Panorama

Afrika im Blindflug gegen Aids Ende der USAID-Programme kostet Tausende Menschenleben

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Die Entscheidung der Trump-Regierung, mit sofortiger Wirkung die USAID-Programme einzustellen, schockiert die Menschen in vielen afrikanischen Ländern. Was in Washington als Kosteneinsparung im nationalen Interesse gilt, wird in Afrika viele Menschenleben kosten. Der Prozess hat schon begonnen. 

Millionen HIV-infizierte Patientinnen und Patienten sind von der Einstellung der USAID-Programme betroffen. Allein in Südafrika, dem Land mit dem weltweit größten Behandlungsprogramm, werden laut einer neuen Studie als direkte Folge der Trump-Entscheidung in den kommenden zehn Jahren Hunderttausende Menschen an Aids sterben. 500.000 vermeidbare Neuinfektionen mit dem HI-Virus sind zu erwarten. HIV-Infizierte in Südafrika, Uganda, Lesotho, Mosambik und vielen anderen afrikanischen Ländern stehen vor geschlossenen Einrichtungen und bekommen keine antiretroviralen Medikamente mehr. Sie gehen wieder nach Hause, während das Virus in ihrem Körper erstarkt. Zwei Wochen später sind sie wieder ansteckend.

In Südafrika trifft es vornehmlich junge Frauen und Kinder. Zanyiwe Mavubengwana redet nicht um den heißen Brei. "Dieser Trump! Der ist doch kein Mensch. Das ist ein Bully." Die alleinerziehende Mutter von fünf Kindern ist tough. Sie geht offen mit ihrer HIV-Infektion um, managt nicht nur ihr eigenes Familienleben im Armenviertel Masipumele unweit von Kapstadt. Sie ist auch eine wichtige Säule der Gemeinde. Jahrelang hat Mavubengwana als "Community Worker" für eine Nichtregierungsorganisation gearbeitet. Ihr Job ist es, Gemeindemitglieder in Masipumelele von der Bedeutung klinischer Aids-Studien zu überzeugen und teilzunehmen. Es geht um Vertrauen, Mavubengwana tut dies guten Gewissens. Aus Erfahrung.

Forschung in Afrika

Eine der Studien in Masipumelele hat maßgeblich dazu beigetragen, zu beweisen, dass der Wirkstoff Lenacapavir, einmal alle sechs Monate gespritzt, eine HIV-Infektion zu 100 Prozent verhindert. Ein riesiger südafrikanischer Durchbruch, vor wenigen Monaten weltweit gefeiert. Es ist ein wichtiges neues Instrument, HIV-Neuinfektionen einzudämmen und der Aids-Pandemie nach all den Jahren endlich Herr zu werden. PEPFAR wollte die Markteinführung finanzieren. Das ist der präsidiale US-Notfallplan zur Aids-Hilfe. Der Fond, den Trump nun eingefroren hat. Führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind fassungslos.

"Es ist so frustrierend", sagt Katherine Gill von der Desmond Tutu Gesundheitsstiftung (Health Foundation). "Wir waren auf einem guten Weg. Es gibt wirksame antiretrovirale Medikamente. Wir können infizierte Patienten behandeln, das Virus unterdrücken und Übertragungen verhindern. Wir hatten wirklich gehofft, in den kommenden Jahren das Ende von HIV einzuläuten, den Deckel draufzuschrauben", so Gill.

Ugandas HIV/Aids-Programm wurde bisher zu 70 Prozent aus den USA finanziert. Im homophoben Kampala gibt es für queere Menschen derzeit so gut wie keine Möglichkeiten mehr, antiretrovirale Medikamente zu beziehen. In Simbabwe, dessen HIV-Programm quasi zu einhundert Prozent von den USA finanziert wird, könnte schon in Kürze die Medikamentenversorgung zusammenbrechen. Es herrscht blankes Entsetzen auf dem Kontinent.

