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Neapels Supervulkan In Pozzuoli tanzt die Erde

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Aus den Phlegräischen Feldern steigen immer wieder Gase auf.

Aus den Phlegräischen Feldern steigen immer wieder Gase auf.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Die Campi Flegrei sind Neapels zweiter Vulkan. Weniger bekannt als der Vesuv, aber gefährlicher und aktiver. Hier leben eine halbe Million Menschen. Bei einer Erkundungsreise begegnet man Risiken, Ängste und Fatalismus.

An das Gefühl eines leichten Zitterns unter den Füßen ist Francesca, 28 Jahre alt, gewöhnt. Ihre Großmutter erzählte ihr früher, die Erde unter Pozzuoli würde tanzen. Damit meinte sie die Auf- und Abwärtsbewegungen der Erdoberfläche, ausgelöst durch die unterirdischen Magmabewegungen. Wissenschaftler nennen das Bradyseismos.

Eine Karte des National Institute of Geophysics and Volcanology zeigt die Ausdehnung der Campi Flegrei.

Eine Karte des National Institute of Geophysics and Volcanology zeigt die Ausdehnung der Campi Flegrei.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Pozzuoli liegt gleich bei Neapel und ist die größte Gemeinde der Campi Flegrei. Wer an Vulkan und Neapel denkt, der hat den Vesuv vor Augen. Es gibt aber auch die Phlegräischen Felder, die auch ein Vulkan sind. Und nicht irgendeiner: Wegen seiner Ausbreitung auf über 150 Quadratkilometer und der lebhaften magmatischen Aktivität gilt er als Supervulkan. Dass er das letzte Mal 1538 ausgebrochen ist, macht ihn nicht weniger gefährlich.

Trotzdem leben hier fast eine halbe Million Menschen, deren Nerven in den letzten Wochen stark strapaziert wurden. Das alltägliche Beben hat sich nämlich dreimal in Erdbeben verwandelt. Das erste ereignete sich Ende September und hatte eine Stärke von 4,0 auf der Richterskala, das zweite folgte eine knappe Woche später und war 4,2 stark. Das letzte fand diesen Montag statt und hatte eine Magnitude von 3.6. Bei keinem gab es Verletzte und nur sehr geringe Schäden an den Bauten. Einige Einwohner waren aber so verängstigt, dass sie nach den ersten zwei Erdbeben mehrere Tage im Auto schliefen.

Das Knirschen und Bersten vor dem Beben

Francesca arbeitet in einer Touristeninformationsstelle und gehört zu jenen, die sich noch immer nicht ganz von dem Schrecken erholt haben. "Ich hatte davor noch nie Erdbeben erlebt", erzählt sie und beschreibt dann, wie es sich anhört und anfühlt. "Mehr als das Beben ist es das Knirschen und Bersten von Gestein, mit dem es sich ankündigt. Das hat mich erschüttert. Ich werde das nie vergessen." Und ja, sie spiele mit dem Gedanken wegzuziehen. "Aber ich lebe mit meiner Mutter in einer Eigentumswohnung. Wir müssten diese also zuerst verkaufen. Wer kauft schon heute eine Wohnung in Pozzuoli?" Man müsste mit dem Preis wahrscheinlich so sehr hinuntergehen, dass sie fast geschenkt wäre.

Schon vor Jahren wurden die Gemeinden der Campi Flegrei in zwei Gefahrenzonen, eine rote und eine gelbe, eingeteilt. Zur roten, die bei Ausbruchsgefahr sofort beziehungsweise in 72 Stunden geräumt werden müsste, gehören neben Pozzuoli auch Bacoli, Cuma, Monte di Procida und einige Viertel von Neapel. Wobei sich die 72 Stunden, die die Bewohner hätten, um bei einer Evakuierung das Wichtigste mitzunehmen, irreführend anhören. Denn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben wiederholt erklärt, weder ein Erdbeben noch ein Vulkanausbruch seien wirklich vorauszusehen.

Wirkliche Sicherheit gibt es hier nicht.

Wirkliche Sicherheit gibt es hier nicht.

(Foto: Andrea Affaticati)

Wie Carlo Doglioni, Präsident des Nationalen Istituts für Geologie und Vulkanologie Neapel, unlängst erklärte, gehören die bradyseismischen Bewegungen zum Alltag. "Neu ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Erde in der letzten Zeit hebt. In einem Monat können das auch 1,5 Zentimeter sein." Und das hat einerseits für mediale Aufmerksamkeit gesorgt und andererseits zu Vorkehrungsmaßnamen seitens der Politik.

