Panorama

Alkohol und Kunst: It's a match! Abensberg besäuft sich an Hundertwasser

35 Meter hoch thront der Hundertwasser-Turm über dem Biergarten der Brauerei Kuchelbauer.

35 Meter hoch thront der Hundertwasser-Turm über dem Biergarten der Brauerei Kuchelbauer.

(Foto: Katrin Müller)

Im niederbayrischen Abensberg macht ein findiger Brauer mit seinem extravaganten Weißbierturm Kasse. Hunderttausende Touristen besteigen jedes Jahr den Hundertwasser-Turm. Ausgerechnet der Bürgermeister hat an dem Besucherboom keine Freude.

In Abensberg steht ein Turm. Er ist weder der höchste, vielleicht auch nicht der schönste und ganz sicher nicht der älteste Turm im an Kirchtürmen alles andere als armen Bayern. Und trotzdem kommen pro Jahr rund 500.000 Menschen nach Abensberg, um sich den Kuchlbauer-Turm, wie er offiziell heißt, anzuschauen. Das liegt zum einen an Friedensreich Hundertwasser, dem exzentrischen Maler und Architekten, und zum anderen - am Bier.

Von jeder Seite anders beeindruckend - oder kitschig, je nach Lesart.

Von jeder Seite anders beeindruckend - oder kitschig, je nach Lesart.

(Foto: Katrin Müller)

"Wir sind die einzige Brauerei, die das Brauen zur Kunst erhoben hat", sagt Brauereichef Leonhard Salleck beim Ortstermin am Fuße des Turms, der offiziell zwar ein Hundertwasser-Projekt ist, aber wie die meisten seiner Visionen von dessen Hausarchitekten Peter Pelikan geplant und umgesetzt wurde. Es ist Mittagszeit, auf dem Gelände der Kuchlbauer-Brauerei herrscht Hochbetrieb: Gerade hat ein Reisebus mit Aachener Kennzeichen eine Gruppe schnatternder Rentner auf den Parkplatz gespuckt - es ist nicht die erste und wird auch nicht die letzte Reisegruppe sein, die an diesem sonnigen Junitag Kultur und Konsum miteinander verbinden möchte. "Am Anfang stand die Idee, den Weißbierausstoß der Brauerei weiter zu steigern", gibt Salleck dann auch ganz unumwunden zu. Mit seinen Inspirationsquellen hält der umtriebige Braumeister nicht hinter dem Berg: Er habe in den 90ern das "nahezu perfekte Brauereimuseum" der Salzburger Stiegl-Brauerei mit 25.000 Besuchern jährlich besichtigt - und kurz darauf die nahegelegenen Swarowsky Kristallwelten, die mit einem vom österreichischen Aktionskünstler André Heller reichlich kitschig umgesetzten und von einem Riesen bewachten Kristallschatz mehr als 20 mal so viele Menschen anzog.

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Salleck, den nach eigener Aussage neben seinem Faible für Weißbier vor allem "die Liebe zum Schönen, zur Kunst, zur Weisheit, also der Philosophie" umtreibt, sah damals eine Chance, seine Leidenschaften geldbringend miteinander zu verbinden und schritt zur Tat. Erfolgreich, wenn man sich den 35 Meter hohen Turm heute anschaut: "56 Prozent unserer Besucher sind Frauen. Kunst und Braukultur an einem Ort zu vereinen, das war ein marketingtechnisches Meisterstück", sagt Andreas Uhrmacher, der als Statiker am Bau des Turms beteiligt war. Oder, wie ein Besucher weniger staatstragend formuliert: "Meine Frau freut sich auf den hübschen Turm, ich freu mich aufs Saufen." Eine klassische Win-win-Situation also? Von wegen: Nicht alle Abensberger haben ihre Freude an dem Hundertwasser-Turm in ihrem Städtchen. Auch der Oberbürgermeister hadert mit dem Bauwerk.

Verzauberte Stadt oder endloser Frust?

