Panorama

Müllwagen erdrückte Familie Angeklagter schildert unter Tränen Unfall

Bei dem Unfall mit dem Müllwagen waren am 11. August 2017 fünf Menschen ums Leben gekommen.

Bei dem Unfall mit dem Müllwagen waren am 11. August 2017 fünf Menschen ums Leben gekommen.

(Foto: picture alliance / Andreas Rosar)

Ein Müllauto fährt zu schnell auf eine Kreuzung, kippt um und begräbt das Auto einer fünfköpfigen Familie unter sich. Nun steht der Fahrer des Lastwagens vor Gericht und es geht um die Frage: Handelte er fahrlässig oder ist er selbst auch Opfer des Unglücks?

Der Angeklagte verbirgt sein Gesicht mit dem grauen Schnauzbart in den Händen und versucht, sich zu erinnern. Doch wann genau er vor dem tragischen Unfall mit fünf Toten den Hebel für die Motorbremse seines Müllwagens zog und wann er mit dem Bremspedal bremste oder bremsen wollte - es mag am ersten Prozesstag am Landgericht Tübingen nicht ganz klar werden.

Sein schweres Müllauto rollte zu schnell auf eine T-Kreuzung zu, wo es umkippte und ein Auto mit fünf Menschen unter sich begrub. Alle Insassen starben, darunter zwei Kinder. Im Prozess muss geklärt werden: Wie konnte es am 11. August 2017 bei Nagold in Baden-Württemberg zu dem Unfall kommen? Die Staatsanwaltschaft wirft dem 55-Jährigen, der damals den Müllwagen fuhr, fahrlässige Tötung vor. Demnach fuhr der Lastwagen mit Tempo 51 statt 30 in die Kreuzung. Für den Fahrer sei es vorhersehbar und vermeidbar gewesen, dass das Fahrzeug bei dieser Geschwindigkeit beim Rechtsabbiegen außer Kontrolle gerät, sagt der Staatsanwalt.

Der Angeklagte schildert indes seine Verzweiflung, als er auf abschüssiger Strecke vor der Kreuzung Probleme beim Bremsen bemerkt habe. "Das Pedal ging nicht weiter", sagt er. Bei der Polizei hatte er laut Gericht noch geschildert, dass er das Pedal ganz durchgedrückt hat, aber keine Bremswirkung spürte. Ein Gutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft ist jedoch zum Ergebnis gekommen, dass am Müllwagen kein technischer Defekt bestand. Hat möglicherweise eine Vesperdose unter dem Pedal gelegen? Eine solche Dose aus dem Fahrerhaus wurde darauf untersucht. Entsprechende Spuren habe man daran nicht gefunden, sagt ein Polizist. Trotzdem sei das Szenario nicht völlig auszuschließen, fügt er hinzu.

"Der Angeklagte ist selbst Opfer seiner Tat"

Für Verteidiger Thomas Weiskirchner führt der Fall an die Grenzen des Strafrechts.

Für Verteidiger Thomas Weiskirchner führt der Fall an die Grenzen des Strafrechts.

(Foto: picture alliance / Sina Schuldt/)

Auch andere mögliche Ursachen wurden schon abgeklopft: Der Angeklagte hatte laut Alkoholtest nichts getrunken, fühlte sich nach eigenen Angaben an dem Tag wohl, hatte zwar zwei Handys dabei - eines dienstlich, eines privat -, hat aber Nachforschungen der Polizei zufolge zum Unfallzeitpunkt nicht damit telefoniert. Er habe das Auto der späteren Opfer heranfahren sehen, erzählt der Fahrer in seiner Aussage. Dann sei sein Wagen umgekippt. Nachdem er sich befreit hatte, habe er sich nach dem Auto umgesehen. Erst beim Herumgehen um seinen Müllwagen habe er ein Stück des Autos darunter gesehen.

Als er das erzählt, kommen ihm die Tränen. Er ist gezeichnet von der psychischen Belastung durch den Unfall. Nach seiner Aussage wirkt er kraftlos, er lässt den Kopf hängen, schließt die Augen. Am Ende des Verhandlungstages bittet er die Angehörigen der Opfer weinend und mit zitternden Händen um Verzeihung. Was passiert sei, sei auch für ihn sehr schmerzhaft, sagt er.

Die juristische Frage, die zu klären ist: Liegt tatsächlich Fahrlässigkeit vor? Das Strafgesetzbuch sieht bei fahrlässiger Tötung eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor. Verteidiger Thomas Weiskirchner verliest zu Beginn des Prozesses eine Erklärung, in der es hieß: "Der Angeklagte ist keinesfalls ein Krimineller, der weggeschlossen werden muss, sondern ist selbst Opfer seiner Tat."

Polizei befürchtete offenbar Blutrache

"Wir geraten in so einem Fall an die Grenzen des Strafrechts", sagt Weiskirchner zum Prozessauftakt. Sein Mandant habe - möglicherweise durch eine leichte Unachtsamkeit - dazu beigetragen, dass fünf Menschen gestorben sind. "Wie soll man den bestrafen?" Wenn man Vergeltung fordern würde, könnte es keine angemessene Strafe für den Mann geben, führt er aus. "Auge um Auge, Zahn um Zahn? Gott sei Dank ist das unserem Rechtssystem fremd", sagt Weiskirchner.

Die rund 30 Besucher wurden erst nach eingehenden Sicherheitskontrollen in den Saal gelassen. Offenbar hatte es nach der Tat Befürchtungen der Polizei gegeben, die Familie der Getöteten könnten "Blutrachepläne verfolgen", wie die Richterin aus den Akten verliest. Die Eltern des getöteten Paares sind im Prozess als Nebenkläger vertreten. Ihr Anwalt Bernd Gerritzen erwartet, dass die Verantwortlichkeit festgestellt wird. Für die Familie biete sich die Möglichkeit, psychische Folgen der Tat aufzuarbeiten. Zum Prozessbeginn konnten sie nicht kommen, sie seien emotional nicht in der Lage dazu.

Quelle: ntv.de, Lena Müssigmann und Lennart Stock, dpa

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