Panorama

Choräle über Hamburgs DächernMichel-"Turmtüter" folgen jahrhundertealter Tradition

06.08.2023, 09:40 Uhr
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Host Huhn ist einer von zwei "Turmtütern" im Hamburger Michel. (Foto: picture alliance/dpa)

Wer sich in der Nähe des Hamburger Michel aufhält, kann werktags um 10 und 21 Uhr einen Choral hören. Die Trompetenklänge kommen vom Turm der Kirche. Der Musiker Horst Huhn und sein Kollege folgen damit abwechselnd einer jahrhundertealten Tradition, bei der es eine genaue Reihenfolge einzuhalten gilt.

Die Tradition ist mehr als 300 Jahre alt: Täglich spielt der Hamburger Michel-Türmer hoch oben über den Dächern der Stadt mit seiner Trompete einen Choral in alle vier Himmelsrichtungen. Zwei Turmbläser haben dieses Amt in der evangelischen Hauptkirche St. Michelis seit mehr als 30 Jahren inne - einer von ihnen ist Horst Huhn.

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Huhn spielt aus Fenstern in alle vier Himmelsrichtungen. (Foto: picture alliance/dpa)

Der tägliche Choral gehöre für viele Menschen im Viertel einfach dazu, sagt der 67-Jährige an seinem ungewöhnlichen Arbeitsplatz im siebten Boden des Kirchturms. "Der Alltag wird kurz ausgeblendet." Auf einem Schild heißt es über den Choral: "Zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen".

Bei der Auswahl des Liedes aus einem Gesangbuch achtet der Musiker darauf, dass es zum Kirchenjahr passt. Pünktlich um 10.00 Uhr spielt er durch eine kleine Luke im Ostfenster "Ist Gott für mich, so trete". Huhn braucht nur die ersten Töne, den Rest spielt er auswendig. "Ich habe ein unheimlich schlechtes Gedächtnis, außer was Musik betrifft", sagt der Trompeter.

Arbeitsplatz mit Aussicht

Dem Uhrzeigersinn folgend spielt er an drei weiteren Fenstern - und hat dabei eine wunderbare Aussicht. Vom eigenen Wahrzeichen der Hansestadt zu anderen Wahrzeichen - wie etwa der Elbphilharmonie. "Ist immer wieder schön", sagt Huhn über den Ausblick. Unten stehen Touristen und Passanten und lauschen den Klängen, die je nach Wetterlage unterschiedlich weit zu hören sind.

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Der Arbeitsplatz liegt im siebten Boden des Kirchturms. (Foto: picture alliance/dpa)

Dieser Brauch wird nach Angaben der Kirche im Michel seit mehr als 300 Jahren praktiziert. "Bis zur Aufhebung der Torsperre zum 1. Januar 1861 war der Trompeten-Choral das Zeichen für die Öffnung beziehungsweise Schließung der Stadttore", heißt es.

"Das Besondere am Türmer ist diese akustische Unterbrechung, die den Alltagsrhythmus ebenso stört wie strukturiert. Die aufhorchen und auch innehalten lässt", sagt der Präsident der Direktorenkonferenz Kirchenmusik, Hans-Jürgen Wulf. Die Choralmelodien hätten etwas Symbolisches und zögen die Aufmerksamkeit für einen Moment himmelwärts. "Ein unüberhörbarer Glaubensklang in das Getöse an der Willy-Brandt-Straße." Die Tradition gebe es deutschlandweit nur noch selten. "Ich selbst kenne vor allem punktuelles Turmblasen zu bestimmten Anlässen", sagt Wulf, der zugleich einer der Landeskirchenmusikdirektoren der Nordkirche ist.

Nur einmal fiel das Turmblasen aus

Geboren wurde Turmbläser Huhn 1956 in Eisenach in Thüringen. Schon als kleines Kind kam er nach Hamburg. Die Familie zog in eine Wohnung in die Englische Planke - also in direkte Nachbarschaft zum Michel. Dort wirkte er auch musikalisch schon früh mit. 1992 wurde er dann gemeinsam mit seinem Kollegen Josef Thöne Michel-Türmer, auch Turmtüter genannt. Sie wechseln sich nach einem festgelegten Dienstplan ab.

Jeden Werktag spielt einer von ihnen um 10.00 Uhr und um 21.00 Uhr, sonntags und feiertags um 12.00 Uhr. Bei jedem Wetter. Für viele gehört dieser musikalische Gruß vom Michel einfach dazu, viele öffnen dafür ihre Fenster oder Balkontüren. Ausgefallen sei das Spiel des Turmbläsers in den vergangenen 30 Jahren nur ein einziges Mal, berichtet Huhn. Damals habe er einen Fahrradunfall gehabt.

Quelle: ntv.de, kse/dpa

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