Kind laut Zeugen ausgeweidet Wilder Schimpanse entreißt Mutter ihr Baby und tötet es
26.09.2024, 14:09 Uhr Artikel anhören
In Bossou werden immer wieder Menschen von Affen angegriffen.
(Foto: picture alliance / Artcolor)
Seit Jahrzehnten leben Menschen und Schimpansen im westafrikanischen Bossou in friedlicher Koexistenz. Doch zuletzt häufen sich Angriffe aggressiver Affen gegen Menschen. Für ein acht Monate altes Baby endet eine solche Attacke nun tödlich. Die Dorfgemeinde reagiert mit Wut. Die richtet sich jedoch nicht gegen die Tiere.
Seit die Schimpansen von Bossou im westafrikanischen Guinea zum ersten Mal dabei beobachtet wurden, wie sie Steinhämmer und Ambosse benutzten, um ihre Nahrung in mundgerechte Stücke zu schneiden, faszinieren sie Wissenschaftler und Touristen gleichermaßen. Noch nie wurde bei Primaten ein so ausgefeilter Gebrauch von Werkzeug festgestellt, wie die britische "Times" berichtet.
Die Affen leben an den Hängen der Nimbaberge in der Nähe einer landwirtschaftlichen Selbstversorgergemeinschaft, deren Mitglieder die Schimpansen für die Reinkarnation ihrer Vorfahren halten. Mensch und Tier teilen sich dort den Lebensraum seit Generationen. Einem Kind wurde diese Nähe nun zum Verhängnis.
Zeugen: Affe weidete Baby mit Werkzeugen aus
Am vergangenen Freitag riss einer der beiden überlebenden männlichen Schimpansen ein acht Monate altes menschliches Baby vom Rücken seiner Mutter und verschwand in den Wald, um das Kind zu töten. Laut der "Times" behaupteten Zeugen, das kleine Mädchen sei von dem Schimpansen ausgeweidet worden, möglicherweise mit Werkzeugen. Einigen Berichten zufolge soll der Affe die Organe gegessen haben.
Die örtliche Gemeinde rächte sich sofort. Das Ziel ihrer Wut waren jedoch nicht die Schimpansen, sondern die Wissenschaftler, die die Tiere untersuchen. "Die Art und Weise, wie sie getötet wurde, hat die Bevölkerung verärgert", sagt Joseph Doré. Der junge Mann war Teil der aufgebrachten Menge, die das 1976 von der Universität Kyoto errichtete Bossou-Umweltforschungsinstitut angriff, während die Forscher in Fahrzeugen flüchteten.
Papiere und Ausrüstungsgegenstände, darunter Computer, Kamerafallen und Drohnen, wurden aufgestapelt und in Brand gesteckt; die internationale Forschungseinrichtung wurde völlig zerstört. Die Armee rückte aus, um die Lage zu beruhigen. Die Demonstranten brachten auch den verstümmelten Leichnam des Babys in die Einrichtung, um vor den Gefahren der Forschungsarbeiten zu warnen.
"Sie haben keine Angst mehr vor Menschen"
Durch die zunehmende Landwirtschaft und ein neu gebautes Straßennetz in dem Lebensraum der Schimpansen wurden die Tiere in einem etwa 16 Quadratkilometer großen Waldgebiet eingeschlossen. Diese geografische Isolation hat sie zwar zu idealen Studienobjekten gemacht. Allerdings sind sie so auch von potenziellen Sexualpartnern abgeschnitten, die auf der anderen Seite der Hügel leben. Folglich droht der Schimpansen-Gruppe das Aussterben.
Zwar soll ein neu angepflanzter grüner Korridor die Bossou-Schimpansen mit Affen-Gruppen auf der anderen Seite der Berge verbinden. Doch das Projekt habe die örtlichen Bauern von ihrem Land vertrieben und dazu geführt, dass sowohl Tiere als auch Menschen nicht mehr genug zu essen hätten, sagt Doré. Früher hätte das Dorf ausreichend Fläche gehabt, um Nahrung anzubauen, die es dann problemlos mit den Schimpansen teilen konnte. Doch durch das Projekt sei die Anbaufläche drastisch minimiert worden. Letztlich habe der Hunger den Schimpansen zum Töten getrieben, meint Doré.
Laut dem Anwohner Moussa Koya komme es in Bossou immer wieder zu Vorfällen, bei denen Menschen von aggressiven Schimpansen verletzt werden. Ihm zufolge erhole sich aktuell ein Teenager im Krankenhaus von einer Kopfverletzung, die er sich bei einem Zusammenstoß mit einem Affen zugezogen hatte. Auch Koya schiebt das gewalttätige Verhalten der Affen auf die Nahrungsknappheit: "Es ist nicht ihr Wille, aber es ist zur Gewohnheit der Schimpansen geworden."
Gen Yamakoshi, der leitende Forscher des Bossou-Instituts, war in Japan, als die Anlage angegriffen wurde. Er studiert die Schimpansengemeinschaft seit mehr als 30 Jahren. Gegenüber der "Times" bezeichnet er die Zusammenstöße als "Unfälle" und liefert eine einfache Erklärung: "Sie haben keine Angst mehr vor Menschen." Es sei nicht klar, "ob die Unfälle auf Nahrungsknappheit oder Aufregung zurückzuführen sind. Dieses Verhalten zeigen Schimpansen auch untereinander. Wenn sie aufgeregt sind, können sie ihr Verhalten nicht kontrollieren", sagt Yamakoshi. Behauptungen über die Verstümmelung des Babys bezeichnet er als "unwahrscheinlich".
"Alles ging in Rauch auf"
Der ausgeklügelte Einsatz von Werkzeugen zur Nahrungsverarbeitung hat weltweit für Schlagzeilen über Bossous Schimpansen gesorgt. Die BBC hat ihnen sogar den von David Attenborough gesprochenen Dokumentarfilm "Chimpanzees: Toolmakers of Bossou" gewidmet. Studien über ihre Trauerrituale, ihre Navigationsfähigkeiten und ihre Vorliebe für vergorenen Palmsaft haben die Neugier von Wissenschaftlern und ausländischen Touristen nur noch mehr geweckt - und laut Yamakoshi das Risiko einer gefährlichen "Überbeanspruchung" erhöht. Er könne also verstehen, dass sich bei den Einheimischen Unmut regte, da viele sich "abgehängt" fühlten.
Von der Forschungsanlage in Bossou sei nichts mehr übrig, erzählt Paul Lamah, der Leiter des Instituts, der Nachrichtenseite "Guinea News". Unter anderem seien Säcke mit Zement, die für den Bau einer neuen Bibliothek und eines Konferenzzentrums gedacht waren, mit Macheten aufgeschlitzt worden: "Alles ging in Rauch auf. In diesem Gebäude ist nichts mehr zu retten."
Quelle: ntv.de, apr