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Nach Ralf Schumachers Coming-out "Alle Menschen sind bisexuell"

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Ralf Schumacher und sein Partner sind seit zwei Jahren ein Paar.

Ralf Schumacher und sein Partner sind seit zwei Jahren ein Paar.

(Foto: Privat/Ralf Schumacher via Instagram/dpa)

Kurz vor dem EM-Endspiel postet Ralf Schumacher ein Bild von sich mit seinem Partner Étienne. Er bekommt dafür viel Zuspruch, aber einige wundern sich. Schließlich war Schumacher verheiratet und hat aus dieser Beziehung ein Kind. Für Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß, der am Fachbereich Soziale Arbeit. Medien. Kultur der Hochschule Merseburg forscht und lehrt, ist daran nichts verwunderlich.

ntv.de: Ralf Schumacher ist jetzt 49 Jahre alt und zeigt sich mit einem Partner an seiner Seite. Was sagt uns das über seine Sexualität?

Heinz-Jürgen Voß: Erst mal zeigt sich da einfach nur, dass es heutzutage Selbstbestimmung gibt und dass Menschen ihre Partnerwahl frei und selbst treffen. Und auch, dass die Reaktionen darauf durchaus freundlich sind. Aus dem näheren sozialen Umfeld, aus der Familie gibt es sehr positive Reaktionen, gerade auch von seinem Sohn. Das dürfte für Ralf Schumacher das Wichtigste sein.

Es gibt jetzt diese Zuschreibung, dass Ralf Schumacher homosexuell ist. Aber das muss ja nicht so sein. Er könnte zum Beispiel auch pan- oder bisexuell sein.

Die Psychoanalytikerin Charlotte Wolff sagt: Ein Mensch ist bisexuell, sein Leben lang, und zwar jeder Mensch. Das bedeutet, wir haben alle mehr oder weniger Anteile, dass wir sowohl anders- als auch gleichgeschlechtliche Partner bevorzugen könnten. Das kann je nach Zeitabschnitt unterschiedlich sein. Das ist ja auch eine relativ naive Vorstellung von Homosexualität, dass ein homosexueller Mann auf jeden beliebigen Mann stehen würde. Denn es geht doch immer um eine ganz konkrete Person. Das bedeutet, dass in einem Zeitabschnitt konkret eine Frau geliebt und auch sexuell begehrt werden kann. Und in einem anderen Zeitabschnitt des Lebens ist eben ein Mann genau die richtige Person sowohl für die Liebe als auch für sexuelles Tun.

Ist die sexuelle Präferenz überhaupt angeboren und dann klar für ein ganzes Leben?

Nein. In der Sexualwissenschaft gehen wir von einer psychosexuellen Entwicklung aus. Sowohl physische als auch physiologische und psychische Merkmale spielen insgesamt für die Entwicklung in Bezug auf Geschlechtsidentität, aber auch in Bezug auf sexuelle Orientierung eine Rolle. Selbstverständlich kommen noch die soziale Umgebung und Erfahrungen mit dazu und entsprechend können Personen dann zu bestimmten Zeitabschnitten unterschiedliche Entscheidungen treffen. Es bildet sich dann schon in irgendeiner Richtung eine einigermaßen fixe geschlechtliche Identität heraus. Aber in Bezug auf sexuelle Orientierung wissen wir, dass Menschen in mehr oder weniger großen Anteilen bisexuell sind. Das zeigt sich auch in einer größeren Jugendstudie, die wir gerade gemacht haben. Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass von den 16- bis 18-jährigen Männern insgesamt 22 Prozent angeben, schon gleichgeschlechtliche sexuelle Erfahrungen gemacht zu haben. Bei den jungen Frauen sind es 32 Prozent. Das bestätigen auch Yougov-Studien, die das für Großbritannien und die USA erhoben haben.

Was bedeutet das?

Gerade in einer Gesellschaft, in der es keine Verfolgung in Bezug auf Homosexualität gibt, können einfacher sowohl andersgeschlechtliche als auch gleichgeschlechtliche sexuelle Erfahrungen gemacht werden. Es ist eine gewisse Liberalisierung, dass wir jetzt im sexuellen Bereich Selbstbestimmung anerkennen und gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht von vornherein verurteilen. Also können die einfacher gelebt werden und Menschen können sich ausprobieren. Das machen junge Leute, aber durchaus auch Menschen in ihren 40er Jahren. Und so macht es eben auch Ralf Schumacher.

Trotz EM-Endspiel und Attentat auf Trump schaffte es der Instagram-Post in die internationalen Nachrichten. Was ist daran die Sensation?

