Eine für alle Was Annalena Baerbock und der Tag gegen Frauengewalt verbindet


Es geht keinen etwas an, wie die Außenministerin privat lebt.
(Foto: IMAGO/AA)
Man möchte so einigen Zeitgenossen in letzter Zeit öfter mal ein gepflegtes "Fuck you" entgegenfeuern, aber man weiß gar nicht, wo und bei wem anfangen. Doch nun ist der richtige Moment gekommen: Ein herzliches "Fuck you" allen, die sich gerade zum Thema "Annalena Baerbock und ihre Trennung" nicht mehr einkriegen.
Es war so klar, dass das passieren würde, als am Freitag die Nachricht kam, die Außenministerin und ihr Mann würden getrennte Wege gehen. 'Wenn das mal eine gute Idee ist, diese News in die Öffentlichkeit zu tragen', dachte sich die Autorin dieser Zeilen noch und: 'Wenn ich ihre Beraterin gewesen wäre, hätte ich ihr geraten, das schön privat zu halten. Erst krank in Baku und dann die Trennungsnachricht, das kann nicht gut gehen.' Feige? Vielleicht. Bequemer? Auf jeden Fall.
Es wäre übrigens jeder krank gewesen, wenn sich der Traum von Familie, Glück und Partnerschaft in Luft auflöst. Nur, dass es einer Annalena Baerbock nicht zugestanden wird. Dass man ihr jetzt vor die Füße spuckt, sie mit Häme und Spott überzieht, dass man ihr keine Minute der Trauer, Ruhe und der Reflexion gönnt, dass auf ihr herumgehackt wird und das Ehe-Aus nur ihr, der Frau, als Vernachlässigung der Familie ausgelegt wird. "Weil ihre Karriere ihr wichtiger ist als ihr Mann und ihre Kinder", gehört in der Denke dieser Leute noch dazu. Dieselben Leute, die denken, dass es vollkommen in Ordnung ist, wenn ein älterer Mann seine dritte Familie mit immer jüngeren Frauen gründet, wenn ein Mann für den Job erst die Stadt und früher oder später auch die Familie verlässt . Das ist okay, das ist doch "normal".
Egal, ob man Annalena Baerbock nun mag oder nicht, ob man ihre Politik schätzt oder nicht - es geht ganz einfach zu weit. Es sei menschenverachtend, wie mit Baerbock gerade umgegangen wird, stand am Wochenende dann auch vielerorts geschrieben. Stimmt, aber es ist eines noch viel mehr: Es ist frauenverachtend. Es ist hauptsächlich aber auch zum Verrücktwerden, dass einer Frau keine Form von Scheitern zugestanden wird. "Siehste, wär' die mal schön zu Hause geblieben und hätte sich um die Kinder gekümmert, dann müsste sie sich jetzt nicht scheiden lassen", raunt es zwischen akkurat in der Mitte geklopften Sofakissen und dem riesigen Flachbildschirm in den deutschen Wohnzimmern.
Wer will schon eine karrieregeile Frau?
Trennungen sind grundsätzlich nichts Ungewöhnliches, jede dritte deutsche Ehe wird geschieden, die meisten führen eh einen nur seriell monogamen Lebensstil. Wenn Ehen scheitern, bei denen Kinder mit im Spiel sind, wird das Ganze allerdings fragiler. So ist das auch bei Familie Baerbock/ Holefleisch: Das Nochehepaar bat explizit darum, die Privatsphäre zu wahren, gab an, sich gemeinsam und freundschaftlich um die Kinder zu kümmern, so wie es auch viele Hollywoodstars verkünden - und oft auch wirklich durchziehen. Denn das Scheitern einer Liebesbeziehung muss eben nicht das Ende der Elternschaft bedeuten oder dass jemand seinen Kopf an der Garderobe abgegeben hat oder Hass und Kleingeistigkeit die zerbrochene Welt regieren. Vor allem, wenn keine neuen Partner im Spiel sind, wie von Annalena Baerbock in ihrer Mitteilung angemerkt, das macht die Sache vorerst sicher etwas "handlebarer".
Was die Sache nicht erleichtert, ist der Tenor, der durch die (a)sozialen Medien wabert. Nämlich, "dass die Frau ohnehin schuld ist an so einer Trennung, diese karrieregeile Baerbock sowieso, die hat doch eh was mit dem Robert." Wer Töchter hat, mag sich nun fragen, ob man denen wünschen sollte, eine Karriere in der Politik anzustreben. Oder überhaupt eine Karriere - in der Wirtschaft, in den Medien, als Aktivistin oder als Erbin, als Star-Köchin oder Top-Bänkerin, als Psychologin oder an der Uni.
