"Generation What?" Das misstrauische junge Europa
06.04.2017, 15:25 Uhr
149 Fragen zu den Themen Arbeit, Familie, Freunde, Liebe, Sex und Politik stellte die Umfrage "Generation What?".
Was denken junge Leute über Europa, Flüchtlingskrise, Brexit, Familie und Sex? Fast eine Million Europäer zwischen 18 und 34 Jahren geben Antworten. Erschütterndes Ergebnis: Die Jugend ist misstrauisch und hat kaum Vertrauen in Politik und Medien.
Funktioniert Europa? Wie tolerant bist du wirklich? Stört es dich, wenn Mädchen Kopftuch tragen? One-Night-Stand oder ewige Liebe? Die Umfrage "Generation What?" umfasst 149 Fragen von Politik über Religion bis hin zu Sexualität und Lebensglück und gilt als größte vergleichende Jugendstudie, die es jemals gab.
Fast eine Million Menschen zwischen 18 und 34 Jahren aus 35 Ländern Europas haben sich daran beteiligt. Das Ergebnis ist ebenso deutlich wie erschreckend: Die Mehrheit der jungen Generation misstraut der Kirche, der Politik und den Medien.
85 Prozent der jungen Menschen sagten, dass sie ohne Glauben an Gott glücklich sein können. 86 betonten, kein oder sehr wenig Vertrauen in religiöse Institutionen zu haben. In keinem der beteiligten Länder vertrauen demnach mehr als drei Prozent der Befragten den religiösen Institutionen voll. Besonders extrem fällt das Misstrauen in der Schweiz und Griechenland aus.
Jugend bewahrt sich "Bewältigungsoptimismus"
Eine besonders schlechte Meinung haben die Befragten auch zur Politik. 82 Prozent der jungen Menschen in Europa haben kein Vertrauen in die Politik (45 Prozent haben "überhaupt keines"). Dabei unterscheiden sich die Länder stark voneinander. Während in Deutschland lediglich 23 Prozent dieser Ansicht sind, liegt dieser Wert in Griechenland (67 Prozent), Frankreich (62 Prozent) und Italien (60 Prozent) deutlich höher.
Offenbar fühlen sich die bildungsferneren Schichten deutlich stärker von der Politik im Stich gelassen. Denn je niedriger die Bildung, desto größer ist das Misstrauen. Auch das Alter spielt eine Rolle. Bei den 18- und 19-Jährigen sind es 37 Prozent, die der Politik völlig misstrauen, bei den 30- bis 34-Jährigen sind es dagegen schon 50 Prozent.
Ein Grund dafür, so die Autoren der Studie, könnte die wachsende Ungleichheit sein, die viele junge Menschen wahrnehmen. Dennoch bewahren sie sich einen sogenannten "Bewältigungsoptimismus". 55 Prozent sind eher optimistisch, 43 Prozent eher pessimistisch, was die Zukunft angeht. Vor allem in krisengeschüttelten Ländern glauben viele, dass es eher besser wird. "Das junge Europa ist mit zahlreichen Krisenerfahrungen aufgewachsen: dem 11. September 2001, dem Platzen der Internetblase, dem Crash der Finanzmärkte, der Klimaproblematik und zuletzt der Flüchtlingssituation. Die junge Generation hat gelernt, pragmatisch mit Ungewissheiten umzugehen."
Große Skepsis gegenüber Medien
Die Umfrage "Generation What?" umfasst 149 Fragen von Politik über Religion bis hin zu Sexualität und Lebensglück. Auch nach der Veröffentlichung der Endergebnisse können junge Menschen zwischen 18 und 34 Jahren auf www.generation-what.de noch bis Mitte April 2017 an der Umfrage teilnehmen.
In allen befragten Ländern wurde zudem großes Misstrauen gegenüber den Medien festgestellt. Durchschnittlich nur zwei Prozent stehen völlig hinter den Medien in ihrem Land. Demgegenüber haben 39 Prozent überhaupt kein Vertrauen und 41 Prozent sind skeptisch. Die Skepsis gegenüber den Medien ließ sich auch in Deutschland feststellen. Hierzulande ist das Vertrauen in die Medien aber immer noch höher als in vielen anderen europäischen Ländern. Während in Deutschland 22 Prozent überhaupt kein Vertrauen in die Medien haben, sind es in Griechenland 71 Prozent, in Italien 48 Prozent und in Frankreich 46 Prozent.
"Vor dem Hintergrund, dass die Glaubwürdigkeit der Medien essenziell für einen demokratischen Staat ist, sind diese niedrigen Vertrauenswerte alarmierend", schreiben die Forscher vom Sinus-Institut, die die Studie ausgewertet haben.
Doch wer die junge Generation nur als "Nörgler" abstempelt, täuscht sich. Denn ungebrochen ist weiterhin das Engagement der Jugendlichen: Ein großer Teil von ihnen kann sich vorstellen, Mitglied einer politischen Gemeinschaft oder einer Nichtregierungsorganisation zu werden. Die Bereitschaft, in politischen Organisationen aktiv zu werden, ist in Deutschland mit Abstand am stärksten (44 Prozent) und am niedrigsten in Griechenland (13 Prozent).
EU ist besser als nichts
Die Begeisterung der jungen Generation für die Europäische Union hält sich in Grenzen. Doch obwohl man wenig Vertrauen in Europa hat und sich weitaus stärker mit dem eigenen Land oder der eigenen Region identifiziert, plädiert nicht mal jeder sechste Jugendliche für einen EU-Austritt des eigenen Landes.
Die gute Nachricht: Die junge Generation glaubt an Multi-Kulti. Vor allem die jungen Deutschen distanzierten sich von nationalistischen Tendenzen: In keinem anderen Land spricht man sich deutlicher dagegen aus, dass die eigenen Landsleute auf dem Arbeitsmarkt bevorzugt werden. Außerdem sei die Bereitschaft für das eigene Land in den Krieg zu ziehen weit unter dem europäischen Durchschnitt. Noch am ehesten schließen sich junge Leute in Österreich, den Niederlanden und Tschechien rechtspopulistischen Ressentiments an.
Ein Leben ohne Sex?
Im Vergleich zu manch vorheriger Generation zeichnet sich die heutige junge Generation nicht durch einen Bruch zur Elterngeneration aus. Zwar sehen sich die jungen Griechen und Italiener als Leidtragende der Probleme, die vorherige Generationen zu verantworten haben. Insgesamt haben die meisten jungen Europäer aber ein positives Verhältnis zu den Eltern - knapp ein Viertel der 18- bis 34-Jährigen bezeichnet es sogar als ideal.
Erstaunlich sind die Aussagen zu Liebe und Partnerschaft: So kann sich ein Viertel der jungen Menschen ein Leben ganz ohne Sex vorstellen. Je älter die Befragten allerdings sind, desto mehr spielt auch das Liebesleben eine wichtige Rolle. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen hatte schon einmal Sex mit Unbekannten oder kann sich ein solches Szenario gut vorstellen, allerdings scheint es eher eine Männer-Fantasie zu sein. Auch auf die Frage, ob man schon mal Sex mit mehr als einer Person hatte, unterscheiden sich die Geschlechter. Junge Männer stehen dem viel offener gegenüber als junge Frauen.
Begeistert zeigt sich Europas Jugend beim Thema Sexspielzeug: "Genau mein Ding", sagt ein Drittel der jungen Europäer. Und rund die Hälfte derjenigen, die noch nicht experimentiert haben, würde es gerne ausprobieren. Immerhin hier zeigt sich Europas Jugend einer Meinung, denn Länderunterschiede gibt es kaum.
Quelle: ntv.de