Eine ähnliche Situation hatte es auch Anfang der 1980er-Jahre gegeben. In ungewöhnlich kurzer Zeit hatte sich der Erdboden gefährlich schnell und stark in die Höhe bewegt. Im April 1983 waren das 52 Zentimeter. Im Mai folgte dann ein Erdbeben der Stärke 3,4. Damals wurde beschlossen, einen Teil der Bevölkerung aus Pozzuoli zu evakuieren.

Mangelnde Fluchtwege

"Warum das diesmal nicht geschieht, ist schwer zu sagen", sagt Anna Savarese ntv.de. Sie ist Architektin und Mitglied der Umweltorganisation Legambiente in Kampanien. Sie beanstandet vor allem, dass 1984 ein Kommissar ernannt wurde, um für den Notfall einen Evakuierungsplan zu erstellen. Dieser war dann 1985 auf dem Papier auch fertig - dort ist er zum Großteil bis heute geblieben. "Mittlerweile leben auf dem Gebiet viel mehr Menschen als in den 80er-Jahren, es wurde weiter gebaut und somit wurden auch Straßen verbaut und enger gemacht, dafür sind die Autos aber immer größer", fügt Savarese hinzu. Filomenta, um die 45 Jahre alt, lebt "erst seit 15 Jahren in Pozzuoli", wie sie unterstreicht. Sie regt sich darüber auf, "dass einer der Evakuierungswege durch einen Tunnel führt. Das muss man sich erst einmal vorstellen." Außerdem ist sie sicher, dass die Politik der Bevölkerung etwas verschweigt. Was genau, weiß sie natürlich nicht. Die Sorge ist ihr anzusehen.

Gleich nach den zwei ersten Erdbeben hat die Regierung in Rom ein Dekret verabschiedet, um mit 52 Millionen Euro Stabilitätskontrollen an öffentlichen und privaten Gebäuden durchzuführen. In Italien wurde 1974 ein Gesetz verabschiedet, dass in gefährdeten Gegenden ausschließlich erdbebensichere Bauten erlaubt sind. "Wie aber Ischia voriges Jahr gezeigt hat, ist dem nicht immer so", sagt Savarese. In Ischia war im November 2022 nach einem Erdbeben ein Wohnhaus eingestürzt, bei dem nicht bewilligte Erweiterungsarbeiten durchgeführt worden waren, was dann zum Einsturz führte.

"Es geht aber nicht nur um die Kontrolle der Gebäude", unterstreicht der Bürgermeister von Pozzuoli, Luigi Manzoni, beim Treffen mit ntv.de, "sondern auch um die Versorgungsnetze für Gas, Strom, Wasser und Kanalisation unter dem Straßenmantel. Auch diese könnten Schäden erlitten haben." Weiter soll das Geld für eine Kommunikationsstrategie dienen und für den Ausbau des Zivilschutzes, sowohl beim Personal als auch bei der Ausrüstung.

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Lucio d'Oriano ist 74 Jahre alt, ein waschechter Puteolano, wie die Einwohner von Pozzuoli heißen, und war von Beruf Bauingenieur. Auf die Frage, ob er nie daran gedacht habe, wegzuziehen, antwortet er: "Nein, das ist mein Zuhause". Außerdem sei der Mensch doch sehr anpassungsfähig. "Zumindest die meisten", fügt er hinzu und erzählt eine Anekdote aus den 80er-Jahren. Auch er sei damals beauftragt worden, Stabilitätskontrollen durchzuführen. "Darunter war auch ein Wohnhaus, das keinerlei Schäden aufwies und deswegen auch keine Räumung erforderte." Unter den Bewohnern gab es aber einen Mann, der über das Gutachten gar nicht beruhigt war, im Gegenteil. "Mit seinem kleinen Sohn an der Hand kam er zu mir und sagte: 'Mit Ihrer Beurteilung ignorieren Sie mein Recht, Angst zu haben.'" Es ist zu vermuten, dass sich der Mann sicherer gefühlt hätte, wäre er evakuiert worden.

Es heißt, da es sich in den Campi Flegrei um magmatische Erdbeben handelt, könnten sie maximal eine Stärke von 5,0 der Richterskala erreichen und somit nie so zerstörerisch sein wie ein tektonisches Beben. Das ist natürlich keine Garantie. Aber was sollen die Menschen hier machen, außer der Wissenschaft zu vertrauen und den Rest dem Schicksal zu überlassen?

Quelle: ntv.de

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