"Für mich ist eine Verbesserung der finanziellen Situation für Abensberg nicht messbar", sagt Uwe Brandl. Ganz im Gegenteil: "Am Steueraufkommen ist kaum eine Änderung feststellbar - und die geringen Mehreinnahmen werden von den gestiegenen Kosten für Dinge wie die Parkraumüberwachung und Touristeninformation aufgefressen. Ganz zu schweigen vom Verkehr, der ist eine einzige Katastrophe", sagt der Bürgermeister. Das Fazit fällt acht Jahre nach Eröffnung des Turms dann auch reichlich nüchtern aus: "Ich bin froh, dass wir überregional Aufmerksamkeit erlangt haben und begrüße ausdrücklich Herrn Sallecks unternehmerisches Engagement - ich hätte mir nur gewünscht, dass er nicht so viel im Alleingang durchdrücken würde."

Bierseligkeits-Kitsch in Form von Weißbierzwergen erleben die Besucher während der obligatorischen Brauereiführung, die vor dem Erklimmen des Turms ansteht.

Bierseligkeits-Kitsch in Form von Weißbierzwergen erleben die Besucher während der obligatorischen Brauereiführung, die vor dem Erklimmen des Turms ansteht.

(Foto: Katrin Müller)

Aus Sallecks Perspektive klingt die Geschichte indes ganz anders: "Die Stadt ist verzaubert, das ist eine andere als vor der Errichtung des Turms", sagt der Brauereichef. Der Bekanntheitsgrad der Stadt innerhalb Deutschlands sei seit 2010 von 0,5 Prozent auf über 30 Prozent gestiegen. Die vielen Touristen belebten die Stadt - und überhaupt schließe der Biergarten der Brauerei schon um 19 Uhr, damit Besucher ihren Abend in der Innenstadt verbringen und dort die Kassen zum Klingeln bringen könnten.

Salleck versteht sich als Wohltäter und den Hundertwasser-Turm als Geschenk für Abensberg. "Der OB hat immer gesagt: 'Das ist nichts für Abensberg.' Aber schauen Sie mal, wie viele Menschen jetzt alleine wegen des Turms hierher kommen", sagt der Bierunternehmer, für den Brandls Ablehnung ein persönlicher Affront war. "Ich wollte das Projekt nie verhindern, ich habe nur berechtigte Zweifel an der Umsetzbarkeit angemeldet", hält der Bürgermeister dagegen und verweist auf seine Anstrengungen, den ursprünglich 70 Meter hoch geplanten Turm kleinzuhalten: "Die Situation hätte Salleck finanziell hoffnungslos überfordert, da kann er eigentlich dankbar sein, dass der Turm nur so hoch ist, wie er jetzt ist."

"Acht Jahre auf Ochsentour"

Nämlich ziemlich genau halb so groß, also nicht ganz 35 Meter. Aus heutiger Sicht stimmt Salleck seinem Kritiker im Rathaus zu, zu Beginn der Planungen schäumte der Brauer aber über die vermeintliche Kleingeistigkeit seiner Mitbürger: "Acht Jahre lang haben sie uns auf der Ochsentour hingehalten", sagt Salleck. Der 75-Jährige schmettert den Satz heraus, man merkt, dass ihn das Hickhack noch heute, ein Jahrzehnt später, aufregt.

Auch das Innere des Turms - hier der Keller - ist selbstverständlich im Hundertwasser-Stil gehalten.

Auch das Innere des Turms - hier der Keller - ist selbstverständlich im Hundertwasser-Stil gehalten.

(Foto: Katrin Müller)

Auch, weil Salleck mit der offiziellen Vorstellung seines Plans die schwierigste Etappe bei der Realisierung des Turms bereits hinter sich wähnte: Hundertwasser für ein so profanes Projekt wie einen Weißbierturm zu begeistern. Der exzentrische Maler lebte Ende der 90er bereits zurückgezogen in der neuseeländischen Bay of Islands und wollte mit dem Rest der Welt nicht mehr viel zu tun haben - zu enttäuscht war Hundertwasser von der Zivilisation, die seine visionären Gedanken von Umweltschutz und Nachhaltigkeit nicht umzusetzen bereit war.

