Panorama

"Perfekte Burnout-Prävention" Warum "Bushcraften" so zufrieden macht

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Techniken aus der Steinzeit funktionieren auch heute noch.

Techniken aus der Steinzeit funktionieren auch heute noch.

(Foto: Sepp Fischer)

Bei Stress raus zum Bushcraften: Menschen kann es guttun, in der Natur zu handwerken wie in der Steinzeit. Warum das so ist, erklären zwei Experten aus Wald und Uni.

Raus ins Grüne, um sich vom stressigen Job oder dem anstrengenden Leben in der Stadt zu erholen - bis hierhin nichts Neues. Dass immer mehr Menschen den Spaziergang im Grünen jetzt "Waldbaden" nennen, ist ebenfalls bekannt. Auch von Abenteurern auf Survival-Trip haben viele spätestens seit TV-Shows wie "Alone" schon gehört. Bushcraften will aber noch etwas anderes.

Im selbstgebauten Zelt zu liegen, ist ein gutes Gefühl.

Im selbstgebauten Zelt zu liegen, ist ein gutes Gefühl.

(Foto: Sepp Fischer)

Auf der einen Seite will es weniger: kein Überlebenskampf, simple Ausrüstung. Auf der anderen Seite steht das nicht gerade kleine Ziel "Eins werden mit der Natur". Im Einklang mit ihr und mit den eigenen Händen etwas erschaffen. Bushcrafter ziehen los, um mit archaischen, handwerklichen Methoden im Wald zu überleben, ganz ohne Not. Und auch gegen Stress soll diese Art von Walderleben wirken.

Was macht man beim Bushcraften?

Der Begriff Bushcraften setzt sich aus den Wörtern Bush = Wildnis und Craften = Handarbeit zusammen. Es gibt durchaus etliche Überschneidungen zum "Survival", erklärt Bushcraft-Experte Sepp Fischer gegenüber ntv.de. Allerdings: Bushcrafter üben ihr Hobby nicht im Sinne eines Überlebenskampfes aus, sondern als freiwilliges "Leben entfernt vom Weg". Dabei unterteilt sich die Technik in drei Teilbereiche: Steinzeittechniken, Expeditionswissen und Camping. Auf diese Weise und indem Bushcrafter "altes Wissen mit neuer Technik" kombinieren, sind sie in der Lage, jeden Ausrüstungsgegenstand notfalls zu improvisieren, so Fischer. In seinen geführten Wald-Abenteuern lehrt er Techniken für:

  • Unterkunftsbau
  • Wassergewinnung und Aufbereitung
  • Feuermachen
  • pflanzliche & tierische Notnahrung finden
  • Signalisieren nach Hilfe
  • Navigation mithilfe der Natur
  • Gefäß und Werkzeug-Herstellung

Der Einstieg in die Szene sei einfach. "Wenn einer bei uns ein Taschenmesser hat und mitmachen möchte, dann gehört er dazu", sagt er.

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Was braucht man zum Bushcraften?

Fast ohne Ausrüstung loszuziehen, ist in Fischers Augen beim Bushcraften allerdings fehl am Platz. Vor allem für Anfänger gelte: "Entweder ich kenne mich aus oder ich muss leiden." In seinen Bushcrafting-Kursen in Bayern möchte Fischer ganz entspannt alte handwerkliche Fähigkeiten wie Schnitzen und steinzeitliches Feuermachen vermitteln. Damit er mit seinen Schützlingen ohne Hektik werkeln kann, empfiehlt er ihnen, mindestens einen Schlafsack und ein "Tarp" mitzubringen. Die wasserfeste Plane dient im Freien als Regen-, Sonnen- oder Wind-Schutz. Fischer selber ist mittlerweile gut ausgerüstet, denn er will seine Zeit in der Natur möglichst entspannt genießen. "Wenn ich nichts mitnehme, bin ich eh ein Depp", sagt er denen, die das kritisieren.

Messer, Schlafsack und Tarp - damit sind Einsteiger schon mal gut gerüstet. Außerdem hält der Bushcrafting-Experte ein Seil für unverzichtbar. An dem hängt er das Tarp auf oder bindet es an sich fest, um etwas zu transportieren. Sogar ein gebrochenes Bein könne er damit schienen - all das lernen Anfänger auch in seinen Wald-Erste-Hilfe-Kursen.

Reihenfolge beim Bushcraften - was ist am wichtigsten?

Ist die Ausrüstung am Start und ein geeignetes Gelände gefunden, stellt sich die Frage, worum man sich in der Wildnis als Erstes kümmern sollte. Es sei keinesfalls trinkbares Wasser, so Fischer. Denn "in der Zwischenzeit können Sie von Sturm und Kälte erwischt werden". Erstmal muss eine geeignete Stelle für ein Lager gefunden werden. Wie er in seinem "Buch vom Waldhandwerk" erklärt, ist die richtige Reihenfolge beim Bushcraften ebenso wie beim Survival:

  1. Lager
  2. Feuer
  3. Wasser
  4. Nahrung

Und hier gebe es tatsächlich auch Überschneidungen zum Campen, so Fischer: "Da baust du auch erst dein Zelt auf, dann wirfst du den Gaskocher an, machst die Würstl."

