Kurioses, aber legales Hobby Lockpicking-Fans öffnen ohne Schlüssel fast jedes Schloss
06.10.2024, 14:28 Uhr Artikel anhören
Lockpicking ist "ein unglaublich komplexes Thema" und "ein bisschen James Bond", so zwei Hobby-Schlossöffner.
(Foto: dpa)
Es ist ein kurioses Hobby: Sie nennen sich "Sportsfreunde der Sperrtechnik" und bekommen mit speziellem Werkzeug und viel Gefühl fast jedes Schloss auf. Ihr Wissen geben sie gern weiter - aber nur, wenn die Richtigen fragen.
Heiko und Steffen kippen eine Tasche voller Vorhängeschlösser auf den Tisch. Die Spitzen von zwei dünnen Geräten verschwinden in einer Schlüsselöffnung, ein wenig drücken hier, ein bisschen stochern da und schwupp springt der Bügel hoch. Ein billiger Nachbau, konstatieren die beiden Mittfünfziger, wer etwas damit sichert, sollte sich keine Hoffnung machen, dass dies jemanden sehr lange aufhält.
Heiko und Steffen sind Mitglieder in der Frankfurter Ortsgruppe des bundesweiten Vereins "Sportsfreunde der Sperrtechnik". Beide arbeiten in IT-Berufen und wollen aus Rücksicht auf ihre Arbeitgeber ihre Nachnamen nicht nennen - obwohl das, was sie tun, völlig legal ist. Denn die Außenwirkung ihres ungewöhnlichen Hobbys ist eine andere, das ist den beiden bewusst. Dass Heiko früher im Justizvollzug arbeitete, macht es nicht besser.
Schlösser öffnen ohne Schlüssel: Heiko reizt am sogenannten Lockpicking vor allem "der Nimbus des Unmöglichen - ein bisschen James Bond". Steffen findet die Technik von Schlössern "ein unglaublich komplexes Thema". Es sei wie ein Puzzle oder ein Buddelschiff oder ein Tangram: Der Hersteller stellt eine Denksportaufgabe, für die man zudem Geschicklichkeit braucht, und die Lockpicker versuchen sie zu lösen.
Die wichtigste Regel beim Lockpicking: Das Schloss darf nicht beschädigt werden. Daher wollen die "Sportsfreunde der Sperrtechnik" auch keinesfalls als Hobby-Schlossknacker bezeichnet werden - denn ein Schloss zu knacken bedeutet, es zu zerstören.
Beide Männer sind seit Anfang der 2000er-Jahre im Verein "Sportsfreunde der Sperrtechnik" aktiv. Deutschlandweit gibt es 15 Gruppen mit mehr als 1000 Aktiven. In Frankfurt treffen sich die acht bis zehn Mitglieder einmal im Monat zum Stammtisch. Als es im Nebenzimmer der Kneipe einmal besonders spät wurde, habe der Wirt sie versehentlich eingeschlossen, erzählt Heiko. War kein Problem für die Profis mit dem Pick-Set.
Diamanten und Schneemänner im Einsatz
Das Pick-Set ist der Werkzeugkoffer der Lockpicker, wie die Schlossöffner international genannt werden. Das Set ist kleiner als ein Handy und beinhaltet verschiedene Metallhaken die "Half Diamond", "Hook", "Snake" oder "Schneemann" heißen, je nachdem, wie die Spitze oben geformt ist. Dazu gibt es sogenannte Spanner, die sich die Profi-Picker meist selbst aus Metallstäben zurechtbiegen.
Was davon zum Einsatz kommt, hängt von der Art des Schlosses ab. In Wohnungstüren befinden sich überwiegend Bartschlösser: Der Bart des Schlüssels schiebt im Schloss-Riegel zur Seite. Haustüren sind vornehmlich mit Zylinderschlössern gesichert: Die Zacken an der Schlüsselkante drücken im Schloss Stifte auf Federn in die richtige Position.
