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Vergewaltigung im Görlitzer Park Angeklagter: Ich wurde zum Sex überredet

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Am zweiten Verhandlungstag hatten die Angeklagten die Möglichkeit zur Einlassung. Gebrauch davon machte nur Mountaga D.

Am zweiten Verhandlungstag hatten die Angeklagten die Möglichkeit zur Einlassung. Gebrauch davon machte nur Mountaga D.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Fall sorgt bundesweit für Aufsehen: Drei Männer sollen eine Frau im Görlitzer Park in Berlin vergewaltigt und ihren Ehemann brutal geschlagen haben. Vor Gericht schildert nun einer der Angeklagten seine Version des Geschehens. Er pocht auf Freiwilligkeit - der Geschlechtsverkehr sei ihm angeboten worden.

Über dem Eingang des altehrwürdigen Berliner Kriminalgerichts thront Justitia. In Sandstein gemeißelt prangt sie an der Fassade des Gebäudes. Die Frauenfigur mit Waage und Schwert ist das Wahrzeichen der Justiz, wie üblich sind ihre Augen verbunden. Die Augenbinde, so heißt es seit Jahrhunderten, sorgt für die nötige Unvoreingenommenheit - und damit für einen objektiven Prozess. An diesem nass-grauen Dienstagmorgen geht die Skulptur trotz ihrer prominenten Position unter. Im Eingangsbereich hat sich ein Meer aus Daunenjacken und Wolljacken gebildet. Viele Prozessbesucher und Pressevertreter schieben sich durch die Sicherheitsschleuse und hetzen schließlich zum Saal 500.

"Ich stelle überraschend fest: Das Interesse hat nicht nachgelassen", sagt der Vorsitzende Richter Thilo Bartl. Es ist der zweite Verhandlungstag gegen Osman B., Boubacar B. und Mountaga D. Den drei jungen Männern wird schwere Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung und besonders schwerer Raub vorgeworfen. Dass die Pressereihen in diesem Berliner Prozess prall gefüllt sind, dürfte vor allem an den Details des Falles liegen: Die Männer auf der Anklagebank sind polizeibekannt, unter anderem wegen Gewalt- und Drogendelikten. Sie leben ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland. Zudem soll die mutmaßliche Tat im Görlitzer Park stattgefunden haben - ein Ort, der bundesweit mit Kriminalität assoziiert wird.

Es geht um die frühen Morgenstunden des 21. Juni 2023. Laut der Anklage, die ntv.de einsehen konnte, hat es sich damals wie folgt zugetragen: Die Eheleute Esmer und Oleg T., beide 27 Jahre alt, verließen gegen ein Uhr morgens ihre Wohnung, um im Görlitzer Park Drogen zu kaufen. Beide hatten bereits jeweils eine Tablette Lyrica genommen, Esmer T. zusätzlich noch Ecstasy. Oleg T. trug 1200 Euro in einer Bauchtasche mit sich, um "Geldstrafen unbekannter Natur" zu begleichen, schreibt die Staatsanwaltschaft. Was genau dahintersteckt, ist nicht bekannt. Nachdem das Paar Kokain gekauft hatte, begannen sie "mit dem Austausch körperlicher Zärtlichkeiten", heißt es weiter. Was auf einer Parkbank begann, endete schließlich im Gebüsch.

Rüstung aus Baumwolle

Beim Sex sei ihnen plötzlich aufgefallen, dass sie von einem Mann beobachtet wurden. Laut der Anklage fragten sie ihn, ob er ihnen weitere Drogen besorgen könnte, was dieser bejahte. Wenig später sei er dann mit weiteren Männern, unter anderem den Angeklagten, zurückgekommen. Prompt hätten sie angefangen, Oleg T. mit Stöcken und Fäusten zu schlagen. Währenddessen sollen die Männer Esmer T. gemeinschaftlich vergewaltigt haben. Die 27-Jährige soll erst zum Oral-, dann zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden sein. Ihr Mann habe ihr nicht helfen können, so die Anklage, weil er weiter geschlagen und festgehalten worden sei. Auch die 1200 Euro sowie ein Handy seien dem Paar von den Männern abgenommen worden.