Auch Salleck stieß mit seiner ersten Anfrage auf Ablehnung: Hundertwasser war mit der fehlenden Symbolik des Turms nicht einverstanden. Also versuchte der bierbrauende Hobbyphilosoph einen anderen Weg: "Ich wusste aus Hundertwassers Büchern, dass er eine Vorlieb für Gartenzwerge hat. Er sah in den Zwergen ein Symbol dafür, wie mit der Natur umzugehen ist und wie wir die richtige Sprache für die Tier und Pflanzen, für die Erde und das Wasser wieder finden können. Ein glücklicher Zufall, weil ich für mich selbst bereits im Jahr 1988 ein Märchen vom Weißbierzwerg vom Abensberg geschrieben habe. Darin geht es um die "Kunst des Bierbrauens", um meine Einstellung zum Leben und schließlich um meine Philosophie, die ich durch die Zwerge zum Ausdruck bringe." Die ist zwar reichlich krude, überzeugte aber den nicht weniger kruden Hundertwasser, dass eine Kollaboration angebracht wäre: "Dem hat gefallen, dass in Abensberg noch so ein Verrückter lebt", schließt Salleck.

Gutachten in 40-facher Ausfertigung

Also schmieden die beiden "Verrückten" zusammen mit Architekt Pelikan die nötigen Pläne, überzeugt davon, dass niemand etwas gegen eine derartige und für die Stadt kostenlose Aufwertung Abensberg haben könnte - und scheitern mit ihrem ersten Entwurf krachend an der Ablehnung aus dem Rathaus und einer urbayrischen Grundregel: Kein Gebäude darf höher als der Kirchturm der Stadt sein. Und der ist in Abensberg nun mal nur 56 Meter hoch. Das Denkmalamt wittert Gottlosigkeit und eine Verschandelung der Abensberger "Skyline", viele weitere Behörden wollen auch noch ein Wörtchen mitbringen.

Acht Gutachten in - kein Witz - 40-facher Ausfertigung später steht fest: In seiner Urform würde es den Turm nicht geben. Salleck und Pelikan ändern die Pläne, schrauben die Höhe zunächst auf 56 Meter runter - und scheitern erneut. Insgesamt acht Jahre lang geht das Spiel aus Antrag und Ablehnung, erst nach der Drohung, den Turm in einer anderen deutschen Stadt zu bauen und diversen Umfragen unter den Abensbergern, die in großer Mehrheit für die Errichtung des Turms votierten, knickten die Kritiker, allen voran der Bürgermeister, ein.

Seitdem macht Brandl gute Miene zum aus seiner Sicht bösen Spiel: "Zusammen mit örtlichen Wirtschaftsakteuren werden wir unsere Märkte attraktiv gestalten und die Potenziale des Hundertwasserturms, des Kunsthauses und des gesamten Touristikkonzeptes der Brauerei nutzen, um die Attraktivität der Stadt Abensberg als touristischer Standort zu steigern", sagte der Bürgermeister unlängst dem Kelheimer Wochenblatt. Direkt auf Salleck und den Turm angesprochen findet Brandl dann aber doch ganz andere Worte: "56 Euro lässt ein Besucher durchschnittlich pro Tag in Abensberg, davon landet das meiste bei Herrn Salleck. Man hätte sich früh mit dem Einzelhandel zusammensetzen müssen, um ein ganzheitliches Konzept zu finden. Damals in der Aufbruchsstimmung wäre noch viel möglich gewesen, heute nicht mehr."

Die Luft zwischen den beiden Abensberger Alpha-Männchen Salleck und Brandl ist also immer noch zum Schneiden dick. Und auch, wenn der Bürgermeister den Zug für abgefahren hält, eine Unterhaltung unter echten Männern wäre sicher nicht das Schlechteste. Denn Salleck und sein Sohn Jacob Horsch, der vor wenigen Monaten die operative Führung der Brauerei übernommen hat, planen schon das nächste Kunstprojekt auf dem Grund der Kuchlbauer-Brauerei: ein massiv gebautes Erdhügelhaus mit begrünter Dachterrasse, natürlich im Hundertwasser-Stil. Die Hobbithöhle in spe soll weitere Besucher anlocken und vor allem für Familien interessant werden. Den Anbau wird Brandl angesichts der Salleckschen Stur- und Entschlossenheit wohl kaum verhindern können - höchste Zeit also für die zwei Silberrücken, für Abensberg zusammen an einem Strang zu ziehen. Hundertwasser hätte das sicherlich gefallen.

Quelle: ntv.de

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