Ein Tresor ist mit einem Chubb-Schloss am besten gesichert: Ein doppelseitig gefräster Schlüssel hebt im Schloss Scheiben an die korrekte Stelle. Eigentlich das gleiche Prinzip wie das Scheibenschloss am Briefkasten - nur auf einem ganz anderen Sicherheitsniveau. Denn allein die Bauart des Schlosses ist den Lockpickern zufolge nicht das einzige Kriterium für die Sicherheit.
Ehrenkodex in der "Sportordnung"
Ein Punkt ist die Präzision: Je präziser das Schloss gefräst wurde, desto schwerer ist es zu manipulieren. Die Picker nutzen die jeweiligen Ungenauigkeiten, indem sie mit dem Werkzeug die einzelnen Stifte oder Scheiben verschieben und erspüren, wie das Schloss reagiert. Die "Sportordnung" des Vereins verpflichtet die Mitglieder auf einen Ehrenkodex: "Du darfst nur Schlösser öffnen, die Dir gehören. Für alle anderen Schlösser brauchst Du die Erlaubnis des berechtigten Besitzers."
Dem Mann, der beim Mitgliedsantrag fragte, was das schnellste Werkzeug für einen Mercedes sei, habe man einen schönen Tag gewünscht, berichtet Heiko. Statt Autos zu knacken, helfen die Sportfreunde neben dem eigenen Vergnügen Behörden, Herstellern, Museen und Privatleuten.
Kurioser Einsatz im Museum
Im Auftrag eines Landeskriminalamts öffneten die Sportfreunde eines anderen Bundeslandes Türschlösser und erstellen einen Katalog für Einbruchsspuren, wie Heiko berichtet. Kollegen aus dem Süden prüften im Auftrag einer Fahrrad-Zeitschrift die Qualität von Radschlössern.
Die Frankfurter sind besonders oft in Museen im Einsatz. Sie haben in Frankfurt historische Münzfernsprecher geöffnet und in Marburg antike Schränke. Besonders kurios war der Einsatz in einer Kunstausstellung, in der ein Scherzbold unter den Besuchern eine Handschelle schloss, die die Künstlerin offen über einen Draht gehängt hatte.
Abzock-Falle Schlüsseldienst
Weil es oft so leicht geht, haben die Sportsfreunde der Sperrtechnik wenig Verständnis für Schlüsseldienste, die möglichst viel Schaden anrichten, damit der Kunde möglichst viel zahlen muss. Wenn die Tür nur zugefallen ist, reiche eine Türfallennadel, die jeder legal erwerben könne, sagt Heiko. Auch der Besitz eines Pick-Sets ist in Deutschland - anders als in einigen anderen europäischen Ländern - absolut legal.
Für Diebe oder Einbrecher seien Pick-Sets nicht die Methode der Wahl, sagt Heiko. "Das dauert viel zu lange." Kriminelle suchten nach der am einfachsten zugänglichen Schwachstelle: die nicht abgesperrte Haustüre, die zu dünne Kette am Fahrradschloss, das Billigprodukt, das schon durch Ziehen aufspringt.
Auch nach mehr als 20 Jahren im Klub langweilen sich Heiko und Steffen nicht. Nicht nur Innovationen der Hersteller stellen sie vor neue Aufgaben - die Sperrtechnik ist im Wandel. Transponder, Schlüsselkarten und Tastenfelder öffnen Türen mithilfe von Elektronik. Weil das nicht unbedingt sicherer ist als der gute alte Schlüssel, gehen den Sportsfreunden der Sperrtechnik die Themen auch in Zukunft nicht aus.
Die "Sportsfreunde der Sperrtechnik" tragen sogar Meisterschaften aus - in diesem Jahr finden sie von 15. bis 17. November statt, in welcher Stadt, das steht noch nicht fest. Es geht darum, möglichst viele Schlösser in möglichst kurzer Zeit zu öffnen.
Quelle: ntv.de, Sandra Trauner, dpa