Panorama

Corona und Migrationshintergrund "Das finde ich nahezu rassistisch"

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Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für internistische Intensivmedizin will Hausärzte für die Impfkampagne einspannen. Gleichzeitig fordert Janssens, man müsse offener über die Menschenleben sprechen, die Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt kosteten.

ntv: Die Zahl der Intensivbetten, die mit Covid-19 Patienten belegt sind, ist in den vergangenen Wochen kontinuierlich gesunken. Jetzt sehen wir einen Stillstand, was ist der Grund dafür?

Uwe Janssens: Das spiegelt so ein bisschen die Infektionssituation in Deutschland wider, auch hier pendeln wir uns ein. Die Inzidenzwerte bleiben stabil, leider Gottes immer noch über 60-64, je nachdem, zu welchem Tag gemessen wird. Das drückt sich dann auch in den Anteil der Covid-19-Patienten aus. Was dabei der Anteil der britischen Mutante für eine Rolle spielt, sei mal dahin gestellt. Zumindest in Großbritannien konnte gezeigt werden, dass die Mutation zu mehr Krankenhausaufnahmen führte und sogar zu einer erhöhten Sterblichkeit. Ob da ein Zusammenhang besteht, das ist spekulativ, aber kann nicht ganz wegdiskutiert werden.

Was befürchten Sie für die Kliniken und Krankenhäuser, wenn die Zahl der Neuinfektionen jetzt ganz leicht ansteigt?

Wenn das so leicht ansteigt, ist das beherrschbar. Wir sind weit entfernt von einer Situation wie im Januar 2021. Es sei darauf hingewiesen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht viele Frei-Intensivbetten haben. Wir haben die gleiche Anzahl der Frei-Intensivbetten wie Anfang Januar. Das bedeutet, dass wir im Augenblick in deutschen Krankenhäusern vieles von dem nachholen, was auch liegengeblieben ist. Viele Patienten, bei denen notwendige Operationen anstehen, werden jetzt operiert. Eine Ruhe ist nicht eingekehrt. Die Stationen machen ihre Arbeit und das ist auch gut so.

In der Politik wird derzeit viel über Lockerungen und Öffnungen gesprochen. Können wir uns das zum derzeitigen Zeitpunkt erlauben?

Der Ruf nach Lockerungen ist menschlich absolut verständlich, auch aus wirtschaftlicher Sicht. Wir Mediziner haben schon in der vergangenen Woche darauf hingewiesen, dass Lockerungen, wie sie jetzt vielleicht verkündet werden, nicht der richtige Weg sind. Wir plädieren dafür, noch bis zum 1. April mit den Maßnahmen fortzufahren.

Aber wären sie dann froh, wenn der Lockdown jetzt noch bis Ende März, Anfang April weitergehen würde?

Wir haben klar gesagt: Die Zahlen und mathematischen Modelle, die uns zur Verfügung stehen, deuten darauf hin, dass wir durch verfrühte Lockerungen ein Problem mit den Infektionen bekommen. Wir als Ärzte und Ärztinnen in Deutschland haben den Auftrag, Menschenleben zu retten und auch vor schweren Erkrankungen zu schützen. Wenn wir diese Aufgabe öffentlich wahrnehmen, kann man uns nicht vorwerfen, wir würden die Wirtschaft ruinieren. Die Leute, die das sagen, sollen auch genau überlegen, was es bedeutet, wenn man so stark lockern würde. Wenn sich eine dritte große Welle aufbaut, heißt das auch, dass wir Menschenleben verlieren. Man soll dann auch offen und ehrlich sagen, dass man das in Kauf nimmt. Wir in der Medizin können das einfach nicht in Kauf nehmen. Es würde unserem Berufsbild entgegenlaufen.

Und was passiert dann im April?

Wir haben gleichzeitig dafür plädiert, dass der Anteil der Impfung endlich massiv und nachhaltig gesteigert wird, dass wir so viel wie möglich impfen, und dass kein Impfstoff liegenbleibt. Ohne Impfungen werden Lockerungen langfristig große Probleme mit sich bringen und zu steigenden Infektionszahlen führen.

Wie können wir den Impfprozess denn beschleunigen?

Es ist es unglaublich wichtig, dass die Hausärzte und Hausärztinnen anfangen, die Impfungen vornehmen. Die Impfzentren funktionieren zwar, aber der bürokratische Aufwand ist aus unserer Sicht gigantisch. Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen verfügen über eine enorme Expertise in der Verimpfung, Stichwort Influenza letztes Jahr. Ich glaube, sie wissen ganz genau, wie sie mit ihren Patienten umzugehen haben. Sie können gezielt impfen, und das ist ein ganz wichtiger zusätzlicher Schritt neben den Impfzentren, dass die Impfung endlich breit in die Bevölkerung getragen wird.

Womöglich ist die Bevölkerung gar nicht in dieser Breite bereit, sich impfen zu lassen. Dass Impfdosen, vor allem die von Astrazeneca liegenbleiben, ist ja nicht nur der fehlenden Infrastruktur geschuldet, oder?

Wir sind sehr unglücklich über das Bashing, was das Substrat der Firma Astrazeneca erfahren hat. Das hat die Leute verunsichert und hält sie von den Impfungen ab. Wir hoffen sehr darauf, dass die Ständige Impfkommission den Daten aus Großbritannien bzw. Schottland folgen wird, wo ja die Substanz auch bei den Älteren hochgradig erfolgreich verimpft wurde. Mit einem hundertprozentigen Schutz vor schweren Verläufen.

Es gab heute auch Schlagzeilen, die behaupten, der Anteil der Patienten mit Migrationshintergrund in den Intensivstationen sei besonders hoch. Ist das Ihrer Meinung nach Stimmungsmache oder ist da was dran?

Ich finde, es gehört nicht in die Zeitung zu diesem Zeitpunkt, in der die Emotionen sehr hochkochen, Zahlen zu Migrationshintergründen von Patienten zu veröffentlichen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, das finde ich nahezu rassistisch, und ich würde auch keinerlei Zahlen diesbezüglich herausgeben. Ich finde diese Diskussion befeuert nur wieder Leute auf der rechten Seite unserer Gesellschaft, die dann vermuten, der Virus würde von Migranten nach Deutschland getragen und verbreitet werden. Ich finde so etwas unerträglich. Wir Mediziner beharren darauf, dass es hier ein Persönlichkeitsrecht gibt. Wir Mediziner behandeln alle Patienten, unabhängig von der Herkunft, Hautfarbe, Gesinnung. Das ist eine Diskussion zum völlig falschen Zeitpunkt, ich bin darüber persönlich auch entsetzt.

Mit Uwe Janssens sprach Doro Steitz. Es handelt sich hier um die gekürzte und sprachlich leicht angepasste Version eines TV-Interviews.

Quelle: ntv.de, lwe

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