"Wir laufen Gefahr, die Errungenschaften der vergangenen 25 Jahre im Kampf gegen Aids zu verlieren, wenn wir die Finanzierungslücken nicht schließen", warnt die führende Aids-Expertin Professor Linda-Gail Bekker. Der Ruf nach alternativen Finanzierungsquellen ist laut, doch er stößt auf taube Ohren. Viele afrikanische Regierungen haben keine Reserven. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie viele verzweifelte Anrufe und E-Mails derzeit bei der letzten verbleibenden Finanzquelle, der "Linda and Bill Gates Foundation" eingehen. Nie waren reiche Philantrophen gefragter, nur sie preschen nicht vor. Zumindest noch nicht.

"Wir werden sehen, wie eine Epidemie zurückkehrt. Wir wissen, die Hälfte aller HIV-Neuinfektionen in unserer Region sind junge Frauen und Mädchen. Die andere betrifft gefährdete Populationen", so Professor Bekker, ehemalige Präsidentin der Internationalen Aids-Gesellschaft. Sie befürchtet, dass die Kosten des Schadens, den die US-Politik anrichtet, wesentlich höher sein werden, als das USAID und PEPFAR Budget. So weit ist es gekommen. Mediziner, die sonst Menschenleben retten, argumentieren im Marketingstil des Deal-Makings von US-Präsident Trump.

Verheerender Domino-Effekt

Zwei Dinge, die ohne massive finanzielle Intervention in den kommenden Wochen geschehen werden, machen die Lage so gefährlich. Erstens, wenn HIV-infizierte Patienten ihre Medikamente nicht regelmäßig einnehmen, wird ihr Immunsystem geschwächt, das HI-Virus erstarkt. Das geschieht schon nach zwei Wochen. Die Patienten sind zudem wieder ansteckend und ihre Immunschwäche setzt sie anderen Erregern schutzlos aus. Tuberkulose zum Beispiel.

So gut wie alle in Südafrika agierenden Nichtregierungsorganisationen mussten vergangene Woche auf Anweisung Washingtons ihre Arbeit einstellen. Sie waren es, die sicherstellten, dass Patienten ARVs erhalten. Sie gingen auf Hausbesuche, damit Patienten ihre Medikamenteneinnahme nicht unterbrachen und verstanden, warum das wichtig ist. Südafrikas Regierung verfügt nicht über eine alternative Infrastruktur, die das übernehmen könnte.

Zweitens: Neuinfektionen sind weiterhin ein großes Problem, besonders unter jungen Frauen und Kindern. Sie mithilfe von regelmäßigen Testangeboten ausfindig zu machen und in das Behandlungssystem einzuführen, war ebenso Aufgabe der Nichtregierungsorganisationen. In Südafrikas öffentlichen Kliniken werden keine Daten gesammelt, um Neuinfektionen zu monitoren. Nun befindet sich das Land erstmals seit der Jahrtausendwende im Blindflug und hat keine Daten über die Entwicklung der HIV- und Aids-Epidemie im Land. Eine gefährliche Situation, die sich täglich verschärft.

Ein Beispiel: In ländlichen Regionen wie Limpopo herrscht arger Ärztemangel. Neuinfizierte müssen hunderte Kilometer reisen, um überhaupt ein Rezept für HIV-Medikation von einem Arzt unterschrieben zu bekommen. Viele tun es nicht, weil der Aufwand zu teuer und das Stigma im sozialen Umfeld zu groß ist. Es ist ein Desaster, dessen Folgen schon bald sichtbar sein werden.

Gibt es ein neues Massensterben?

