Panorama

Strahlt in neuem Glanz Notre-Dame ist ein Wunder, das Hoffnung macht

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Die Schönheit und Erhabenheit der Kathedrale lassen niemanden unberührt.

Die Schönheit und Erhabenheit der Kathedrale lassen niemanden unberührt.

(Foto: Thomas Schmoll)

Wer Zweifel an der Zukunft des Abendlandes hat, sollte Notre-Dame in Paris besuchen. In der Kathedrale kann selbst ein Atheist religiös motivierte Spiritualität als das erleben, was sie jahrhundertelang war: eine Kraft, die Menschen verbindet und Hoffnung gibt, so trügerisch sie auch sein mag.

Der Platz vor dem Haupteingang ist voller Menschen, die in Kälte und eisigem Wind ausharren, bis sie eingelassen werden. Die Schlange der Wartenden ist lang und wird nie weniger. Schafft es einer hinein, stellt sich ein anderer hinten an. Vereint sind alle im Gefühl freudiger und gespannter Erwartung. Immer wieder fallen Blicke auf die Fassade, um das Wunder zu bestaunen, vielleicht auch zu überprüfen, ob es wirklich geschehen ist: Ja, tatsächlich, Notre-Dame de Paris erstrahlt in alter neuer Schönheit, nicht einmal sechs Jahre nach dem verheerenden Brand im April 2019.

Bevor man in die Kathedrale geht, muss man einen Sicherheitsposten passieren. Ein Mann überprüft den Inhalt von Umhänge- und Handtaschen, freundlich und nicht allzu streng, was durchaus erstaunt. Man könnte denken, dass er seine Arbeit im festen Glauben verrichtet, dass es irdische Boshaftigkeit nicht über die Schwelle eines himmlisch schönen Gotteshauses schafft. Der Gedanke an Terrorgefahr verschwindet gleich bei den ersten Schritten durch die Kathedrale. Man genießt nur noch. Ein einziger Blick reicht, um die Bedeutung von Notre-Dame für Paris und ganz Frankreich zu erahnen: Hier schlägt das religiöse Herz des katholischen Landes.

Das gotische Bauwerk ist proppenvoll. Hunderte haben sich zum Gottesdienst versammelt, plaudern angeregt oder üben sich schweigend in Geduld. Die Atmosphäre ist leicht und heiter, als treffe man sich zum Picknick unter Kerzenschein. Erhabenheit macht sich breit, erst recht, wenn die Kathedrale von den Klängen liturgischer Gesänge und der Orgel erfüllt wird. Im gemeinsamen Gebet versuchen Freunde und Fremde, Gedanken an die teuflische Seite der Menschheit, die Schranken und Schrecken des Daseins und seiner Endlichkeit auf Erden zu vertreiben. Jung und Alt, Arm und Reich sind vereint im Glauben an das Gute im Menschen.

Hoffnung in dunklen Tagen

Wer Zweifel an der Zukunft des Abendlandes hat, sollte Notre-Dame besuchen. Das heißt nicht, dass die Wiedereröffnung der Kirche auch die fröhliche Wiederauferstehung des Christentums in Frankreich und Europa bedeutet. Aber jeder, der nicht völlig abgestumpft ist, kann hier - selbst als Atheist und ohne Französisch zu verstehen - religiös motivierte Spiritualität als das erleben, was sie über viele Jahrhunderte war: eine Kraft, die Hoffnung in dunklen Tagen bringen kann, so trügerisch diese auch sein mag, und die unterschiedliche Menschen zusammenbringt und verbindet.

Das Innere strahlt in neuer Helligkeit.

Das Innere strahlt in neuer Helligkeit.

