"Wir leisten Basisarbeit"Ein Funke Frechheit auf der Affordable Art Fair
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Englische Abenteuerlust trifft auf eine Prise deutschen Punk. Mit dieser Mischung tritt die Affordable Art Fair an und lädt zum 14. Mal in die Hamburger Messehallen. Das Phänomen "erschwingliche Kunst für alle" geht auch international auf.
Hundert Euro als Startpreis. Kein Stück kostet mehr als 10.000 Euro. Das klingt nach Kunst, die man sich leisten kann. Und vor allem will. Die Affordable Art Fair (AAF) bietet bis zum 16. November in den Hamburger Messehallen erschwingliche, zeitgenössische Kunst. "Mich interessieren die 90 Prozent der Menschen, die Schwierigkeiten haben einen Zugang zur Kunst zu finden", erklärt Oliver Lähndorf ntv.de im Gespräch sein Mantra.
Muss das dekorativ sein?
Er wolle Brücken bauen und ein Treffpunkt zum Austausch sein, so der Messechef weiter. In diesen angespannten Zeiten sei es wichtig miteinander zu reden, sich kennenzulernen und auszutauschen. Manche Menschen besuchen die Messe nur, um zu schauen – auch das ist für ihn ok. "Der Eröffnungsabend am Mittwoch ist seit Wochen ausgebucht", freut sich Lähndorf und blickt mit Spannung auf die kommenden Tage.
Bei den niedrigen Startpreisen für die Kunstwerke auf der AAF drängen sich ein paar Fragen auf: Ist das Kunst oder kann das weg? Werden vor allem dekorative Objekte verkauft? "Alles, was nur danach schreit verkauft zu werden, fällt durch unsere Auswahlkriterien", weist Oliver Lähndorf die Frage nach der Qualität selbstbewusst zurück. Er könne bequem aus 150 Messe-Bewerbern auswählen, müsse nicht mühsam durch das Land tingeln, um die Messekojen zu füllen. 85 Galerien aus 15 Ländern zeigen bei dieser Ausgabe was sie im Portfolio haben. Malerei, Skulptur oder Fotografie von etablierten Künstlerinnen und Künstlern gibt es ebenso wie Werke von Nachwuchstalenten. Zum glücklich machenden Kunstkauf sollen limitierte Editionen und einzigartige Originale gleichberechtigt motivieren.
Viel Geld aus London
Kompromisse muss Oliver Lähndorf gelegentlich machen, die Preise sind schließlich nach oben hin gedeckelt. Aber: "Die Elbphilharmonie, Containerterminals oder Segelboote sucht das Publikum bei uns vergebens. Wir haben hier nur ein Schiff, und das ist die Messe, die wir navigieren müssen." Hinter ihm steht allerdings eine ganze Flotte. Lähndorf gibt zu, dass das eine luxuriöse Situation sei. Das erfolgreiche Messemodell stammt aus London. Von dort gibt es viel Geld für Werbung. Was nützt die schönste Verkaufsidee, wenn keiner kommt?
Der AAF-Gründer Will Ramsay bespielt mit seinem stetig wachsenden Kunst-für-alle-Konzept drei Kontinente. 18-mal im Jahr an insgesamt 15 Standorte in zehn Ländern kann man das Phänomen bestaunen. In Boston wurde sein Messemodell vor zwei Wochen erfolgreich beendet - und das in ökonomisch angespannter Zeit. Im Vergleich zum Vorjahr sind im globalen Kunstmarkt die Umsätze um 12 Prozent zurückgegangen.
Ganz ohne Kunstwissen
Die Leidenschaft für Kunst beginnt für Will Ramsay mit 19 Jahren, als er selbst sein erstes kleines Gemälde kauft. Danach besucht er wiederholt Kunstmessen, Auktionen und Galerien. Ramsay beginnt eine eigene Sammlung aufzubauen. Nach seinem abgeschlossenen Geographiestudium eröffnet der Engländer 1996 in London "Will's Art Warehouse". In der Galerie läuft wie in einem Kaufhaus Hintergrundmusik, soll für Lockerheit sorgen. Dennoch bleibt die Schwellenangst, Galerien zu betreten, hoch. Er bemerkt, dass die Besuchenden denken, dass sie Kunstwissen brauchen, um Kunst zu kaufen.
Ramsay möchte diese Mauern in den Köpfen einreißen, Kunst entmystifizieren. Voller Abenteuerlust gründet er 1999 die Affordable Art Fair in London, Battersea. Er sieht ein Geschäft, wo andere keines sehen. Ramsay macht etwas völlig Neues: Die Kunstwerke kosten zwischen 100 und 6000 englischen Pfund. Und er schreibt die Preise für die Werke direkt an die Wände. Sichtbar für alle. Das ist wohl eine Hauptzutat für seinen Erfolg.
Keine Eintagsfliege
Mit Chuzpe setzt Ramsay dem elitären Ruf der Kunstblase etwas entgegen. Zum 25-jährigen Jubiläum im vergangenen Jahr erinnert er sich auf Instagram, dass er bei der ersten Ausgabe zwischen den Ständen aufgeregt hin- und hergelaufen sei. Knapp zehntausend Menschen kamen, viele kauften und nahmen das Werk lächelnd mit nach Hause. Der Event bleibt keine Eintagsfliege: Seine Vision ist zu einer weltweit agierenden und erfolgreichen Marke geworden. Von London aus geht es ein paar Jahre später über Amsterdam und Hamburg, weiter nach Hongkong, New York oder Melbourne. Der Marktplatz für erschwingliche Kunst ist global angekommen.
Greift die Affordable Art Fair die etablierte Kunstwelt an? "Nein", sagt Oliver Lähndorf. "Wir leisten Basisarbeit. Der Konkurrenzgedanke ist groß und das Gerede in der Kunstwelt auch. Das ist mir egal, inzwischen habe ich ein dickes Fell. Im Herzen bin ich ein kleiner Punk und provoziere gerne." Als er 2011 selbst überlegt, das englische Messekonzept nach Hamburg zu holen, halten ihn viele für verrückt. Das sei zum Scheitern verurteilt, hört der studierte Kulturmanager aus allen Richtungen. Die Hamburger Messegesellschaft hatte zwanzig Jahre zuvor bereits versucht, eine Kunstmesse an der Elbe zu etablieren - und scheiterte krachend.
Lähndorf hat keine Angst. Zur ersten Ausgabe kommen gut 13.000 kaufwillige Menschen. Seit zwei Jahren hat er seine Zielmarke von 20.000 geknackt. Die Kunstmesse ist die größte in Norddeutschland. Lähndorf weiß, dass sie längst ein Pflichttermin für die Hamburger Gesellschaft ist. Es kommen Reeder, alteingesessene Hanseaten, junge Familien, aber auch Fußballspieler und Sänger. Sein Publikum bildet die Hansestadt in seiner Vielfalt ab. "Bei uns treffen alle Altersgruppen aufeinander. Wir haben den Riesenvorteil, dass uns auch die Hamburger mit Geld lieben", lacht Lähndorf und klopft auf Holz.
Inzwischen ist der deutsche Ableger nach Berlin expandiert. Die Prophezeiung für die Hauptstadt war eine Katastrophe. Wie hätte es anders sein können? Mitte April wird zur dritten Ausgabe an der Spree geladen. Die einfache Idee von Ramsay hat weiterhin Erfolg. Kunst mit gut sichtbarem Preisschild spült dem hungrigen Kunstmarkt auch über 25 Jahre später noch neue Sammler zu.
Affordable Art Fair, 13. bis 16. November, Messeplatz 1, 20357 Hamburg