"Ich ertrage diesen Mann nicht" Gisèle Pelicot verlässt zum ersten Mal den Gerichtssaal
14.10.2024, 15:49 Uhr Artikel anhören
Beweist seit 25 Prozesstagen unglaubliche Stärke: Gisèle Pelicot, hier mit ihrem Anwalt Antoine Camus.
(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)
Einer der Angeklagten im Pelicot-Prozess versucht vor Gericht, den Missbrauch an Gisèle Pelicot kleinzureden. Er habe schließlich "wenig Auswahl", wenn es um Sex-Dates gehe. Diese Aussage war eindeutig zu viel für die 72-Jährige - sie verlässt zum ersten Mal den Saal.
Sie will die Scham umkehren, denn nicht sie muss sich schämen, Gisèle Pelicot, das Opfer, sondern die anderen müssen sich schämen, die Täter. Die Männer, die eine Frau missbraucht haben, die sich nicht wehren konnte, weil sie betäubt wurde. Tapfer steht Gisèle Pelicot seit Prozessbeginn jeden Tag im Gericht durch und guckt sich ihre Misshandler und die Videos, in denen gezeigt wird, was ihr widerfahren ist, an. Sie nimmt zur Kenntnis, was über sie gesagt wird. Sie hält das aus. Wie, ist bis jetzt ein Rätsel. Fast übermenschlich reagiert die 72-Jährige. Zum Beispiel auch auf Vorwürfe und Anschuldigungen, von allem gewusst zu haben, "es" sogar gemocht zu haben. Einverstanden gewesen zu sein.
Nichts davon ist wahr: Gisèle Pelicot litt immer wieder unter für sie nicht erklärbaren gynäkologischen Problemen und Gedächtnisstörungen. Wenn der jahrelange Missbrauch nicht durch einen Zufall aufgedeckt worden wäre, würde sie heute weiterhin nicht wissen, was mit ihr geschehen ist.
Gisèle Pelicots Ex-Mann Dominique Pelicot hat gestanden, seine Frau von 2011 bis 2020 immer wieder mit Schlafmitteln betäubt und vergewaltigt zu haben. In mindestens 92 Fällen waren auch fremde Männer beteiligt, die Dominique Pelicot in Internetforen kontaktiert hatte.
Dies wurde aufgedeckt, als er wegen eines anderen Vergehens ins Visier der Justiz geriet und die Ermittler auf etwa 4000 Fotos und Videos von Vergewaltigungen der offensichtlich bewusstlosen Frau stießen. Die Ermittler identifizierten 50 von ihnen, die sich nun neben dem Hauptangeklagten vor Gericht verantworten müssen. Ihnen drohen Haftstrafen von bis zu 20 Jahren.
"Zu wenig Auswahl"
Doch am 25. Prozesstag verlässt Madame Pelicot mitten in der Verhandlung den Gerichtssaal. Einer der angeklagten Männer, Vincent C., versucht nämlich, den Missbrauch kleinzureden. Er habe "wenig Auswahl", wenn es um Sex-Dates gehe, jammert er und begründet damit sein Interesse an Dominique Pelicots Ehefrau, "das Internet-Forum sei schließlich kein Supermarkt". Diese Aussage - der Vergleich mit einem Supermarkt-Produkt - ist zu viel für Gisèle Pelicot: "Ich kann diesen Mann nicht ertragen", sagt sie und verlässt laut "BBC" den Saal.
Wie "einen Müllsack" haben die über 80 Vergewaltiger sie behandelt - das Wort "Müllsack" ist ihre Formulierung für das, wozu sie von ihren Peinigern gemacht wurde. Nicht alle Täter konnten bisher identifiziert werden, da aber der Ehemann jeden Missbrauch gefilmt hat, dürften im Laufe der Ermittlungen zu den bisher 52 Angeklagten auch noch die restlichen Täter kommen.
Vincent C., ein Nachbar - er wohnt nur ein paar Straßen weiter - ist nun jedoch derjenige, der Pelicot an ihre Grenzen bringt. Laut "Bild"-Zeitung verging der 43-Jährige sich zweimal (im Oktober 2019 und im Januar 2020) an seinem Opfer. Das belegen zwei Videos, die die Polizei auf dem Computer von Dominique Pelicot gefunden hat. Laut französischen Medien hat der 71-Jährige seine Videos säuberlich sortiert und mit obszönen Titeln beschriftet. Der ehemalige Tischler C. versucht weiterhin, sich rauszureden: Vor Gericht räumt er den Geschlechtsverkehr zwar ein, will dabei aber weder die Absicht noch das Gefühl gehabt haben, eine Vergewaltigung zu begehen.
"Sex mit einem trägen Körper"
Der Richter stellt daraufhin eine vorsichtig formulierte Frage, für die sich viele interessieren dürften: "Welches Interesse besteht an Sex mit einem trägen Körper?" Laut dem französischen Nachrichtensender "bfmtv" antwortet Vincent C. darauf widersprüchlich, sagt, dass er eigentlich kein Interesse "daran" gehabt hätte, sondern es "dem Vergnügen des Paares dienen sollte". Vincent C. war also nur ein Erfüllungsgehilfe? Der sich über die leblos daliegende Frau hermachte und sich nicht wunderte, dass sein Opfer sich nicht rührte, nichts sagte, sogar schnarchte, wie bereits mehrfach betont wurde?
Die abstruse Begründung des Angeklagten, laut "Bild-Zeitung": "Wenn der Ehemann zu mir sagt, 'Sie ist zu Bett gegangen, wir wecken sie', dann entfällt für mich die Frage nach der Einwilligung." Er sei zudem "zuversichtlich" gewesen, weil er dachte, "ich würde von dem Paar eingeladen werden".
C. ist sogar ein Wiederholungstäter, zumindest was die Kontaktaufnahme im Internet ("Es ging sehr schnell. Ich habe mich angemeldet und eine halbe Stunde später war der Termin vereinbart") anging, denn drei Monate nach der ersten Vergewaltigung chattet Vincent C. erneut mit Dominique Pelicot. "Ich mache ihn darauf aufmerksam, dass ich schon einmal hier war und es seltsam fand." Pelicot habe daraufhin zu ihm gesagt, dass er sich das Video mit seiner Frau angesehen habe, es hätte ihr gefallen. "Wissen Sie, dass Gisèle Pelicot ein Opfer Ihrer Taten war?", fragt der Richter den Angeklagten noch. Der Angeklagte antwortet mit: "Ja." Und fährt fort: "Jetzt, wo mir erzählt wird, wie sich die Ereignisse entwickelt haben, kämen die Taten, die ich begangen habe, einer Vergewaltigung gleich", so Vincent C. vor Gericht.
Die Männer? Verstecken sich ...
Als diese Aussagen und die Aufnahmen der Vergewaltigung im Gericht abgespielt werden, steht C. laut "BBC" mit gesenktem Kopf vor den Richtern, er schaut nicht auf den Bildschirm. Nur ein paar Meter von seiner Ex-Frau entfernt versteckt sich auch Dominique Pelicot auf der Anklagebank hinter Papieren: Weder möchte er gesehen werden, noch möchte er anscheinend sehen, was in den Videos gezeigt wird. Und das, obwohl er dem Mitangeklagten damals ja gesagt hatte: "Wir haben uns das Video angesehen, und es hat ihr gefallen."
Quelle: ntv.de, soe/AFP