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Jeder Dritte fühlt sich bedrängt"Igel"-Leistungen der Ärzte eher schädlich

03.05.2018, 13:09 Uhr
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Die Kassen sehen großes Potenzial, den Igel-Markt zu bereinigen. (Foto: picture alliance / Patrick Pleul)

Die Selbstzahlerleistungen bei Ärzten bringen den Medizinern in den meisten Fällen deutlich mehr als den Patienten. Zu diesem Schluss kommen die Krankenkassen. Sie fordern sogar einen besseren Schutz der Patienten.

Die in Arztpraxen angebotenen Selbstzahlerleistungen bringen in vielen Fällen mehr Schaden als Nutzen. An der Spitze der zehn häufigsten individuellen Gesundheitsleistungen (Igel) stehen Angebote, die der "Igel-Monitor" der Krankenkassen als negativ oder tendenziell negativ bewertet, wie der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDS) in Berlin mitteilte. Sie widersprächen sogar Empfehlungen medizinischer Fachverbände.

"Die Igel-Angebote orientieren sich nicht am nachgewiesenen medizinischen Nutzen, sondern an den Vorlieben einzelner Arztgruppen und an den Umsatzinteressen der Praxen", kritisierte MDS-Geschäftsführer Peter Pick. Zum Teil würden Patienten auch unter Druck gesetzt, solche Leistungen zu kaufen. "Das ist nicht hinnehmbar", erklärte Pick.

Insgesamt bekommt jeder zweite Versicherte beim Arztbesuch Leistungen angeboten, die privat zu zahlen sind. Zu den häufigsten erbrachten Leistungen gehört die Augeninnendruckmessung zur Glaukom-Früherkennung. Diese Leistung wurde nach einer Umfrage unter mehr als 2000 Versicherten jedem Fünften (22 Prozent) angeboten, gefolgt vom Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung bei Frauen (19 Prozent).

Nur jeder 25. Patient fragt von sich aus

Weitere Topseller sind demnach der Ultraschall der Brust zur Krebsfrüherkennung (zwölf Prozent) und der PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs bei Männern (sieben Prozent). Alle diese genannten Untersuchungen stuft der von der gesetzlichen Krankenversicherung finanzierte "Igel-Monitor" als negativ, tendenziell negativ oder bestenfalls unklar ein.

Beim Ultraschall zur Eierstockkrebsfrüherkennung beispielsweise sei das Wissen um mögliche Schäden und den geringen Nutzen seit langem bekannt, erklärte MDS-Expertin Michaela Eikermann. Diese Erkenntnis werde aber zu wenig in der Praxis umgesetzt. Eikermann sieht hier die medizinischen Fachgesellschaften und Fachverbände in der Pflicht. "Wir sehen ein großes Potenzial zur Bereinigung des Igel-Marktes und zum Schutz der Patienten vor unnötigen und schädlichen Leistungen."

Wie die Umfrage weiter zeigt, ging nur bei vier Prozent der erbrachten Selbstzahlerleistungen die Initiative von Patienten aus. Mehr als jeder dritte Patient gab an, dass er sich bedrängt und unter Druck gesetzt fühlte.

Igel-Angebote müssen von den Kassenpatienten aus eigener Tasche bezahlt werden. Etwa eine Milliarde Euro geben gesetzlich Versicherte jährlich in deutschen Arztpraxen für solche Leistungen aus. Das Spektrum reicht von der professionellen Zahnreinigung über die Laserbehandlung von Krampfadern und Reiseimpfungen bis zur Augeninnendruckmessung zur Früherkennung des grünen Stars.

Den gesetzlichen Kassen ist die Ausweitung der Igel-Angebote seit langer Zeit ein Dorn im Auge. Vor allem Gynäkologen, Augenärzte, Orthopäden, Urologen und Hautärzte erzielen Untersuchungen der Kassen zufolge mit diesen Leistungen zusätzliche Einnahmen.

Quelle: jwu/AFP

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