Cocktails - made in Germany Bittere Wahrheiten zu Weihnachten? Nicht mit diesen Drinks


Der Autor hat sich geopfert - mal ein bisschen hier, mal ein bisschen da genippt ...
(Foto: Peter Littger)
Wermut, Wodka, Whisky und Gin sowieso - deutsche Winzer und Brennereien produzieren immer mehr Spirituosen, die früher aus fernen Ländern kamen. Ob und wie sie sich für Cocktails eignen, durfte unser Autor in der Berliner Bar "Becketts Kopf" testen. Sein Fazit: "Mischen possible!"
Liegt das Übel für den Reporter oft darin, den Einstieg in eine Geschichte zu finden, kämpft er für diesen Text mit dem Ausstieg. Timing ist im Umgang mit der legalen Droge Alkohol immer eine Kunst. Und wenn das Ethanol in aromatischer Vielfalt und betörenden Mixtouren aufgeht, gewinnt der Blick auf die Uhr mit jedem Schluck an Unschärfe und die Lust, die Recherche zur Lebensaufgabe zu machen, an Reiz.
Das umso mehr, wenn der Herr am Tresen so erfahren und geduldig ist wie Oliver Ebert, der in der Berliner Pappelallee die Bar "Becketts Kopf" betreibt. An einem vorweihnachtlichen Nachmittag kommt er dem Wunsch nach, eine Reihe traditioneller Mischgetränke mit ausschließlich deutschen Zutaten zuzubereiten.
- zwei "Dry Martinis" mit Gin und Wermut und einen dritten mit Wodka dazu
- einen "Manhattan" mit Roggenwhisky und Wermut
- einen "Straits Sling" - streng genommen kein "Cocktail", sondern ein "Long Drink" oder "Highball" - mit Gin und Likör von Kirsche und Kräutern
- einen - an diesem Punkt passenden - "Corpse Reviver" mit Gin und Absinth
- und schließlich als Spezialität der Bar einen "Von Ribbeck" mit Roggenwhisky und Birnenbrand
Die "InSPIRITation" kam an der Mosel
Inspiriert wurde das im Weltreich der Cocktails ziemlich provinzielle Projekt ausgerechnet in einem Weingut an der Mosel. Zu Gast bei Ernst Loosen hatte der Reporter an einem verregneten Adventssonntag verschiedene Rieslinge aus besten Lagen probiert, bis der Weinbaron eine für Moselaner Verhältnisse unerhört bauchige Flasche hervorholte: Außen ein hübsches Etikett mit bunten Pflanzen, innen Wermut, also ein mit Alkohol und elf Pflanzenextrakten - neudeutsch "Botanicals" - aufgepeppter Wein vom "Ürziger Würzgarten". Loosen versicherte: "Selbst die Zitronen sind von uns. Das müssen Sie probieren! Pur oder zum Mixen!"
Loosens Wort in Reporters Ohr. Doch kann so ein Moselwermut als trockener "Dry Vermouth" herhalten, wie er zum Mixen traditionell aus Frankreich, Italien oder Spanien in die Cocktails fließt? Die in Moselweinen viel gelobte "dienende Restsüße" ist in Loosens Wermut unverkennbar - und das Gegenteil von "trocken".
Der Reporter wollte es wissen und rief Oliver Ebert an, der in seiner Bar "Becketts Kopf" nicht vornehmlich, aber doch gerne einheimische Zutaten rührt und schüttelt. Zugleich gehört er zum "Freimeisterkollektiv", ein exklusiver Verbund kleiner Spirituosenhersteller und -verwerter, nicht wenige in Deutschland. Man verabredete sich auf ein privates mixologisches Experiment - "zwei Stunden, dann muss ich los und etwas essen, bevor die zahlenden Gäste kommen", hatte Ebert betont. Das Dilemma eines pünktlichen Ausstiegs war vorprogrammiert.
Es ist zunächst ratsam, diese klassische Mixtour nicht mit der italienischen Massenmarke "Martini", die auch Wermut herstellt, zu verwechseln. Vielmehr ist der "Dry Martini" ein Cocktail mit hauptsächlich Gin und etwas Wermut - je weniger, desto trockener. Das kann so weit gehen, dass Trockenheitsfetischisten bloß den Schatten einer Wermutflasche in ihr Glas lassen. Und selbst, wer es "sweet" mag, sollte deutschen Rieslingwermut behutsam einsetzen. Das als Warnung vorab! Oliver Ebert gelingen drei schöne und zugleich sehr unterschiedliche Kombinationen.
Erste Runde: Gin
1. Der erste Gin, der zum Einsatz kommt, heißt "Djin" aus der Brennerei Heinz Eggert in der Lüneburger Heide. Der Reporter hat ihn mitgebracht und so gewöhnungsbedürftig der Name und die kloweiße Flasche mit grünem Deckel sind, so sehr hat es dieser Wacholderbrand in sich - im besten Sinne: feine Zitrusnoten, leicht pfeffrig und ätherisch. Eiskalt verrührt mit ein wenig von Loosens Würzgarten Wermut (Gin mindestens drei Anteile, Würzgarten maximal ein Anteil) und einem Schuss Orangenbitter des bayerischen Herstellers Bitter Truth entfaltet sich ein "Dry Martini", wie er im Barbuch steht - bloß mit Zutaten, die in der Kombination noch niemand notiert hat. Wer dazu tatsächlich einer Zitrone aus Deutschland habhaft werden kann, um das Öl der Zeste auf die Oberfläche zu spritzen, hält ein Abendgetränk der Sonderklasse in den Händen - 100 Prozent made in Germany!