"Wir müssen jetzt ein Auge auf die Zahl der Patienten halten, die mit Tuberkulose oder anderen mit HIV assoziierten Infektionen in Krankenhäuser eingeliefert werden, weil ihr Immunsystem kollabiert", warnt Professor Francois Venter, Direktor des internationalen Ezintsha Forschungszentrums an der Witwatersrand Universität in Johannesburg. Geld für die Erfassung der Fälle gibt es jedoch nicht. "Die Erkrankungen werden spätestens Ende des Jahres massiv ansteigen. Danach steigen die Todesfälle, besonders unter jungen Menschen, Eltern und Jugendlichen."

Südafrikas Regierung hat bisher keinen Plan vorgelegt, wie sie den Ausfall der US-Gelder ausgleichen will. Mit etwas Vorwarnung hätte man wahrscheinlich ein Alternativsystem stemmen können. In der weltweit angesehenen Desmond Tutu Stiftung ist man entsetzt über das Vorgehen der Trump-Administration. "Ich führe klinische Studien durch. Wenn ich so handeln würde, hätte ich Probleme mit der Ethikkommission", sagt Professor Nigel Garrett, Chef des Brilliant Konsortiums, einem Projekt der Stiftung, das eine Infrastruktur zur Erforschung und zukünftigen Produktion eines HIV-Vakzins von Afrikanern für Afrikaner aufbaut. Die erfolgreichen Studienergebnisse der Wissenschaftler liegen nun buchstäblich auf Eis. Auch dieses Leuchtturm-Projekt ist ein Opfer der US-Kürzungen.

"Man kann Gesundheitsprogramme nicht einfach stoppen. Menschen sterben, wenn man über Nacht Studien beendet". Brilliant wollte in wenigen Wochen eine klinische Studienreihe beginnen. Zum Glück, muss man sagen, kam es nicht dazu. "Es gib hier einen Fall, da wurden Frauen Vaginalringe eingesetzt, um zu testen ob sie HIV-Infektionen verhindern. Das medizinische Team durfte die Ringe nicht entfernen", so Garrett. "Es wurde angeordnet, das Programm sofort einzustellen."

All dies spricht sich natürlich rum. Auch in Masupumelele. "Ich kenne viele NGO-Angestellte, die in den vergangenen Tagen ihre Jobs verloren haben", sagt Zanyiwe Mavubengwana. Es sind Tausende allein in Südafrika. Die Schicksale der Familien, die nun ohne Einkommen klarkommen müssen, sind Auswirkungen, die schon jetzt sichtbar sind. "Es wird nicht lange dauern, bis allen hier das ganze Ausmaß der amerikanischen Entscheidung klar ist", meint Mavubengwana.

Dabei ist Südafrika im Vergleich zu anderen afrikanischen Nationen wesentlich besser aufgestellt. Die hiesige Regierung unter Präsident Cyril Ramaphosa stemmt immerhin mit knapp 80 Prozent den Großteil der Kosten des nationalen HIV/Aids Programms. Mit schätzungsweise acht Millionen Infizierten, davon sechs Millionen in medikamentöser Behandlung, ist es das weltweit größte Programm.

Diese Kraftanstrengung folgt dem tödlichsten Versagen der Gesundheitsgeschichte. Bis 2002 lehnte Südafrikas Regierung unter dem damaligen Präsidenten Thabo Mbeki die medikamentöse Behandlung HIV-Infizierter ab. Bis zu 343.000 Menschen erlagen dem Virus. Über 170.000 Infektionen hätten vermieden werden können. Das Massensterben hat sich in das kollektive Gewissen der südafrikanischen Nation eingebrannt. Stimmen die Modelling-Studien, die renommierte südafrikanische Wissenschaftler nun veröffentlichen, werden die Folgen der Trumpschen Politik noch verheerender sein.

"Ich fürchte mich, zurück in die neunziger Jahre geworfen zu werden", sagt Mavubengwana. "Es waren damals so viele Menschen krank. Junge Menschen, junge Eltern. Und sie sind gestorben reihenweise. Es gibt so viele Waisen. Das kann ich nicht noch einmal ertragen."

Quelle: ntv.de

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