Darum ist Bushcrafting so wohltuend

Fischers eigener Weg zum Bushcraften beginnt nach einer belastenden Zeit. "Ein brutal stressiger Job" bringt ihn an seine Grenzen. Zu der Zeit war er neun Jahre nicht wirklich in der Natur gewesen. "Naturabstinent", wie er sagt. Bei seinem ersten selbstgebrühten Fichtennadel-Tee entdeckt er, was in der Natur alles für ihn drinsteckt. Er beschäftigt sich immer mehr mit dem Leben "in, mit und von der Natur". Seit zehn Jahren lebt er ausschließlich von seinen Outdoor-Kursen.

Warum wirkt Bushcraften so entstressend? "Man ist ausreichend damit beschäftigt, dass man einen warmen Platz zum Schlafen hat", sagt Fischer. Und das Werkeln im Hier und Jetzt würde eben verhindern, zu viel über negative Themen zu grübeln. Auch müsse man in der Wildnis mehr auf sich aufpassen und werde dadurch mit der Zeit selbstsicherer.

Wald wirkt auf verschiedenen Ebenen

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Was genau der Wald mit uns macht, erklärt Professorin Daniela Haluza ntv.de. Sie ist Umweltmedizinerin und Public-Health-Expertin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Ihre Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin hat nachgewiesen, dass der Aufenthalt im Wald "tiefgreifende positive Effekte auf das menschliche Wohlbefinden" hat. Auch eine Stress reduzierende Wirkung wurde in diesen kontrollierten Untersuchungen festgestellt: Die Probanden hatten nach dem Aufenthalt im Wald signifikant niedrigere Cortisolwerte (Cortisol = "Stresshormon"). Eine verringerte Herzfrequenz und ein stabilerer Blutdruck wurden in solchen Studien ebenfalls beobachtet, so Haluza. Das alles deute auf eine insgesamt beruhigende Wirkung der Natur hin.

So wirken Farben, Geräusche und Gerüche im Wald

Sind wir im Wald unterwegs, empfinden wir das Grün als beruhigend und erholsam. Und das ist mehr als nur ein subjektiver Eindruck. "Diese Farbe hat eine nachgewiesene beruhigende Wirkung auf das Nervensystem und kann dazu beitragen, den Stresspegel zu senken", so Haluza. Ist zusätzlich noch Wasser - und damit die Farbe Blau - im Spiel, wirke das noch erholsamer. Da die Farbe Wasser symbolisiert und damit Leben ermöglicht, kommt ihr laut Haluza eine spezielle evolutionäre Bedeutung zu.

Neben Farben tragen auch akustische Reize - wie das Rauschen der Blätter, das Plätschern eines Baches oder das Zwitschern der Vögel - zur Entspannung bei, erklärt die Professorin. Und schließlich spielen Gerüche bei der Erholung im Wald noch eine Rolle: Studien hätten gezeigt, "dass der Geruch von Waldböden, Moos und Nadelbäumen beruhigend wirkt und das parasympathische Nervensystem aktiviert, das für Entspannung und Regeneration zuständig ist", so Haluza.

Auch Fischer ist davon überzeugt, dass der Wald - und speziell das Bushcraften - erholsam bei Stress wirkt. Wenn seine Teilnehmer erzählen, dass sie abends erschöpft sind und gar nicht wissen, wovon und was sie eigentlich gemacht haben, denkt er: "Bushcraften wäre die perfekte Burnout-Prävention". Auf seinen Touren gibt es häufig keinen Handyempfang - das freut seine Kursteilnehmer dann. Und sie werden automatisch ruhiger. Ohnehin könne man beim Bushcraften nicht gestresst herumlaufen, so Fischer.

Etwas mit den Händen herstellen - warum ist das erholsam?

Es ist aber nicht nur das Grün, die Umgebung, die Ruhe, die sich positiv auf gestresste Menschen auswirken. Wie Haluza erklärt, haben manuelle Tätigkeiten "nachweislich eine positive psychologische Wirkung". Besonders das Herstellen von Gegenständen (aber auch die Gartenarbeit) hebt sie hervor. Achtsamkeit und die Tatsache, dass wir in dem Moment den Fokus ganz auf den aktuellen Moment richten, trage dazu bei. "Dieser Zustand, bekannt als 'Flow', zeichnet sich durch ein völliges Aufgehen in der Aufgabe aus und führt zu gesteigerter Zufriedenheit und reduziertem Stress", so Haluza. Solche "im Wortsinn greifbaren" Aktivitäten würden eine beruhigende Verbindung zu unseren Wurzeln bieten und uns erden. Außerdem würden sie ein Gefühl von Selbstwirksamkeit vermitteln.

Wer jetzt loslegen möchte, muss sich erstmal gar nicht so viel vornehmen. Übernachten und Feuermachen ist ohnehin nur an ausgewiesenen Plätzen möglich. Viel braucht es aber auch gar nicht, sagt Fischer: "Ich brauche einen Baum und kann anfangen. Ich könnte auf einer Verkehrsinsel Bushcraft machen." Und an der Stelle ahnt man, dass da draußen so einiges darauf wartet, von uns entdeckt zu werden - in aller Ruhe.

Quelle: ntv.de

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