Autobiografie erscheint Frühere RAF-Terroristin Maier-Witt zeigt Reue
13.02.2025, 15:14 Uhr Artikel anhören
Silke Maier-Witt kommt im Februar 2011 als Zeugin zu einer Verhandlung ins Landgericht Stuttgart.
(Foto: dpa)
1977 ist die RAF-Terroristin Silke Maier-Witt an der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer beteiligt. Später taucht sie unter, kann 1990 aber schließlich verhaftet werden. Fünf Jahrzehnte nach der Tat erscheint nun Maier-Witts Autobiographie. Darin stellt die inzwischen 75-Jährige klar: Es gibt keine Rechtfertigung.
Vor der Bundestagswahl 2025 scheint das politische Klima bisweilen vergiftet wie nie zuvor - die schrille Unversöhnlichkeit politischer Gegner, die gesellschaftliche Spaltung, die Krisen und Kriege, die Angst vor Gewalt. Ein Blick in die jetzt erschienene Autobiografie der früheren RAF-Terroristin Silke Maier-Witt macht allerdings klar: Die Republik hat schon einige Zerreißproben überstanden, vielleicht sogar dramatischere Zeiten als heute.
Silke Maier-Witt, inzwischen 75 Jahre alt, erzählt von ihrem Weg in die linksterroristische Rote Armee Fraktion, von ihrer Beteiligung an der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer 1977, von ihrem Rauswurf aus der Terrorgruppe, vom Untertauchen in der DDR mit Hilfe der Stasi, von ihrer Enttarnung kurz vor der Deutschen Einheit, ihrer Haft, ihrer Reue und Entschuldigung bei den Opfern, ihrem beruflichen Neuanfang, von ihrem Leben als Rentnerin in Skopje. Es ist die Geschichte vom Ende eines gefährlichen Irrwegs. Es ist auch ein Stück deutsch-deutsche Geschichte.
Kurz zur Erinnerung: Die RAF wird 1970 von radikalisierten Anhängern der sogenannten Außerparlamentarischen Opposition gegründet, darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Ausgangspunkt ist der Generationenstreit um die Aufarbeitung der NS-Zeit, aber auch der ideologische Kampf gegen Kapitalismus, Imperialismus und den Vietnamkrieg. Als die sogenannte erste RAF-Generation nach Anschlägen in Haft sitzt, versucht die "zweite Generation", sie mit weiteren Gewalttaten freizupressen.
Tiefpunkt ist das Jahr 1977 mit den Morden an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto, der Entführung Schleyers und der Lufthansa-Maschine "Landshut". Bundeskanzler Helmut Schmidt gibt Forderungen der Terroristen nicht nach. Schleyer wird von den Terroristen erschossen. Mutmaßlich 34 Morde begeht die RAF, bis sie sich 1998 auflöst. Bis heute ist kaum eine Tat aufgeklärt.
Reue - und doch eine verharmlosende Darstellung?
Ende März beginnt ein neuer Anlauf mit dem Prozess gegen die 2024 gefasste Terrorverdächtige Daniela Klette. Maier-Witt gehört zur zweiten Generation. In ihrem Buch "Ich dachte, bis dahin bin ich tot - Meine Zeit als RAF-Terroristin und mein Leben danach" schreibt sie gleich zu Beginn: "Es soll keine Rechtfertigung sein; denn die gibt es nicht." Vielmehr gehe es um "meinen eigenen Prozess des Lernens, wie ich mit meiner Schuld, meiner terroristischen Vergangenheit umgehen muss". Wie wird eine junge Frau zur Terroristin? Maier-Witt schreibt von einer zerrissenen Kindheit, von einem Vater mit SS-Vergangenheit. Ihr Einstieg in die Welt der RAF sind die "Komitees gegen Folter" zur Unterstützung inhaftierter Terroristen. Ihre Haltung damals: "Den Imperialismus wirklich bekämpfen, solidarisch sein mit Befreiungsbewegungen, den neuen Faschismus in Deutschland verhindern, dafür bin ich zu allem bereit."
