Helfer: Keine Koordination Cholera-Sorge in Libyen - Dutzende erkrankte Kinder
16.09.2023, 04:57 Uhr Artikel anhören
Nach der Unwetter-Katastrophe in Libyen warnen die Behörden für die am stärksten betroffene Stadt Darna davor, sich Brunnen auch nur zu nähern. Bereits Dutzende Kinder sind erkrankt. Leichen, Tierkadaver und Müll verseuchen das Grundwasser. Mangelnde Abstimmung erschwert die Rettungsarbeiten zusätzlich.
In Libyen wächst nach den schweren Überschwemmungen die Sorge vor einem Ausbruch der Magen-Darm-Krankheit Cholera. Das Gesundheitsministerium in der Hauptstadt Tripolis warnte laut der Zeitung "Arab News" vor einer Infektion mit den gefährlichen Bakterien. In der schwer betroffenen Küstenstadt Darna im Osten Libyens sei Grundwasser durch Leichen, Tierkadaver, Müll und chemische Substanzen verschmutzt worden. "Wir bitten die Menschen dringend, sich den Brunnen in Darna nicht zu nähern", wurde Gesundheitsminister Ibrahim Al-Arabi zitiert.
Derweil sind in Darna bereits Dutzende Kinder durch verschmutztes Wasser erkrankt, wie der Leiter des Nationalen Zentrums für Krankheitsbekämpfung, Haider al-Sajih, der Nachrichtenseite "Al-Wasat" sagte. Die 55 Kinder stammten aus Familien, die durch die Fluten vertrieben wurden. Die Lage in dem Katastrophengebiet blieb weiter unübersichtlich.
Libyen ist faktisch gespalten mit zwei verfeindeten Regierungen im Westen sowie im Osten des Landes. Retter suchten weiterhin nach Opfern unter Trümmern, an der Küste und im Meer. Auch aus dem benachbarten Ägypten wurden Hilfsgüter auf dem Land- und Seeweg nach Libyen geschickt.
"Wir haben keine Erfahrung mit Naturkatastrophen"
Das Mitglied eines militärisch-medizinischen Konvois in Darna, Hischam al-Malti, beschrieb die allgemeine Lage unterdessen als katastrophal. Die Rettung sei durch die Ankunft internationaler Helfer zwar beschleunigt worden. Dennoch würden sich Leichen nach den bereits vergangenen Tagen seit den Überschwemmungen rasch zersetzen. Weil die Verstorbenen rasch beerdigt würden, werde die Identifizierung der Opfer vernachlässigt und es damit erschwert, auf eine abschließende und verlässliche Zahl der Todesopfer zu kommen. Zur Zahl der Todesopfer gibt es weiterhin widersprüchliche Angaben. Im schwer getroffenen Darna werden bis zu 20.000 Tote befürchtet. Rettungsteams stehen im Wettlauf gegen die Zeit und beim Versuch, Überlebende zu finden, auch vor gewaltigen logistischen Herausforderungen.
Der Sprecher der selbst ernannten Libyschen Nationalarmee (LNA), Ahmed al-Mismari, sprach von mächtigen Fluten, die Straßen und Brücken davongetragen hätten. Das Dorf Wardija sei komplett von der Landkarte verschwunden. "Wir haben keine Erfahrung mit Naturkatastrophen", sagte Al-Mismari. Die selbst ernannte LNA des mächtigen Generals Chalifa Haftar ist keine staatliche Armee, sondern eher ein informelles Netzwerk aus bewaffneten Gruppen. Diese kontrollieren den Osten Libyens, wo sie eine Art Polizeistaat errichtet haben, und verdienen etwa am Schmuggel von Migranten nach Europa mit. Haftar wird von Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt.
Helfer: Keine Absprachen - "es ist chaotisch"
Vorrang bei den Hilfseinsätzen in Libyen hätten jetzt "Unterkünfte, Nahrung und wichtige medizinische Grundversorgung wegen der Sorge vor Cholera und der Sorge um den Mangel an sauberem Wasser", sagte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths in Genf. "Wir versuchen, eine zweite Katastrophe dort zu vermeiden. Es ist von entscheidender Bedeutung, eine Gesundheitskrise zu verhindern, Unterkünfte, sauberes Wasser und Nahrungsmittel bereitzustellen", sagte Jens Laerke, ein Sprecher des Büros der Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe, dem Sender BBC.
Derweil berichten Helfer von chaotische Zustände in Darna. "Es ist dringend eine Koordination der Hilfe nötig", berichtete die Organisation Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF). Ähnlich hatte sich auch das Rote Kreuz geäußert, das von Anfang an mit seinen lokalen Freiwilligen im Einsatz war. Es fehle an Absprachen, sagte der Einsatzleiter der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, IFRC.
"Es gibt jede Menge Freiwillige aus dem In- und Ausland", berichtete Manoelle Carton, MSF-Koordinatorin für medizinische Einsätze, nach Angaben der Organisation. "Jeder will helfen, aber es ist zu viel, es wird chaotisch." Es seien jede Menge Hilfsmittel vor Ort, aber um die verschiedenen Stadtteile aufzusuchen und zu sehen, was wo nötig sei, stehe man stundenlang im Stau.
Nach ihren Angaben liegen in Darna keine Toten mehr auf den Straßen. Aber unzählige Menschen brauchten psychische Unterstützung. "Alle bitten darum, Menschen auf der Straße, Ärztinnen und Ärzte, Menschen, die Schreckliches gesehen haben und Leute, die ihre ganze Familie verloren haben", berichtete sie.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa/AFP