Als ein Anwohner gegen 5.25 Uhr "Help me"-Schreie hörte, rief er die Polizei. Eine Ärztin fand bei der anschließenden Untersuchung Spermaspuren von drei Männern im Slip und im Körper von Esmer T: Osman B., Boubacar B. und Mountaga D.

Im Saal 500 sitzen die schmächtigen Männer nun hinter Sicherheitsglas. Der Somalier Osman B. und der Guineer Boubacar B. auf der linken, Mountaga D., der ebenfalls aus Guinea nach Deutschland kam, auf der rechten Seite. Als der Richter ihnen die Möglichkeit gibt, sich zu dem Geschehen zu äußern, lehnen Osman B. und Boubacar B. ab. Damit liegt der Fokus nun auf Mountaga D. Der Angeklagte hat sich den schwarzen Schlauchschal über den Mund und die beigefarbene Cap tief ins Gesicht gezogen, dazu trägt er einen riesigen Kapuzenpullover. Ein bisschen wirkt es, als hätte D. versucht, sich eine Rüstung aus Baumwolle anzulegen.

Einladung zum Sex?

Den Blick hält er stets gesenkt, fokussiert auf den Holztisch vor sich. Nur einmal huschen seine Augen durch die Scheibe zu seinem Strafverteidiger Christian Zimmer. Der Jurist hat gerade begonnen, eine Erklärung seines Mandanten aus dem vergangenen Dezember zu verlesen. Es ist D.s Version vom Geschehen des 21. Juni: Der damals 22-Jährige habe den Abend bis in die frühen Morgenstunden hinein bei seiner Freundin verbracht. Zusammen hätten sie rund zwei Flaschen Cognac getrunken, betrunken sei man schließlich zu Bett gegangen. Allerdings, so heißt es in der Erklärung, habe D. nicht schlafen können. Er sei daher mit seinem Rad zum Görlitzer Park gefahren und habe dort, "wo immer die Gambier stehen", Gras für 15 Euro gekauft.

Als er sich anschließend im Gebüsch erleichtern wollte, habe er "merkwürdige Geräusche" gehört und schließlich das Ehepaar T. beim Sex entdeckt. Laut Protokoll fragte er Esmer T., ob es ihr gut gehe, woraufhin Oleg T. ihn bat, Geschlechtsverkehr mit seiner Frau zu haben. Diese wolle, so gab D. das Gespräch wieder, mal "mit einem Schwarzen Sex haben". Er sei regelrecht überredet worden, sogar Geld sei ihm angeboten worden. Zunächst irritiert, habe er das Angebot schließlich angenommen. Zuvor habe er Esmer mehrmals gefragt, ob sie "wirklich Sex haben" wolle. In seiner Erklärung beschreibt D. anschließend, wie er Geschlechtsverkehr mit Esmer T. hatte und sein Sperma anschließend mit ihrem Slip abwischte, bevor er sich auf den Heimweg machte.

Es sei allerdings nicht bei einer Begegnung mit dem Ehepaar geblieben, schilderte D. weiter. So sei er nur wenig später noch einmal zurückgekehrt, um sein Portemonnaie zu suchen. Dabei, so heißt es weiter, habe er Esmer T. beim Oralverkehr mit einem anderen Mann gesehen. "Weil mir das wirklich sehr komisch vorkam", so D., habe er die Szene mit seinem Handy gefilmt und dem unbekannten Mann mit der Polizei gedroht. Die Situation habe sich daraufhin aufgelöst. Um sich später erneut zu verabreden, hätten D. und das Ehepaar T. allerdings noch Nummern ausgetauscht. Ein Beweis dafür sei eine Whatsapp-Nachricht von Esmer T. an D. um 5.01 Uhr: "Hey."

Aussage gegen Aussage

Es gibt, das ist nach der Verlesung klar, kaum Parallelen zwischen dem Tatgeschehen, das die Staatsanwaltschaft beschreibt, und D.s Version. Während die Anklage ein brutales Verbrechen schildert, spricht D. von freiwilligem Sex. Seine Mitangeklagten, mit denen er Esmer T. brutal vergewaltigt haben soll, habe er nicht einmal gekannt. Es spreche zwar viel dafür, dass in der fraglichen Situation "irgendetwas entgleist" ist, sagt Strafverteidiger Zimmer am Rande des Prozesses. Allerdings sei sein Mandant zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Teil des Geschehens gewesen. Die Verteidigung zielt damit klar auf einen Freispruch für D. "Wir wissen, dass es nach einer ungewöhnlichen Geschichte klingt", erklärt Zimmer. Allerdings gebe es keinen Grund, an der Version seines Mandanten zu zweifeln.

