Panorama

Trotz akuter FeuergefahrLondoner verweigern Hochhausräumung

24.06.2017, 12:18 Uhr
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Wie der Grenfell Tower ist auch der Chalcots Estate im Nordwesten Londons mit flammbaren Materialien verkleidet. (Foto: REUTERS)

Nach dem verheerenden Brand im Londoner Grenfell Tower evakuiert die Stadt vorsorglich fünf weitere Hochhäuser. Auch ihre Fassade soll leicht entflammbar sein. Rund 80 Menschen wollen ihre Wohnungen jedoch nicht verlassen.

Bei der Räumung mehrerer Hochhäuser in London wegen Brandgefahr sind mehr als 80 Menschen in ihren Wohnungen geblieben. Sie hätten sich geweigert, die Häuser des Chalcots Estates im Stadtteil Camden zu verlassen, berichteten Behörden. Die Gebäude waren in der Nacht evakuiert worden. Hunderte Menschen konnten nur das Nötigste packen und verbrachten die Nacht auf Matratzen in öffentlichen Gebäuden, in Hotels oder bei Freunden.

Eine Inspektion hatte ergeben, dass "dringende Arbeiten zur Brandsicherheit" nötig seien. Nach neuesten Angaben sind etwa 650 Wohnungen betroffen. Ein Hochhaus wurde nachträglich überraschend als sicher eingestuft, die Menschen konnten bereits in ihre Wohnungen zurückkehren.

Viele Bewohner der in der Nacht geräumten Häuser zeigten sich wütend über die plötzliche Aufforderung zur Evakuierung. "Das ist total verrrückt. Was hätte eine weitere Nacht schon für einen Unterschied gemacht?" fragte Melanie Tham. Der 19-jährige Ahmed Mohamed pflichtete ihr bei: "Es war ein totales Durcheinander. Wir hatten nur fünf Minuten, um unsere Sachen zu packen."

"Die Verkleidung sah hübsch aus"

Andere zeigten sich verständnisvoll. Es sei "beängstigend", sagte Michelle Urquhart: "Wir haben seit zehn Jahren mit dieser Fassade gelebt." Die Rentnerin Pippa Wordsworth konnte von ihrer Wohnung im 18. Stockwerk in den vergangenen Tagen das ausgebrannte Gerippe des Grenfell Tower am Horizont sehen. "Die Verkleidung sah hübsch aus", sagte sie. "Wir hatten ja keine Ahnung, dass sie so gefährlich sein könnte."

Nach der Brandkatastrophe vor anderthalb Wochen im Londoner Grenfell Tower werden zahlreiche Hochhäuser in Großbritannien überprüft. Allein in England haben rund 600 Gebäude eine ähnliche Fassade, 27 Gebäude wurden demnach bisher als gefährlich eingestuft.

Bei den Häusern in Camden hatte sich gezeigt, dass leicht entflammbare Außenfassade von der gleichen Firma angebracht wurde, die sich auch für den Grenfell Tower verantwortlich zeichnete. Es gibt darüber hinaus Mängel bei der Isolierung der Gasleitungen sowie bei Brandschutztüren.

May sichert Unterstützung zu

Die Arbeiten an den geräumten Gebäuden sollen drei bis vier Wochen dauern. "Wir können kein Risiko eingehen. Um die Kosten kümmern wir uns später", sagte Georgia Gould vom Bezirksrat. Premierministerin Theresa May sicherte den evakuierten Bewohnern "jegliche Unterstützung" zu.

Bei der Brandkatastrophe im Grenfell Tower am 14. Juni waren mindestens 79 Menschen ums Leben gekommen, nachdem sich ein defekter Kühlschrank entzündet hatte. Die tatsächliche Opferzahl könnte aber noch wesentlich höher liegen. Möglicherweise haben sich viele Menschen illegal in dem Sozialbau aufgehalten.

Quelle: ath/dpa/AFP

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