Nach Triage-Urteil in Karlsruhe Regierung will schnell neues Gesetz
28.12.2021, 14:36 Uhr
Was ist mit Behinderten, wenn es in deutschen Krankenhäusern zur Triage kommt? Dazu spricht das Bundesverfassungsgericht ein Urteil. Mit dem Ergebnis ist eine Klägerin zufrieden - und die Bundesregierung will schnell einen Gesetzentwurf vorlegen.
Bundesjustizminister Marco Buschmann hat eine rasche Reaktion der Bundesregierung zum Triage-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts angekündigt. "Das erste Ziel muss sein, dass es erst gar nicht zu einer Triage kommt. Wenn aber doch, dann bedarf es klarer Regeln, die Menschen mit Handicaps Schutz vor Diskriminierung bieten", schrieb er auf Twitter. Die Bundesregierung werde dazu zügig einen Gesetzentwurf vorlegen. Derweil zeigte sich eine der neun Klägerinnen erleichtert über das Urteil. "Wir sind alle erleichtert. Für mich als Juristin war es sehr wichtig gewesen, zu wissen, dass man sich auf die Verfassung verlassen kann", sagte Nancy Poser, die selbst Richterin am Amtsgericht Trier ist.
Das Karlsruher Gericht hatte auch mit Verweis auf die Behindertenrechtskonvention entschieden, der Bundestag müsse "unverzüglich" Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen im Fall einer Triage treffen - also wenn Ärzte entscheiden müssen, wen sie angesichts knapper Ressourcen retten und wen nicht. Bei der Umsetzung habe der Gesetzgeber Spielräume.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach begrüßte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. "Menschen mit Behinderung bedürfen mehr als alle anderen des Schutzes durch den Staat", erklärte Lauterbach auf Twitter. Dies gelte "erst Recht im Falle einer Triage". Lauterbach äußerte sich nicht zu konkreten Handlungsoptionen mit Blick auf eine gesetzliche Regelung. Er betonte vielmehr, es gehe darum, "Triage durch wirksame Schutzmaßnahmen und Impfungen zu verhindern".
Erleichterung, keine Freude
Die 42-jährige Poser hatte mit acht weiteren Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Freude verspüre sie nach dem Richterspruch nicht. "Freude kann man nicht sagen, denn es geht um Triage. Das ist ein Thema, da kann es keine Freude geben - egal nach welche Kriterien entschieden wird, es ist immer tragisch", sagte die 42-Jährige, die an einer spinalen Muskelatrophie leidet. Aber eben Erleichterung: "Weil das Grundgesetz Menschen mit Behinderungen schützt und das Verfassungsgericht auch in Anbetracht dieser Krisensituation die Grundrechte von Menschen mit Behinderungen wahrt."
Poser sagte: "Wir hoffen, dass der Gesetzgeber da schnell tätig wird und Regelungen trifft zu unserem Schutz". Triage sei immer tragisch, "aber es ist was anderes, ob dabei auch noch Menschen diskriminiert werden aufgrund ihrer Behinderung", sagte sie. Das Verfassungsgericht habe "hier ganz klar festgestellt, dass der Gesetzgeber seine Schutzpflicht verletzt hat". Poser sitzt im Rollstuhl und lebt mit Assistenz.
Das Wort Triage stammt vom französischen Verb "trier", das "sortieren" oder "aussuchen" bedeutet. Es beschreibt eine Situation, in der Ärzte entscheiden müssen, wen sie retten und wen nicht - zum Beispiel, weil so viele schwerstkranke Corona-Patienten in die Krankenhäuser kommen, dass es nicht genug Intensivbetten gibt.
Quelle: ntv.de, vpe/dpa/AFP