Hoffnung auf Literatur-SchatzKafka aus Tresor befreit
Ein Gericht in Tel Aviv ordnet die Überprüfung verschiedener Manuskripte von Franz Kafka und Max Brod an. Die Frage ist, wem sie gehören.
Nach vierzig Jahren werden im Laufe der kommenden Woche Manuskripte von Franz Kafka und Max Brod aus sechs Panzerschränken in Tel Aviver Banken und vier weiteren in Zürich "befreit".
Nach monatelangen Gerichtsverhandlungen bei einem Familiengericht in Tel Aviv, teilweise hinter verschlossenen Türen, ist das Urteil gefallen, die Schriftstücke der beiden weltberühmten Autoren der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der erste Schritt geschah am Montagmorgen. Mit einem richterlichen Befehl in der Hand erschienen mehrere Rechtsanwälte in der Kikar-Hamedina-Filiale der Discount Bank. Sie wollten die im Tresor lagernden Dokumente ausgehändigt bekommen.
Wie die Zeitung "Haaretz" meldet, sei dabei plötzlich Eva Hoffe in der Filiale aufgetaucht. "Das gehört mir, das gehört mir", habe sie nach Augenzeugenberichten gerufen und versucht, die Herausgabe der Papiere an die Anwälte zu verhindern – letztlich vergebens. Hoffe ist die Tochter der verstorbenen Privatsekretärin Max Brods, Esther Hoffe. Zusammen mit ihrer Schwester Ruthie hält sie sich für die rechtmäßige Erbin des Nachlasses von Brod und Kafka. Brod hätte eigentlich Kafkas Hinterlassenschaft verbrennen sollen, brachte sie jedoch in einem Koffer nach Tel Aviv, als er vor den Nazis aus Prag fliehen musste.
Die Nationalbibliothek in Jerusalem hatte gegen die Schwestern Hoffe geklagt, in deren Privatbesitz sich der Nachlass der Schriftsteller befindet. Die Nationalbibliothek wollte verhindern, dass jüdischer Nationalbesitz illegal ins Ausland gelangt. 1988 hatte Esther Hoffe das Originalmanuskript von Kafkas "Prozess" unter Umgehung der israelischen Gesetze für zwei Millionen Dollar an das Deutsche Literaturarchiv Marbach verkauft. Es handelt sich um die höchste Summe, die jemals für ein literarisches Manuskript gezahlt wurde.
Richterin schafft Klarheit
Die Anwälte sollen nun die ihnen von der Discount Bank ausgehändigten Dokumente auflisten. Über die Inhalte wurde allerdings eine richterliche Nachrichtensperre verhängt. Das Veröffentlichungsverbot wird inzwischen von der Zeitung "Haaretz" vor Gericht angefochten.
Anhand der Liste muss das Gericht dann entscheiden, ob das gefundene Material zu freien Verfügung steht oder zum Privatbesitz der Schwestern Hoffe gehört. Sollte es sich bei den Dokumenten um "literarisches Erbe" handeln, würden die Papiere öffentlichen Archiven zur Aufbewahrung überstellt. Deutsche wie israelische Forscher erhoffen sich neue Einblicke in das Leben des Franz Kafka und vielleicht gar unbekannte Werke des 1924 bei Wien gestorbenen Schriftstellers.