Ulrichs im Interview "Da hätte man weiterimpfen können"
16.03.2021, 15:57 Uhr
Mehrere Länder haben den Astrazeneca-Impfstoff vorerst gestoppt - weltweit findet er aber nach wie vor große Anwendung. Professor Ulrichs geht davon aus, dass er bald wieder zugelassen wird.
(Foto: REUTERS)
Dass vorerst in Deutschland der Astrazeneca-Impfstoff nicht mehr verabreicht wird, löst kontroverse Reaktionen aus. Der Epidemiologe Timo Ulrichs hält die Entscheidung des Gesundheitsministers für falsch. Dafür führt er im Gespräch mit ntv mehrere Gründe an.
ntv: Gesundheitsminister Jens Spahn sagt, die Aussetzung des Impfstoffes ist gerechtfertigt. Sehen Sie das auch so?

Epidemiologe Ulrichs von der Akkon-Hochschule in Berlin findet den Astrazeneca-Impfstoff nach wie vor gut.
Timo Ulrichs: Herr Spahn argumentiert ja auf der Entscheidungsgrundlage des Paul-Ehrlich-Instituts und in der Tat ist es so, dass es ja eine sehr, sehr seltene Nebenwirkung ist, wenn denn tatsächlich ein kausaler Zusammenhang festgestellt werden sollte. Das ist eine Nebenwirkung, die genauso behandelt wird wie eben diese seltenen Nebenwirkungen, die auch schon beschrieben worden sind, nämlich die von schweren allergischen Reaktionen. Die treten auch sehr, sehr selten auf. Man muss das Risiko von solchen Nebenwirkungen immer gegenüberstellen mit dem Risiko, was ist, wenn man nicht impft. Und da kann man relativ leicht, schon jetzt vor der Prüfung sagen, dass das Risiko, nicht zu impfen, auf jeden Fall schwerer wiegt als das Risiko dieser sehr, sehr seltenen Nebenwirkungen.
Ist es da noch gerechtfertigt, die Impfung auszusetzen?
Nein, da hätte man weiterimpfen können. Auch aus Großbritannien kommt diese Empfehlung, die ja den Astrazeneca-Impfstoff als den Hauptimpfstoff schon seit längerem erfolgreich verimpfen. Und auch die WHO empfiehlt, dass man natürlich genau diese Fälle untersucht, aber dabei nicht die Impfungen als Teil der gesamten Kampagne aussetzen sollte.
Wie beurteilen Sie denn diese Entscheidung? Ist das so ein bisschen vorauseilender Gehorsam, weil so viele Länder die Verimpfung gestoppt haben?
Es ist natürlich eine sehr große Vorsicht, das ist klar. Vielleicht gab es auch ein bisschen Druck, weil die anderen Länder da schon entsprechend tätig geworden sind. Aber was die Zahlen, die Situation und die Sicherheit und die Schutzwirkung dieses Impfstoffes angeht, würde man eigentlich dafür plädieren, weiterzuimpfen.
Wenn man sich das Risiko von Nebenwirkungen vom Astrazeneca-Impfstoff genauer ansieht und das mit anderen Impfstoffen vergleicht, wie ist er da einzuordnen?
Da muss man dann eben unterscheiden zwischen diesen schweren Nebenwirkungen, die sehr, sehr selten auftreten. Da muss man auch zurückgehen in die klinischen Daten bei den Testungen der Phase 3. Da ist es so, dass zum Beispiel solche Dinge wie Blutgerinnsel eigentlich in beiden Gruppen, also Placebo-Gruppe und Wirkstoff-Gruppe, gleich häufig aufgetreten sind. Das heißt also, dass man da keine Korrelation gefunden hat zu dem Wirkstoff. Jetzt hat man hier festgestellt, dass da ein möglicher Zusammenhang sein könnte. Das muss untersucht werden. Aber es wird sicherlich darauf hinauslaufen, dass nach dieser Zeit des vorläufigen Impfstoff-Stopps dieser Impfstoff von Astrazeneca wieder empfohlen werden wird.
Wo könnte denn da ein Zusammenhang liegen? Kann das damit zusammenhängen, dass wir im Moment die Risikogruppen und die Älteren zuerst impfen?
