Auch Lenkwaffen werden knapp Russen nutzen Chips aus Geschirrspülern in Panzern
12.05.2022, 19:01 Uhr
Russische Panzer werden immer wieder unbeschädigt zurückgelassen. Fehlende Ersatzteile dürfte ein Grund dafür sein.
(Foto: picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire)
US-Informationen zufolge zwingen die US-Hightech-Sanktionen Russland inzwischen, in Panzern und anderem militärischen Gerät Chips aus Haushaltsgeräten zu verwenden. Aus dem gleichen Grund könnten Moskaus Truppen bald die Lenkwaffen ausgehen.
Bei einer Anhörung im US-Senat hat Handelsministerin Gina Raimondo bemerkenswerte Aussagen zu russischen Nachschubproblemen für den Krieg in der Ukraine getätigt. "Uns liegen Berichte von Ukrainern vor, dass russische Militärausrüstung, die sie im Kampfgebiet finden, mit Halbleitern gefüllt ist, die sie aus Geschirrspülern und Kühlschränken entnommen haben", zitiert sie die "Washington Post".
Laut der Ministerin ist dies auf die US-Sanktionen zurückzuführen, die nach dem Angriff auf die Ukraine gegen Russland und Belarus verhängt wurden. Die US-Technologieexporte nach Russland seien seit Beginn der Sanktionen Ende Februar um fast 70 Prozent zurückgegangen, sagte sie.
Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum seien die Ausfuhren um 85 Prozent und im Wert sogar um 97 Prozent gesunken, ergänzte ihre Sprecherin. Raimondos Aussage basiere auf dem Bericht ukrainischer Beamter. Ihnen zufolge würden in russischen Panzern nicht nur Halbleiter aus Haushaltsgeräten entdeckt, sondern auch aus Maschinen, die in Gewerbebetrieben und der Industrie zum Einsatz kämen.
Zwei Panzerfabriken stellen Produktion ein
Die Handelsministerin sagte dem Senat, ihr lägen Berichte vor, wonach bereits zwei russische Panzerfabriken ihre Produktion wegen Komponentenmangels einstellen mussten. Laut einem Bericht des Weißen Hauses handelt es sich dabei um das Tscheljabinsker Traktorenwerk und dessen Mutterfirma Uralvagonzavod.
Die meisten Chips und andere Hightech-Komponenten werden mit US-amerikanischen Patenten oder Patenten anderer westlicher Länder hergestellt. Schon vor dem Angriff am 24. Februar durften viele dieser Güter nur mit Sondergenehmigung nach Russland geliefert werden, falls sie zur militärischen Nutzung entwickelt wurden. Inzwischen fallen auch Komponenten oder Software unter das Embargo, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können.
Auch China kann nicht helfen
Viele Chips et cetera werden zwar in China produziert, doch Moskau darf sich wenig Hoffnungen machen, von dort mit den begehrten Komponenten versorgt zu werden. Denn wie es die USA bisher nur im Falle des chinesischen Konzerns Huawei getan haben, müssen Unternehmen weltweit mit Sanktionen rechnen, wenn sie Russland oder Belarus verbotene Güter verkaufen, die US-Patenten unterliegen oder mit US-Maschinen, oder -Software hergestellt wurden. Ein Risiko, das auch chinesische Firmen fürchten, deren Hauptkundschaft im Westen sitzt.
Wie hart die Sanktionen die russische Militärindustrie trifft, lässt eine Analyse des britischen Royal United Services Institute for Defence and Security erahnen. In einem Beispiel listet es zwölf Bauteile der automatisierten Funkstörungsstation Borisoglebsk-2 auf, in der massenhaft Komponenten aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Taiwan, Südkorea und den Niederlanden stecken.
Allgemeiner Chip-Mangel verschärft Situation
Die Sanktionen sind aber wahrscheinlich nicht der einzige Grund, weswegen Russland weiße Ware ausschlachten muss, um seine Militärmaschinerie halbwegs am Laufen zu halten. Denn auch in westlichen Ländern herrscht durch die Corona-Pandemie ein großer Mangel an Halbleitern und vielen anderen elektronischen Bauteilen.
Dabei greifen auch dort Unternehmen offenbar zu "russischen Mitteln." Der Chip-Mangel sei inzwischen so schlimm geworden, dass große Industrieunternehmen Waschmaschinen kauften, um die Chips herauszureißen und wiederzuverwenden, sagte ASML-CEO Peter Wennink dem Wirtschaftsportal "Protocol". ASML ist der weltweit größte Anbieter von Lithografiesystemen, die für die Halbleiterindustrie essenziell sind. Fast jeder Chip-Hersteller ist ASML-Kunde.
Eine groß angelegte Militäroffensive in so einer Mangel-Situation zu starten, zeugte entweder von großer Dummheit im Kreml, Unwissenheit der eigenen Abhängigkeit oder - was viel wahrscheinlicher ist - dem Glauben, dass sie innerhalb weniger Tage abgeschlossen sein würde.
Lenkwaffen werden knapp
Ein weiteres Beispiel für das Hightech-Dilemma der Russen sind immer knapper werdende Lenkwaffen. Damit Marschflugkörper et cetera ihr Ziel selbstständig finden können, sind ebenfalls Chips nötig. In einem Pentagon-Briefing sagte ein hoher Beamter des US-Verteidigungsministeriums, man wisse, dass Russland bereits viele seiner präzisionsgelenkten Munition "verbrannt" hat.
Ein Beispiel dafür sei Mariupol, wo zunehmend "dumme Bomben" eingesetzt würden. Die Sanktionen machten es den Russen schwer, ihre Vorräte aufzufüllen, so der Beamte, "insbesondere, wenn es um einige der elektronischen Komponenten geht, die in präzisionsgelenkter Munition einfließen".
Quelle: ntv.de