Clan-Mitglieder teils frei Juwelendiebe können mit Urteilen zufrieden sein
16.05.2023, 14:44 Uhr Artikel anhören
Es ist ein Deal, über den diskutiert wird: Fünf der sechs Angeklagten im Prozess um den Einbruch ins Dresdner Grüne Gewölbe erhalten Strafen, drei der Männer aus dem Remmo-Clan kommen dennoch auf freien Fuß. Und das, obwohl der Richter eine "ungewöhnlich hohe kriminelle Energie" feststellen kann.
Es war ein Coup, der weltweit Schlagzeilen machte: Als im November 2019 Juwelenschmuck im Wert von 116 Millionen Euro aus dem Grünen Gewölbe in Dresden gestohlen wurde, erschütterte das nicht nur Sachsen, sondern die gesamte Museumsbranche. Am Dienstag verurteilte das Dresdner Landgericht nun fünf Angeklagte - drei davon kommen aber zunächst auf freien Fuß. Was irritierend klingt, ist Teil eines Deals in einem Prozess, an dessen Ende der Freistaat Sachsen und zumindest einige Angeklagte zufrieden sein dürften.
Seit mindestens zwei Jahren sitzen insgesamt sechs aus dem Berliner Remmo-Clan stammende Männer in Untersuchungshaft. Fast ein Jahr trat der Prozess auf der Stelle, bis es im Dezember eine überraschende Wende gab. Ein vor Gericht ausgehandelter Deal stellte den Angeklagten mildere Strafen und zum Teil Haftverschonung in Aussicht - als Gegenleistung für eine Rückgabe des Schmucks und Geständnisse.
Vier der 24 bis 29 Jahre alten Angeklagten legten nach Angaben des Vorsitzenden Richters Andreas Ziegel glaubhafte Geständnisse ab und zeigten zudem Reue. Einen fünften Angeklagten, den die Mitangeklagten als zu tollpatschig für einen solchen Einbruch darstellten und ihn damit entlasten wollten, verurteilte das Gericht gleichwohl als Mittäter. Alle erhielten Haft- und Jugendstrafen von vier Jahren und vier Monaten bis zu sechs Jahren und drei Monaten.
Sie hätten eine "ungewöhnlich hohe kriminelle Energie" an den Tag gelegt und seien äußert planvoll vorgegangen, sagte Ziegel in seiner Urteilsbegründung. Der sechste Angeklagte wurde freigesprochen, er konnte ein Alibi vorweisen. Zwei Angeklagte sitzen derzeit ohnehin noch eine Jugendstrafe wegen des Diebstahls einer Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum ab. Ein weiterer Angeklagter bleibt wegen Fluchtgefahr hinter Schloss und Riegel.
Meiste Stücke zurück, Gesamtensemble zerstört
Drei Männer, deren Haftbefehle mit dem Urteil gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt wurden, können hingegen dank des Deals nach Hause. Gegebenenfalls müssen sie später eine Reststrafe absitzen. Das entscheidet die Staatsanwaltschaft. Zumindest diese drei wirkten am Dienstag sichtlich erleichtert über die Aussicht auf Freiheit. Und der Freistaat Sachsen ist ohnehin froh, zumindest einen Teil der Beute wiederzuhaben - wenn auch teilweise beschädigt durch Kratzer, Brüche oder Rost.
Der Vorsitzende Richter hält den Deal für gerechtfertigt. "Der Kammer war bewusst, dass ohne die Verständigung die als unersetzlich eingeschätzten Schmuckstücke wohl nie ins Grüne Gewölbe zurückkehren würden", sagte Ziegel. Zwar sei der Schmuck unvollständig und das "Gesamtensemble wohl für immer zerstört". Gleichwohl gelte die Regelung einer Verständigung "auch für Herrn Remmo wie für Herrn Müller oder Herrn Meier", sagte er.
Tatsächlich ist der Deal nicht unumstritten. Zwischenzeitlich stellte die Staatsanwaltschaft die ausgehandelte Verständigung infrage, weil sie Aussagen der Angeklagten für unzureichend und nicht glaubwürdig hielt. So räumten die Angeklagten erst spät teilweise eine direkte Tatbeteiligung ein, oft gaben sie aber Erinnerungslücken an. Zudem munkelten die Angeklagten von unbekannten Mittätern. So konnte nicht geklärt werden, wer der zweite Mann im Juwelenzimmer war, der mit einem der Angeklagten mit einer Axt auf eine Vitrine einschlug und die mit mehr als 4300 Diamanten und Brillanten besetzten Schmuckstücke herausriss.
Richter richtet Appell an junge Männer
Im Dunkeln blieb auch der Verbleib des restlichen Schmucks. Von der Brillanten-Epaulette mit dem "Sächsischen Weißen" und der Großen Brustschleife der Königin Amalie Auguste etwa fehlt nach wie vor jede Spur. Die Angeklagten gaben sich unwissend.
Am Schluss der Urteilsbegründung gab der Vorsitzende Richter den bereits vorbestraften Angeklagten noch einen Rat mit auf den Weg. Sie könnten - "trotz der familiären Einbindung" - selbst entscheiden, wie es weiter gehe in ihrem Leben und ob sich Straftaten und Haft abwechseln - oder "ob sie ein rechtschaffenes Leben führen wollen".
"Man kann vielleicht kein dickes Auto mehr fahren, sondern nur eine Familienkutsche, aber es gibt Dinge, für die es sich lohnt", sagte Ziegel. Zumindest einer der Angeklagten, der sein zweitgeborenes Kind noch nicht sehen konnte, nickte eifrig dazu.
Quelle: ntv.de, Andrea Hentschel, AFP