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Aus der Schmoll-Ecke Im Land der tollen Kammerdiener und Kiffer

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Die Teil-Legalisierung von Cannabis trat vor vier Monaten in Kraft.

Die Teil-Legalisierung von Cannabis trat vor vier Monaten in Kraft.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Fortschrittskoalition hat den Cannabis-Besitz legalisiert. Da macht der nächtliche Spaziergang durch den Park wieder Spaß. Oder das Sonnenbaden mit Joint tagsüber. Keine Sorge. Die Polizei kann eh nicht kontrollieren, ob Sie sich korrekt verhalten - denn ihr fehlt es an Feinwaagen.

Mensch, Lesende, wie Leserinnen und Leser neuerdings politisch korrekt genannt werden müssen, woher soll ich wissen, wer in Niedersachsen regiert. Bei der Recherche zu dieser erneut famosen "Schmoll-Ecke" - "Recherche" kann man das eigentlich nicht nennen, was ich so tue, aber es klingt einfach besser - bin ich auf eine Meldung gestoßen, die mich ahnen ließ, wer über Hannover und die ostfriesischen Inseln herrscht. Dabei ging es um die mehrstufige Umsetzung eines fortschrittlichen Projekts der fortschrittlichsten Fortschrittskoalition der Welt, das so wichtig ist, dass ich vermute, dass es mindestens so viele Stufen hat wie das Empire State Building (1576): die Cannabis-Legalisierung.

Neulich zündete Stufe zwei, mit der, so las ich es, die Bildung - Bildung ist immer gut - einer "Anbauvereinigung" erlaubt wird, deren Mitglieder die Pflanzen gemeinsam züchten, ernten und verbrauchen dürfen. Ein gutes Mittel gegen Vereinsamung, wenn sich Kiffer gemeinsam als Bauern betätigen und dabei darüber reden, ob Joints gegen das "Klima von Hass und Gewalt" helfen könnten, wo es doch mit dem "Compact"-Verbot nicht geklappt hat.

In Niedersachsen, das, wie ich rausgefunden habe, auch von einer Fortschrittskoalition regiert wird (nur ohne FDP), hat die Landwirtschaftsministerin am 8. Juli "den ersten Erlaubnisbescheid" - eine Woche nach Inkrafttreten von Stufe zwei - "persönlich an den 'Cannabis Social Club Ganderkesee' überreicht". Dass sie das nicht unpersönlich, nicht via Mail oder Boten gemacht hat, ist sehr freundlich, finde ich. Und ich dachte: Wer das derartig feiert, kann nur Mitglied bei den Grünen sein. Stimmt, wie ein Check bei Google ergab. Die gute Frau sagte: "Die Zulassung der Anbauvereinigungen ist ein weiterer, wichtiger Schritt zur überfälligen Entkriminalisierung." Von wem? Oder was? Egal, ich ahne, was sie meint.

Das Eine-Woche-Bundesland

Zuständig für die Genehmigungsverfahren und die Überwachung von Anbauvereinigungen nach dem neuen Konsumcannabisgesetz (KCanG), das natürlich für alle B(I)PoCS, FLINTAS, FLINTA*S und sonstige Freunde lustiger Abkürzungen gilt, ist die Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Und die hat ganze Arbeit geleistet, wie es sich ihr Direktor in lockerer volksnaher Sprache selbst bescheinigte: "Dass bereits eine Woche nach Beginn der Antragsphase die erste Erlaubnis nach Paragraf 11 des Konsumcannabisgesetzes vorliegt, zeigt, wie effizient sich die Prüfdienste der Landwirtschaftskammer auf diese neue Aufgabe vorbereitet haben."

Wow!! Nur eine Woche! So geht Fortschritt in Deutschland, das Land der tollen Kammerdiener und glücklichen Kiffer. Da muss jedes Finanzamt zwischen Flensburg und Füssen neidig werden, wenn es die Aussagen des eifrigen Kammerdieners liest, muss der Mann von Headhuntern ab sofort regelrecht verfolgt werden. Eine Woche! Schön jedenfalls für die Mitglieder des "Cannabis Social Club Ganderkesee", die jetzt unter den Klängen des Buena Vista Social Clubs Hanf anbauen, später genießen und sich freuen dürfen, endlich entkriminalisiert worden zu sein und ihren nachhaltigen Beitrag zur Gesundung der vergifteten Gesellschaft beitragen zu können. Denn: "Wir garantieren eine Versorgung mit hochqualitativem, schadstofffreiem Cannabis, das regional und energieeffizient produziert wird."