So viel Meldung ist eigentlich gar nicht dahinter. Aber gerade im Männer-Profisport haben wir durchaus noch einige Zurückhaltung. Es wird beispielsweise auch lange erwartet, dass sich ein aktiver homosexueller Profifußballer outet. Aber die Personen halten sich zurück und teilweise auch aus gutem Grund. Sie rechnen mit negativen Reaktionen, wenn sie dann doch einen Fehler auf dem Platz machen und dann immer gleich mit Schimpfworten auf ihre sexuelle Orientierung hin bedacht werden. Ralf Schumachers Profikarriere ist vorbei und insofern ist es leichter, mit Themen wie Homosexualität oder Bisexualität umzugehen. Gleichzeitig ist es vielleicht auch ein Signal dafür, dass da durchaus mehr Mut bei den Männern vorhanden sein könnte, ein Coming-out zu haben. Das hat eine Wirkung auf junge Menschen, die dann Rollenbilder haben und sich identifizieren können. Dafür ist es am Ende wichtig. Ansonsten ist das jeweils Privatsache.

Im Fall von Ralf Schumacher wird immer wieder erwähnt, es habe schon seit Jahren Gerüchte um eine mögliche Homosexualität gegeben, als habe er der Welt irgendetwas vorenthalten. Schuldet man seiner Umgebung Informationen zu seinem Leben, seiner Sexualität, seiner Partnerschaft?

Nein. Aber, weil er eine Person des öffentlichen Lebens ist, könnte man das als zulässige Begründung sehen. Ansonsten ist es der schwierige Umgang, der teilweise in der Gesellschaft mit Homosexualität herrscht. Junge Lesben und Schwule geben zu ungefähr zwei Dritteln an, dass sie bis zum 18. Lebensjahr schon psychische oder physische Gewalt erfahren haben. Durch das Erstarken der rechtsextremen AfD haben wir noch mal einen Trend dazu, dass sich gerade gesellschaftliche Debatten um geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung zuspitzen. Es ist eben nicht von allen in der Gesellschaft gewollt, dass in dem Bereich Selbstbestimmung herrscht. Ein weiterer Anlass für die aktuelle Thematisierung ist aber auch nicht zu unterschätzen, nämlich einfach, dass es jetzt gerade Sommer ist. Da gibt es ein besonderes Interesse an unterhaltsamen Sommerthemen, die etwa bekannte Personen betreffen.

Das Echo auf den Post ist ganz überwiegend positiv, aber Dietmar Bartsch von den Linken schrieb zum Beispiel in einem inzwischen zurückgezogenen Post, Schumacher solle sein Coming-out nicht so zelebrieren. Was steht hinter solchen Bemerkungen?

Das Posting habe ich auch gesehen. Immerhin hat Bartsch sich später quasi entschuldigt und gesagt, dass es nicht klug sei, dass er selbst direkt nach einem Endspiel der Fußball-EM schreibt. Aber man sieht, dass ein Coming-out Menschen auch irritiert: Manche Menschen haben noch mehr Fragen, andere finden das alles so normal in der Gesellschaft, dass sie meinen, dass über Homosexualität gar nicht so viel gesprochen werden müsste. Beide haben durchaus ihre Berechtigung und wir sind eine demokratische Gesellschaft, sodass wir auch mit beiden Sichtweisen gut umgehen können. Viele betrachten Heterosexualität wie selbstverständlich als die Norm und alles andere als Abweichung. Das ist ja eigentlich auch absurd, dass noch vorausgesetzt wird, dass jemand mit 16, 17 oder 18 Jahren die andersgeschlechtliche Partner:in mit nach Hause bringt - und nicht eine:n gleichgeschlechtliche. Wir haben relativ klar noch das bürgerliche Ideal von einer relativ festen Zweiergemeinschaft. Schwule Sauna, Sex im Park oder polyamore Beziehungen sind weniger akzeptiert und anerkannt und auch kaum diskutierbar. Gerade Bisexuelle sind sowohl aus einer allgemeinen Hetero-Sicht häufig negativ angesehen, weil gesagt wird, ist das denn jetzt ein echter Lebensabschnitt, ist der andere Lebensabschnitt nicht wichtiger? In den gleichgeschlechtlichen Communitys, also in der schwulen oder lesbischen Community, gibt es auch Vorurteile, weil man vermeintlich dann die lesbische Sache verraten hat oder angeblich Angst hat, sich richtig als schwul zu outen. Von der Sichtweise, dass Menschen individuell Menschen lieben oder begehren, sind wir noch ein Stück weit entfernt.

Diese Fluidität halten wir offenbar noch relativ schlecht aus.

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Ja, aber es gibt neue Begriffe und role models. Das sind ganz wichtige Entwicklungen, dass Menschen sich als genderfluid einordnen können. Wir haben uns in der Partner-5-Studie Sexualität im Lebensverlauf angesehen. Dabei zeigt sich, dass die Innovationskraft und Probierfreude im Lebensverlauf zunehmen. Im Alter von 18 oder auch 20 Jahren ist Sexualität sehr treuegebunden, sehr liebesgebunden, auf eine Person gerichtet. Wenn man dann bei den 30-Jährigen bis hin zu den 50-Jährigen und darüber hinaus schaut, merkt man, dass ein größerer Teil der Personen auch andere sexuelle Praktiken ausprobiert hat - Sex mit mehreren Personen, Sex an anonymen Orten. Sexualität ist eben etwas, wo man sich durchaus lustvoll ausprobieren kann und auch sollte.

Mit Heinz-Jürgen Voß sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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