Sie ist also bereit für ein Leben im "Untergrund" in konspirativen Wohnungen, in einer Gruppe von Gewalttätern, ausgestattet mit einer Waffe - auch wenn sie angibt, nie selbst geschossen zu haben. Die Ex-Terroristin lässt fünf Jahrzehnte später keinen Zweifel daran, dass sie das alles heute für verwerflich hält. Aber in ihrer Darstellung des Alltags der Terrorgruppe wirkt einiges auch harmlos putzig. Etwa wenn ihrem Komplizen Stefan Wisniewski in einem Club in Paris die Waffe beim Tanzen aus der Hose fällt - ohne dass es jemand merkt. Oder wenn die Terroristen für einen möglichen Anschlag das Haus des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher auskundschaften. Sie möchten nicht auffallen. "So also kommt Rudi Ratlos aus dem Tierheim zu uns, ein Dackelmischling mit ziemlich hohem Dackelanteil", schreibt Maier-Witt. "Mit Rudi an der Leine gehe ich hinter Genschers Haus spazieren - ein unauffälliges Gassigehen, bei dem ich wie nebenbei die Umgebung inspiziere.
Das wird dem Leid der Opfer und dem gesellschaftlichen Trauma der Zeit sicher nicht gerecht - den Fahndungsaufrufen, der Angst vor der nächsten Gewalttat, der scheinbaren Hilflosigkeit des Staates. "Die Stimmung war ungeheuer aggressiv und aufgeladen", erinnerte sich später die Grünen-Politikerin Antje Vollmer in der "Berliner Zeitung". "Es wurde ja suggeriert, es gäbe tausende Kämpfer im Untergrund, eine gewaltige, unübersehbare Zahl von Kombattanten, Helfern, Sympathisanten. Die Größenverhältnisse wurden panikartig überzogen." Doch hätten die Regierenden das wohl tatsächlich so empfunden, räumte Vollmer ein. "Ich habe später viele Einzelgespräche mit Mitgliedern des Krisenstabs geführt. Jeder von denen fühlte sich sehr persönlich bedroht, inklusive ihrer Familien." Die sozial-liberale Regierung habe es zudem als "Verrat" empfunden, das ausgerechnet sie von links attackiert wurde.
Untertauchen und Verhaftung
Keine kleine Rolle spielte die deutsche Teilung. "Die Kooperation der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und ihrer Geheimpolizei, dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS), mit der Roten Armee Fraktion (RAF) begann bereits kurz nach deren Gründung", schrieb der Extremismusforscher Harald Bergsdorf vergangenes Jahr. Seit Anfang der 1970er Jahre hätten RAF-Mitglieder bei Reisen in den Nahen Osten den DDR-Flughafen Schönefeld genutzt. Man habe Ideologie und Feindbilder geteilt, meinte Bergsdorf. Als die zweite RAF-Generation gescheitert auseinandergeht, bietet der SED-Staat zehn von ihnen Unterschlupf. Maier-Witt reist im August 1980 über Prag in die DDR. Die Stasi stattet sie aus mit einer neuen Identität als Hilfskrankenschwester Angelika Gerlach in Hoyerswerda, später mit einer zweiten.
Zehn Jahre lebt die Ex-Terroristin aus dem Westen unter falschen Namen in der DDR. "Das Leben um mich herum habe ich versucht zu akzeptieren, aber es war nicht das, was ich wollte", resümiert sie. "Nur war an ein Ausbrechen aus offensichtlichen Gründen nicht zu denken." Am 18. Juni 1990 wird Silke Maier-Witt in Neubrandenburg verhaftet. Vier Monate später ist die DDR Geschichte. Die 35 Jahre danach bedeuten für Maier-Witt Haft, ein Psychologiestudium, Friedensarbeit im Kosovo. Auch für die Bundesrepublik sind diese 35 Jahre Neuanfang und Umbruch. Die Dramatik der Terrorjahre und ihrer Opfer gerät dabei in den Hintergrund. "Die Erinnerung an die RAF spielt keine besondere Rolle im kollektiven Gedächtnis, auch nicht in Schulbüchern", sagte Michael Buback, Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts, voriges Jahr dem "Tagesspiegel". Für ihn sei das "etwas besorgniserregend".
Quelle: ntv.de, Verena Schmitt-Roschmann, dpa