Das kann sehr gut sein, dass wir gerade Menschen mit sehr vielen Vorerkrankungen impfen. Und da gibt es eben eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen aufgrund ihrer Erkrankungen solche Dinge entwickeln, also Störungen in der Blutgerinnung, völlig unabhängig von dem Impfstoff und seiner Verimpfung. Das muss man jetzt eben genau untersuchen und auch nochmal vergleichen mit dem Auftreten bei den Impflingen von Moderna oder Biontech/Pfizer.
Die Bundesregierung hat versprochen, dass bis Ende des Sommers jeder Bundesbürger ein Impfangebot bekommen hat. Wie realistisch ist das im Moment?
Dieses Aussetzen wirft uns schon ein bisschen zurück. Jetzt fallen Zehntausende Impfungen in Deutschland erst einmal aus oder müssen verschoben werden. Da ist es für die, die die erste Impfung schon bekommen haben, natürlich auch so, dass man unruhig wird, wie es mit der zweiten Impfung weitergehen wird. Es bleibt aber zu hoffen, dass dieser Impfstopp wirklich nur vorübergehend für ein paar Tage ist und man dann recht schnell wieder das Programm aufnehmen kann. Außerdem hat man auch bald die Lieferung der anderen Impfstoffe plus die Astrazeneca-Impfstoffdosen, sodass wir bald in die Lage kommen, auch sehr viele Impfstoffdosen zur Verfügung zu haben, sodass das nicht mehr der Flaschenhals sein wird, sondern nur noch die Verimpfung selber.
Für diejenigen, die die erste Impfung mit Astrazeneca bekommen haben, was ist dann mit der zweiten?
Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass Astrazeneca nicht mehr empfohlen wird, was ich überhaupt nicht glaube, dann könnte man auf jeden Fall in Erwägung ziehen, auf einen anderen Impfstoff auszuweichen und den als zweite Impfung zu geben. Das ist dann zwar heterolog, aber sollte eigentlich genauso gut funktionieren, das Immunsystem nochmal richtig hochzufahren in seiner Antwort, im Training an dem Coronavirus-Antigen. Das sollte auch funktionieren und das wäre dann entsprechend die Lösung für diese Fälle.
Inwiefern ist es ein gangbarer Weg zu sagen, dass Astrazeneca jetzt ein Impfstoff auf freiwilliger Basis ist?
Dieser Vorschlag nimmt ja ein bisschen vorweg, was möglicherweise eintreten könnte nach Wiederzulassung oder Wiederempfehlung von Astrazeneca: Dass einfach das Vertrauen stark beschädigt worden ist. Da könnte man in Erwägung ziehen, wenn denn genug andere Hersteller ihre Lieferung hochgefahren haben, dass wir genug Impfstoff haben, um erst einmal unsere Priorisierung weiter abzuarbeiten. Wir kommen ja hoffentlich bald in die Lage, dass wir nicht mehr priorisieren müssen, sondern in die Breite gehen können, und dann ist Astrazeneca auf jeden Fall dabei. Also ich würde mich auch ohne weiteres mit dem Astrazeneca-Impfstoff impfen lassen
Was glauben Sie denn, nach alldem, wie groß ist der Imageschaden für Astrazeneca?
Der war ja vorher schon groß, das hängt auch mit der Kommunikation des Unternehmens Astrazeneca zusammen und den versprochenen Impfstoff-Lieferungen, die dann nicht so stattgefunden haben und auch gerade nicht stattfinden. Dann mit der Frage, wie die taktische Ausstellung des Wirkprinzips war, also dass man bei der zweiten Impfung nochmal dasselbe Adenovirus genommen hat. Dann auch mit den berichteten leichteren Nebenwirkungen, also dass man dann eher Kopfschmerzen hat und möglicherweise den folgenden Tag ausfällt, weil die Immunreaktion so stark ist. Alles das zusammen genommen, hat ein ziemlich schlechtes Bild gemacht. Das ist eigentlich schade, denn der Impfstoff von Astrazeneca ist ein sehr guter. Er hat eine sehr hohe, gute Schutzwirkung und ist auch sehr sicher. Wir können uns eigentlich glücklich schätzen, dass wir das zusammen mit den anderen Impfstoffen so haben. Nicht auszudenken, wenn die Daten sehr viel schlechter wären oder wir sowas gar nicht zur Verfügung hätten.
Das Interview führte Katrin Neumann.
Quelle: ntv.de