2. Der zweite "Dry Martini" schmeckt "unklassisch", wie Ebert betont: nach Koriander, Lakritze, Kardamom, ein wenig Kümmel und bitteren Noten. Dafür sorgt einerseits der außergewöhnliche "Niederrhein Gin" namens "Attacke" von der Brennerei Mühle 4, der zum Sortiment der Bar zählt. Wieder eiskalt hinzugerührt wird ein "Wermut", der genauso heißt und den der Reporter entdeckt hat. Er wird vom Moselaner Steillagenweingut Immich-Batterieberg produziert - auch mit Riesling, aber im Unterschied zu Loosens Würzparadies mit nur drei Kräutern: Weißdorn, Hagebutte und Artemisia Absinthium - Wermutkraut!
3. Für den dritten "Martini" nimmt Ebert die erste Kombination aus Djin und Würzgarten Wermut und setzt noch zwei drauf: den Kartoffelbrand "Nicola" vom Freimeisterkollektiv und einen Tropfen Chinarinde - die trotz Klimawandel noch nicht in Deutschland wächst. Geschüttelt (und mit Olive) wird daraus der legendäre "Vesper Martini" von James Bond, den Autor Ian Fleming einst tatsächlich in Berlin serviert bekam: von Hans August Schröder, dem Gründer der Bar "Rum Trader". Spätestens unter Nachfolger Gregor Scholl wurde sie wie der "Vesper" weltberühmt - aber ist als "Institut für Fortgeschrittenes Trinken" mittlerweile Geschichte.
Zweite Runde: "Manhattan"
Der "Manhattan" ist einer der ältesten Cocktails der Welt, und es gibt so unterschiedliche Rezepte wie Zutaten: verschiedene Whiskys, sogar Cognacs, dazu Wermuts, Bitters und das alles in unterschiedlichen Mengen. Ebert entscheidet sich zu gleichen Anteilen für den Roggenwhisky "094" der Brennerei Rüdiger Sasse im Münsterland und für einen roten Wermut. Der Reporter steuert den "Ferdinand Red Vermouth" vom Saarweingut Forstmeister Geltz Zilliken bei. Ebert rührt derweil einen Löffel vom brandneuen Bitterorangenlikör (auch "Triple Sec") von Spiritus Rex Malente dazu und einen Schuss "Bogart's Bitter" von Bitter Truth. Der Reporter kostet, schweigt ausnahmsweise und dankt dem Barmann: Durch die Nelke, den Zimt und den Sternanis im Triple Sec schmeckt der Drink angenehm nach Weihnachten. Nüchtern gibt Ebert zu bedenken: "Wo Zimt und Sternanis wachsen, ist Weihnachten eher unbekannt."
Dritte Runde: "Straits Sling"
Diese mit "Soda", also Sprudelwasser´, verlängerte Mixtour stammt aus Singapur, wo "Straits" eine Ortsbezeichnung war. Man spricht auch vom "Pink Singapore Sling". Als Grundspirituose jubelt der Reporter den Gin "Ferdinand" von Geltz Zilliken unter. Aus seinem Barregal zaubert Ebert einen Kräuterlikör aus dem oberbayerischen Kloster St. Ottilien, Sauerkirschlikör von der bayerischen Brennerei Zott. Dazu wieder einen Schuss "Bogart's Bitter" von Bitter Truth und eine selbst gepresste Zitrone. Ob gerührt oder geschüttelt (vor der Zugabe der Kohlensäure!) - der Sling schmeckt erfrischend! Eine unheimlich gute Taktik für das fünfte Getränk des Vorabends.
Vierte Runde: "Corpse Reviver No. 2"
Zu diesem Zeitpunkt - nach mehr als zwei Stunden, dem Barmann knurrt längst der Magen - genau das Richtige für den Reporter: Ein Schuss Wiederbelebung! Nämlich ein "Corpse Reviver Number Two". Perfiderweise nicht mit Red Bull oder Koffein, sondern wieder hochprozentig und wacholderlastig: Diesmal der "Schlossgin" von Schloss Johannisberg, dem ältesten Rieslingweingut der Welt im Rheingau. Dazu im gleichen Anteil der weiße "Dry Wermut" von Geltz Zilliken, etwas weniger vom Bitterorangenlikör von Spiritus Rex sowie ein Löffel Absinth der Preußischen Spirituosenmanufaktur. Wie man einen Körper wachrüttelt, wird dieser Cocktail durch Schütteln geweckt.
Letzte Runde: "Von Ribbeck"
Oliver Ebert will essen und den Reporter loswerden - aber auch noch rasch ein Hausrezept zubereiten: "Von Ribbeck", benannt nach "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland", also eine flüssige Ode an den Brandenburger Dichter Theodor Fontane. Wenn das kein kultivierter Rausschmeißer ist! Dafür verrührt er noch einmal Sasses Roggenwhisky mit je der Hälfte Williamsbirnenbrand von Zott aus Bayern und Verjus von Koegler (ein junger saurer Wein aus dem Rheingau - brrr!) sowie ein Löffel Blütenhonig und ein Spritzer "Old Times" Bitter von Bitter Truth.
Danach verschwindet der Reporter am Prenzlauer Berg in den Abend, sucht die Eckkneipe "Schusterjunge" für eine Portion Rinderroulade auf - und wundert sich dort über die massive Weinkarte. Dazu dann demnächst!
Quelle: ntv.de