(Foto: via REUTERS)

Sichtbar wird das Neben- und Miteinander von Gläubigen und Nichtgläubigen in Notre-Dame auf durchaus amüsante Weise. In einer nie endenden Karawane umrunden die sonstigen Gäste die Teilnehmer des Gottesdienstes im Uhrzeigersinn, ohne dass sich die einen von den anderen stören lassen. Während ab und an ein "Halleluja" oder ein "Kyrie eleison" (Herr, erbarme dich) aus den Mündern der Betenden zu hören ist, machen Touristen serienweise Fotos und Selfies und diskutieren darüber, was "alt" und was "neu", "original" oder "rekonstruiert" ist, als hätte das Gotteshaus, dessen Beginn in das 12. Jahrhundert zurückreicht, nicht all die Jahrhunderte mit ihren Kriegen um Macht und Religionen sowie - bis auf die zertrümmerte und geraubte Inneneinrichtung - die Französische Revolution überstanden, sondern lediglich zwei Zeitalter hinter sich: eins vor dem Feuer, eins nach dem Feuer.

Mancher Besucher - dem Verfasser dieses Berichts ging es jedenfalls so - nimmt noch Brandgeruch wahr. Kann das sein? Einbildung? Aber liegen Kirche und Imagination nicht sowieso nah beieinander? Es bleibt kaum Zeit, darüber nachzudenken, denn die Karawane zieht und drängt weiter, entlang der Chorschranke, die den äußeren Gang von dem Bereich abgrenzt, der der offiziellen Geistlichkeit vorbehalten und für das "normale" Publikum verboten ist. Die mittelalterlichen Skulpturen, die die trennende Wand zieren, haben das Feuer überstanden.

Symbol der Widerstandsfähigkeit

Nächster Pflicht-Stopp ist der Schrein, in dem eine der bedeutendsten Reliquien der Christenheit aufbewahrt wird: die Dornenkrone, die römische Soldaten Jesus vor der Kreuzigung als Zeichen ihrer Verachtung aufgesetzt haben sollen, ehe sie ihn kreuzigten. Ludwig IX. hatte den Gegenstand christlicher Verehrung im 13. Jahrhundert erworben und dafür eigens die Heilige Kapelle (Sainte-Chapelle) der ehemaligen königlichen Residenz errichten lassen. Sie steht auf derselben kleinen Insel der Seine, auf der sich auch Notre-Dame zu finden ist.

Schon die Bergung der Reliquie war als Wunder gefeiert worden - und ihr Retter Jean-Marc Fournier als Held. Der Kaplan, Seelsorger der Pariser Feuerwehr, begleitete Einsatzkräfte in das brennende Gotteshaus und half, die Dornenkrone in Sicherheit zu bringen. Für die Reliquie, die übrigens nur aus Zweigen besteht, weil ihr sämtliche Dornen verlustig gegangen sind, wurde ein neuer, fast vier Meter hoher, golden leuchtender Schrein geschaffen. In der Mitte eines Kranzes aus zwölf konzentrischen Kreisen viereckiger Schmucksteine (Cabochons), die mit Kreuzen versehen sind, befindet sich eine Halbkugel, in der die Dornenkrone vor tiefblauem Hintergrund aufbewahrt wird.

Nach dem Brand sind einige wenige moderne Akzente hinzugekommen.

Nach dem Brand sind einige wenige moderne Akzente hinzugekommen.

(Foto: Thomas Schmoll)

Weiter geht der Rundgang um die Chorschranke auf die andere Seite der Kirche. Kurz vor dem Ausgang gibt es noch höchst Profanes: einen Stand mit allen möglichen und unmöglichen Souvenirs. Denn auch Notre-Dame lebt nicht allein von Luft, Liebe und Glauben - zumal die Restaurierung immer weiter gehen und niemals abgeschlossen sein wird, wie es bei jeder großen Kirche der Fall ist. Viele hundert Millionen Euro sind in die Rettung und Sanierung des Bauwerks bisher geflossen. Das war - so kann man es wohl sagen - gut investiertes Geld. Einmal mehr zeigte Frankreich, das finanziell in schwerer Not und politisch zerrissen ist, seine bewundernswerte Widerstandsfähigkeit und Gabe, Krisen zu meistern. Wer die altehrwürdige Kathedrale besucht, wird danach anerkennend feststellen: Katastrophen lassen sich in Wunder verwandeln - so Gott will.

Quelle: ntv.de

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