Auch wenn ich nicht kiffe: Schade, dass ich nicht in Niedersachsen, dem Eine-Woche-Bundesland, lebe, sondern in Berlin, dem Failed Bundesland. Hier geht das nicht so schnell, hier regieren aber auch CDU und SPD ohne FDP oder Grüne, da ist der Fortschritt eine Schnecke. Die Hauptstadt ist das einzige der 16 Bundesländer, in dem Anbauvereinigungen noch auf die Genehmigung zum Anbauen warten müssen. Im "Tagesspiegel" klagte ein Mitglied von "Berlin Blatt & Blüte": "Wir haben etwa 200 Mitglieder, Räume, Töpfe und eine programmierbare Beleuchtung und Bewässerung. Jeder Monat, in dem wir Miete für Räumlichkeiten zahlen müssen, die wir noch nicht nutzen dürfen, ist eine starke Belastung."

So geht Entkriminalisierung!

So nicht! Schon denken die verhinderten Berliner Cannabiszüchter über eine Untätigkeitsklage gegen die Landesregierung (oder wen immer) nach. Die wird aber leider monatelang unbearbeitet liegen bleiben, weil die Gerichte genug zu tun haben, etwa mit Beschwerden oder Klagen gegen die Umbenennung der Mohrenstraße und die geplante Umzäunung des Görlitzer Parks. Der Zaun ist wahrscheinlich eh unnötig, da die Dealer nichts mehr mit Cannabis verdienen. Wenn das Schule macht, wird bestimmt alles gut. Dann gründen wir vielleicht noch Crack Social Clubs, Heroin Social Clubs, Kokain Social Clubs und Fentanyl Social Clubs, um Drogenkriminalität auszutrocknen und Dealer und Verbraucher zu entkriminalisieren.

Ich sehe es vor mir am Horizont: Deutschland, das Land ohne Drogen. Schon Anfang Juni - zwei Monate nach dem Zünden von Stufe eins des Fortschrittsgesetzes - ist bekannt geworden, dass die Justiz Zehntausende Verfahren und Strafen neu überprüfen muss, weil die fortschrittlichste Fortschrittskoalition der Welt auch eine Amnestie für Altfälle ermöglicht hat. Allein in Baden-Württemberg sind es etwa 25.000 Verfahren. In Berlin sind schon um die 100 Strafen wegen Verstößen mit Marihuana oder Haschisch reduziert worden. So geht Fortschritt! So geht Entkriminalisierung!

Mit Blaulicht, ohne Feinwaage

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Da macht der nächtliche Spaziergang durch den Görlitzer Park endlich wieder Spaß. Oder das Sonnenbaden mit Joint tagsüber. Keine Sorge. Die Polizei kann eh nichts prüfen, ob Sie sich korrekt verhalten, denn ihr fehlt es noch an Feinwaagen. In Berlin gab oder gibt es eine Ausschreibung für 788 Stück bis 150 Gramm, das Innenministerium von Sachsen-Anhalt gab bekannt, "150 Feinwaagen für schutzpolizeiliche Aufgaben" anzuschaffen. Feinwaagen gehören in jeden Streifenwagen (neben dem Zollstock zur Messung der Messerlängen), damit die Beamten gerüstet sind zu erforschen, ob die mitgeführte Menge an getrocknetem Cannabis - 25 Gramm dürfen Erwachsene ab 18 Jahre in der Öffentlichkeit bei sich haben - den erlaubten Wert überschreitet.

Die Polizei hat ja sonst nichts zu tun, wie wir alle wissen. Insofern wird es auch dort heißen: Danke, fortschrittlichste Fortschrittskoalition der Welt, für dieses wieder einmal grandios vorbereitete Gesetz zur Entkriminalisierung der deutschen Gesellschaft. Lassen Sie uns gemeinsam auf einer Party den Fortschritt feiern. Gerne in Ganderkesee mit dem tollen Eine-Woche-Kammerdiener. Wir freuen uns schon auf die spannenden Reden.

Quelle: ntv.de

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