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(Foto: picture alliance/dpa)

Die Ausgangslage könnte für das Gericht kaum schwieriger sein. Ein Geständnis gibt es nicht, ganz im Gegenteil. DNA-Spuren belegen zwar, dass die Angeklagten Sex mit Esmer T. hatten - nicht aber, ob dieser gegen ihren Willen stattfand. Niemand außer der Beteiligten hat das Geschehen beobachtet, die Anklage basiert vor allem auf den Schilderungen der mutmaßlichen Opfer. Kurzum: Es steht Aussage gegen Aussage - und das Gericht muss herausfinden, wie hoch ihr jeweiliger Wahrheitsgehalt ist.

Das enorme gesellschaftliche und politische Interesse an dem Fall dürfte diese Aufgabe kaum leichter machen. So gehört es zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, dass Richter und Schöffen den Angeklagten unvoreingenommen begegnen, ihre Schuld oder Unschuld erst im Verfahren mit den Mitteln eines Strafprozesses festgestellt werden. Allerdings findet ein Strafverfahren auch nicht im Vakuum statt. Im Fall von Osman B., Boubacar B. und Mountaga D. berichteten Medien schon kurz nach der mutmaßlichen Tat überregional. Obwohl es keine Geständnisse geschweige denn Schuldsprüche gab, schien die "Gruppenvergewaltigung" vielen Schlagzeilen zufolge festzustehen.

Video als Wende im Fall?

Zudem hatten Staatsanwaltschaft und Polizei die mutmaßliche Tat kaum ausermittelt, da war sie für Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner bereits Anlass für einen "Sicherheitsgipfel". Dass die Anklage gegen Osman B., Boubacar B. und Mountaga D. schließlich kaum drei Tage vor dem Gipfel erhoben wurde, ist laut der Verteidigung zumindest auffällig, wie die "Zeit" berichtete.

Ein schnelles Urteil ist trotz des hohen öffentlichen Drucks nicht zu erwarten. Ganz im Gegenteil: Für viele Fragen dürfte vor allem ein sieben Sekunden langes Video sorgen, dessen Auftauchen Richter Bartl am ersten Prozesstag überraschend ankündigte. Es ist jenes Handyvideo, das D. aufgenommen haben will, als er laut seiner eigenen Erklärung ein zweites Mal auf das Ehepaar T. traf. Es soll das mutmaßliche Opfer Esmer T. beim Oralverkehr zeigen, wie ntv.de aus Gerichtskreisen erfuhr.

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Strafverteidiger Zimmer hatte das Video nach einem Hinweis seines Mandanten im Dezember, also rund sechs Monate nach der mutmaßlichen Tat, entdeckt. Warum Polizei und Staatsanwaltschaft das Handy nicht beschlagnahmt und das Video als Beweis gewertet haben, ist unklar. Er habe den Eindruck, so Zimmer am Rande des Prozesses", dass die Ermittlungen "nicht so wahnsinnig sorgfältig" geführt worden seien. Für den Verteidiger von D. steht fest: Das Video ist die Wende in diesem Fall.

Entscheidend ist allerdings, wie das Gericht den Beweiswert der Sequenz bewerten wird. Gegen eine eindeutige Entlastung der Angeklagten spricht derzeit zumindest, dass der Haftbefehl trotz Auftauchen des Videos aufrechterhalten wurde. Für eine Entlastung im Hauptverfahren würde es - in dubio pro reo - allerdings ausreichen, wenn das Video beim Gericht ernsthafte Zweifel an der Version der Anklage säen würde. Die Handyaufnahmen sollen am kommenden Donnerstag in die Beweisaufnahme aufgenommen und im Gerichtssaal abgespielt werden.

Quelle: ntv.de

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