
Johannes Erlemann wurde als Elfjähriger entführt.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Vor mehr als 40 Jahren endet die Kindheit des elfjährigen Johannes Erlemann jäh. Er wird entführt, seine Freilassung soll Millionen bringen. Obwohl er schließlich nach der Zahlung eines Lösegelds freigelassen wird, lassen ihn die Erlebnisse nie wieder los.
Johannes Erlemann ist auf dem Weg nach Hause, als sich sein ganzes Leben ändert. Es ist der 6. März 1981, es regnet immer mal wieder, die Temperaturen liegen um die 5 Grad Celsius. Erlemann ist elf Jahre alt. An einer Wegkreuzung im Forstbotanischen Garten in Köln reißen ihn drei Männer vom Fahrrad, schleifen den Jungen durch den Wald und rasen mit ihm in einem Transporter davon. Erlemann steckt in einer Holzkiste, er wurde entführt.
Die Entführer versprechen sich vom jüngsten Sohn des Kölner Finanzmaklers Dr. Jochem Erlemann fette Beute. Die erste Lösegeldforderung beträgt sagenhafte acht Millionen D-Mark. Der Haken ist nur: Erlemann senior sitzt gerade in Untersuchungshaft, weil er Anleger betrogen haben soll. Die Familie ist praktisch zahlungsunfähig. Selbst als die Entführer auf drei Millionen D-Mark runtergehen, kann er nichts beitragen.
Der elfjährige Johannes hatte sein Leben bis zu diesem Zeitpunkt sehr privilegiert in Zürich und Saint-Tropez verbracht, wie der in der RTL-Doku "Lebenslänglich Erlemann", die auf RTL+ zu sehen ist, erzählt. "Dann kam auf einmal dieser 'Donnerschlag' und es begann der Albtraum." Bis heute erinnere er sich an jedes Detail, als sei es am letzten Wochenende geschehen.
Pokern mit dem Bewacher
"Ich hatte absolute Todesangst und dachte, dass sie mich umbringen würden." Das tun die Entführer nicht, aber sie sperren Erlemann 14 Tage mit Handschellen angekettet in einen kleinen Holzverschlag in der Eifel. Dort kämpft der Junge gegen Kälte, Todesangst und Kontrollverlust. Zeitweise sind Augen und Ohren mit Klebeband verklebt.

Ein Teil der Beute wird gefunden, die Täter - drei Brüder und einer ihrer Angestellten - werden verurteilt.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Erst vier Tage nach der Entführung kontaktieren die Entführer die Familie. Johann Erlemann spricht auf eine Tonbandkassette, die an seine Mutter geschickt wird. Der Elfjährige ist voller Angst, gleichzeitig aber auch sehr aufmerksam und selbstbewusst. Nach ein paar Tagen trotzt er seinen Entführern ab, dass sie mit ihm Poker spielen. Er setzt seine Cartier-Kette ein, seine Bewacher zunächst eine Taschenlampe und später Geld.
Mit einer Kleinanzeige informiert die Familie schließlich die Entführer, dass das Lösegeld übergeben werden kann. Erlemanns Mutter hat die Summe aufgebracht, unter anderem bei Freunden und bei Johannes' Großvater. Sie besteht auch darauf, die beiden Taschen voller Geld selbst zum Übergabeort zu bringen.
Todesangst bis zuletzt
Den haben die Kidnapper klug vorbereitet, die Taschen werden in eine Kiste gepackt, die sich nach unten direkt zum rechtsrheinischen Kölner Randkanal öffnen lässt. Von dort aus entnehmen die Täter das Geld mit einem Schlauchboot und flüchten mit ihrer Beute. Erst 19 Stunden später lassen sie ihr Opfer frei. Zwischenzeitlich fürchtet Johannes Erlemann, die Entführer könnten ihn doch noch töten, denn er hat das Gesicht eines der Täter gesehen. "Das sah ich als mein Todesurteil", sagt Erlemann. "Mein einziger Wunsch war nur, dass sie mich nicht unter Erde mit Handschellen verrecken lassen. Ich wollte, dass sie mich lieber in den Teich schmeißen oder mich vor die Haustüre meiner Eltern setzen."
Am 20. März 1981 kehrt der Junge in einem Taxi nach Hause zurück, die Täter werden gefasst und verurteilt. Die Narben von den Handschellen sind bis heute an Erlemanns Handgelenken sichtbar. Mehr als 40 Jahre nach den Vorgängen kommt Erlemann in der RTL-Doku zu dem Schluss: "Es ist tragisch, dass meine Kindheit mit der Entführung am 6. März 1981 zu Ende war. Sie ist in der Kiste geblieben, in der ich gefangen gehalten wurde. Ich bin aus ihr als ein anderer Mensch rausgegangen."
Begegnung mit dem jüngeren Ich

(Foto: RTL)
Die Doku zum Entführungsfall bei RTL+ schauen.
Losgelassen haben ihn die Erlebnisse sein ganzes Leben lang nicht. Vor zehn Jahren begann er, seine Erinnerungen in Notizen festzuhalten. Eine Tonbandaufnahme mit dem Gespräch, das ein Kinderpsychologe am Tag nach seiner Freilassung mit ihm geführt hatte, katapultiert ihn wieder zurück ins Jahr 1981. Er kommt in den Besitz der gesamten Akten des Falls, unter anderem Verhörprotokolle der Entführer, seiner Familie und die handschriftlichen Briefe der Entführer an seine Mutter. "Es war nicht einfach, das alles zu lesen", sagt Erlemann.
Aus dem ursprünglich geplanten Buch sind nun eine Doku, ein Spielfilm, ein Podcast und ein Buch geworden. Der Spielfilm wird am 14. September um 20.15 Uhr bei RTL gezeigt und ist danach bei RTL+ abrufbar, das Buch soll im Frühjahr 2024 erscheinen. Erlemann sieht die Erzählung seiner Entführung heute als Zeitreise, Wirtschaftskrimi und Gesellschaftsporträt. Der Filmemacher hat unter anderem am Drehbuch des Spielfilms mitgeschrieben. "Auch wenn mich meine geraubte Kindheit niemals loslassen wird, empfinde ich tiefe Dankbarkeit für das große Privileg im Umgang mit meiner eigenen Geschichte." Das Projekt habe sich schließlich als "Konfrontationstherapie" erwiesen, die er so gar nicht geplant habe, sagt Erlemann.
Quelle: ntv.de