten erreicht worden, wie der Vorsitzende des zuständigen Parteiausschusses, Graham Brady, mitgeteilt hatte. Die Abstimmung wurde noch am Abend abgehalten.
"Johnson ohne politische Agenda"
Johnson war unter Druck geraten, nachdem Details über teilweise exzessive Partys in seinem Amtssitz in der Londoner Downing Street während der Corona-Lockdowns ans Licht gekommen waren. Der konservative Politiker hatte die Feiern geduldet und war stellenweise sogar dabei gewesen. Ein Untersuchungsbericht warf den Verantwortlichen in der Downing Street Führungsversagen vor. Johnson musste wegen der Teilnahme an einer illegalen Lockdown-Party eine Geldstrafe zahlen und gilt damit als erster amtierender Premierminister Großbritanniens, der erwiesenermaßen das Gesetz gebrochen hat.
Es war aber nicht nur die laxe Haltung gegenüber den eigenen Regeln, die Johnsons Gegner in der eigenen Partei auf die Barrikaden gebracht hat. Der Tory-Abgeordnete und langjährige Johnson-Weggefährte Jesse Norman warf dem Premier unter anderem vor, die Einheit des Landes zu gefährden. Den Konfrontationskurs mit Brüssel in der Nordirland-Frage bezeichnete er als "wirtschaftlich sehr schädlich, politisch töricht und beinahe sicher illegal". Johnsons Plan, Flüchtlinge nach Ruanda abzuschieben, beschrieb er als "hässlich, wahrscheinlich kontraproduktiv und von zweifelhafter Rechtmäßigkeit". Eine langfristige politische Agenda habe er hingegen nicht. "Stattdessen versuchst du einfach nur Wahlkampf zu betreiben, indem du ständig das Thema wechselst und politische und kulturelle Gräben hauptsächlich zu deinem eigenen Vorteil schaffst", so Norman weiter.
Rebellion ist breit gestreut
Ebenfalls zu denken geben sollte Johnson, dass die Rebellion nicht nur von einem Flügel der Partei zu kommen schien. Beispielsweise finden sich unter seinen Kritikern sowohl beinharte Brexit-Anhänger wie der Abgeordnete Steve Baker und Ex-Brexit-Minister David Davis als auch Remainer wie Tobias Ellwood, der kürzlich eine Rückkehr in den EU-Binnenmarkt forderte. Seit Monaten hatten immer wieder Parteikollegen Johnson öffentlich zum Rücktritt aufgefordert. Der Versuch, ihn aus dem Amt zu jagen, ist nun vorerst gescheitert.
Nach den aktuellen Parteiregeln darf für die Dauer von zwölf Monaten kein weiteres Misstrauensvotum gegen Johnson angestrengt werden. Doch die Hoffnung, dass die Kritik an ihm jetzt verstummen wird, dürfte ebenfalls vergeblich sein. Johnson hat zwar noch die Mehrheit der Fraktion hinter sich, doch die Fronten innerhalb der eigenen Partei scheinen so verhärtet, dass ihm das Regieren zunehmend schwerfallen dürfte. Die nächste Krise für Johnson droht, wenn am 23. Juni in zwei englischen Wahlkreisen Nachwahlen stattfinden. In mindestens einem davon müssen sich die Tories auf eine schwere Niederlage einstellen.
Eine unmittelbare Kampfansage folgte vom Oppositionsführer Keir Starmer. "Die Wahl ist klarer als je zuvor: Gespaltene Tories, die Boris Johnson stützen und keinen Plan haben, um die Probleme anzugehen, mit denen sie konfrontiert sind. Oder eine vereinte Labour-Partei mit einem Plan zur Lösung der Lebenskostenkrise und zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Politik. Labour wird Großbritannien wieder auf den richtigen Weg bringen", schrieb der Labour-Chef auf Twitter.
Quelle: ntv.de, mba/dpa