Hunderte zu Tode gefastet Kenia sucht Opfer der Hunger-Sekte
29.04.2023, 12:03 Uhr Artikel anhören
Eine völlig entkräftete Überlebende wird aus dem Wald gebracht.
(Foto: dpa)
Es sind grausame Horror-Fotos, die derzeit in afrikanischen Medien zirkulieren. In Kenia heben die Behörden täglich Massengräber aus. Hunderte Anhänger einer Sekte haben sich zu Tode gefastet. Unter den Toten sind viele Kinder.
Zunächst sieht es nach Einzelfällen aus, doch inzwischen ist klar: Bis zu 100 Anhänger einer Sekte haben sich in Kenia offenbar zu Tode gehungert. Die endgültige Zahl der Leichen steht noch nicht fest, denn täglich heben die Behörden in einem dichten Waldstück am Strand nahe der Touristenhochburg Mombasa am Indischen Ozean weitere Gräber aus. Mehr als die Hälfte der Toten sind Kinder.
"Wir wissen nicht, wie viele weitere Gräber, wie viele weitere Leichen wir wahrscheinlich entdecken werden", erklärte Kenias Innenminister Kithure Kindiki in einer Pressekonferenz und betonte, dass die Verbrechen schwerwiegend genug seien, um eine Anklage wegen Terrorismus gegen den Sektenführer zu rechtfertigen.
Paul Mackenzie Nthenge, der religiöse Anführer der Sekte Good News International, hatte seinen Anhängen offenbar weisgemacht, dass das Ende der Welt nahe sei und dass nur diejenigen in den Himmel kommen, die sich zu Tode fasten. Der berühmte Fernsehprediger, ein früherer Taxifahrer und selbst Vater von sieben Kindern, war der Polizei bereits bekannt. Er war schon 2017 unter dem Vorwurf der "Radikalisierung" festgenommen worden, nachdem er Familien aufgefordert hatte, ihre Kinder nicht zur Schule zu schicken. Seine Begründung lautete, irdische Bildung werde von der Bibel nicht anerkannt.
Laut lokalen Medien wurde Mackenzie letzten Monat erneut festgenommen, nachdem zwei Kinder in der Obhut ihrer Eltern verhungert waren. Er kam auf Kaution frei. Mitte April wurde er erneut festgenommen. Nächste Woche wird er vor Gericht gestellt. Laut Kenias Generalstaatsanwaltschaft wird er wegen Mordes und Terrorismus angeklagt. Der Innenminister sprach sogar von "Völkermord" und unterstrich: "Wir rechnen nicht damit, dass Mackenzie je wieder aus dem Gefängnis kommt". Inzwischen wurde der prominente Anführer einer anderen selbsternannten Kirche wegen offenbar ähnlicher Vorfälle festgenommen. Ezekiel Odero, einer der einflussreichsten Prediger Kenias und Leiter des sogenannten Neues-Leben-Gebetszentrums sowie der Neues-Leben-Kirche, sei in der Küstenstadt Malindi im Zusammenhang mit der "Massentötung seiner Anhänger" festgenommen worden, hieß es aus dem Innenministerium.
Suche nach Gräbern
"Der Horror, den wir in den letzten vier Tagen gesehen haben, ist traumatisierend. Nichts bereitet Sie auf flache Massengräber von Kindern vor", sagte Hussein Khalid, Direktor der Menschenrechtsgruppe Haki Africa. Er hatte aus der lokalen Bevölkerung Hinweise über die Machenschaften des Sektenführers erhalten. Seinen Angaben zufolge verlangte die Sekte anscheinend, dass Kinder zuerst verhungern, gefolgt von Frauen und schließlich Männern. Frühere Angehörige der Kirche berichteten, dass Mackenzie und seine Familie als Letzte fasten sollen, bevor dann im Juni die Welt untergehen werde.
Khalid und sein Team hatten lange nach den Gräbern suchen müssen. Der Shakahola-Wald ist ein dichter Urwald entlang der Küste. Um zu den Massengräbern vorzustoßen, mussten er und sein Team Bäume fällen und Buschwerk wegschaffen. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP gab Khalid an, dass bislang rund 60 Gräber entdeckt worden seien. In einigen lagen mehrere Leichen, einige Tote waren erst gar nicht beerdigt worden, sondern verrotteten unter freiem Himmel. Das Rote Kreuz in Kenia gab in einer Presseerklärung an, dass bis zu 200 Menschen in der Gegend als vermisst gelten.
Es wurden in den vergangenen Tagen in dem Wald zwischen den Gräbern 34 Überlebende gefunden, die nun ärztlich behandelt werden, erklärte Innenminister Kindiki und gab an, dass einige gar nicht überleben wollten. "Wir beten, dass Gott ihnen hilft, das Trauma zu überwinden, ihnen zu helfen, sich zu erholen", so Kindiki.
Kenias Zivilgesellschaft fordert in Anbetracht des Horrors, der sich immer weiter offenbart, dass die Regierung die religiösen Sekten stärker kontrolliere. In dem zutiefst religiösen Land gibt es viele Sekten, Freikirchen und Prediger, der ihre Anhänger quasi einer Gehirnwäsche unterziehen. Unter dem Einfluss des Sektenführers hätten viele seiner Gefolgsleute ihr Hab und Gut, ihre Häuser, ihre Geschäfte verkauft, um auf die Ankunft Jesu zu warten, berichteten lokale Medien.
Nach fast einer Woche und bis zu 100 geborgenen Leichen ist die Suche nach weiteren Toten derzeit ausgesetzt. Der Grund: Die Leichenhalle in der nahe gelegenen Stadt Malindi ist voll. Das Rote Kreuz muss erst Kühlcontainer anschaffen, um weitere Leichen bergen zu können.
Quelle: ntv.de