Frauen stoßen noch immer auf so viel Gegenwind, vor allem, wenn etwas nicht funktioniert (wie eine Ehe zum Beispiel), dass sie sich im 21. Jahrhundert weiterhin im Verteidigungsmodus befinden. Natürlich darf man anmerken, wenn etwas nicht gut läuft, insbesondere wenn eine Verteidigungsministerin fehl am Platze ist, das kann passieren.
Dieses Versagen allerdings auf die Tatsache zu schieben, dass diese Person eine Frau ist, ist albern und gleichzeitig gefährlich. Wenn ein Mann als Verteidigungsminister nichts taugt, würde es ja auch niemals heißen: Das hat er leider nicht geschafft, weil er ein Mann ist. Es wird (und muss) andere Gründe geben.
Der klassische Rabenvater existiert gar nicht
Die, die sich nun bestätigt sehen, dass eine wie Annalena Baerbock nicht geeignet ist für den Job, die denken ohnehin, dass Frauen generell zu laut sind, zu erfolgreich, einfach "too much". Das Korrekturprogramm hat das Wort "Rabenvater" übrigens rot unterstrichen, denn es existiert in der deutschen Sprache nicht. Vorschläge sind: "Ladenvater", "Radenauer" und "Taubenvater". Man kann ja froh sein, dass nicht automatisch "Rabenmutter" aufgetaucht ist, aber dennoch: Was sagt das aus? Es sagt aus, dass Frauen machen können, was sie wollen, am Ende ist Mutti eh schuld (und damit ist nicht nur Angela Merkel gemeint). Mütter sind schuld, wenn der Sohn schwul wird, wenn er ein Mörder ist, ein Schläger, Mütter sind aber auch schuld, wenn die Tochter eine Essstörung hat oder anderweitig nicht funktioniert, denn Mutti war entweder zu groß, ein Überbild, oder sie hat rein gar nichts auf die Kette gekriegt. Mutti hat entweder nicht gearbeitet und war "nur" Hausfrau, oder sie hat gearbeitet und war nie da, hat zu wenig Kekse gebacken, zu wenig von der Schule abgeholt, zu wenig zugehört. Und wenn eine Frau überhaupt keine Mutter ist, dann fragt man sich: Warum will die keine Kinder?
Eine Frau wird übrigens nicht nur von Männern demontiert, sondern auch von ihren "Schwestern". Gern auch von denen, die sich sonst rühmen, in Netzwerken unterwegs zu sein, die nur aus Frauen bestehen (in den Augen der Autorin keine sonderlich gute Idee), oder die behaupten, dass Frauen alles können. Es stimmt nicht, und das wissen wir alle. Wir können nichts daran ändern, dass Männer im Stehen pinkeln und Frauen Kinder bekommen, aber wir können etwas daran ändern, dass Frauen anders wahrgenommen werden, und zwar als das, was sie sind: Frauen sind wie Männer, nur besser.
Kleiner Scherz zwischendurch, denn der Text ist noch nicht zu Ende: Frauen sind im Job nicht unbedingt gut, wenn sie sich noch männlicher verhalten als Männer, Frauen sind im Job aber auch nicht gut, wenn sie nur die Frauenkarte ziehen oder eine Quote erfüllen. Frauen sind dann am besten, wenn sie sind, wie sie sind. Wenn sie gut ausgebildet sind, gerecht und neugierig, zugewandt, empathisch, authentisch. Das ist doch bei Männern auch so, oder?
Ob Annalena Baerbock authentisch ist, weiß man nicht, außer man ist mit ihr befreundet, aber alle anderen wissen das nicht. Alle anderen haben zu akzeptieren, dass sie ein Mensch ist, dass sie gewählt wurde (!), dass sie ihre Arbeit macht so gut es geht, dass sie Erfolge hat, dass diese anerkannt werden dürfen, dass sie Fehler macht, dass sie Dinge anders sieht als andere, auch anders als "alte weiße" Männer. Auch die, die vor ihr im Amt waren und nicht alles richtig gemacht haben.
Die Zeit drängt
Was wirklich bedenklich ist, und daran sollte diese Gesellschaft nun wirklich arbeiten, ist die Tatsache, dass diejenigen, die die Baerbocks dieser Welt schon immer blöd fanden oder unfähig, ihrem Zorn, ihrer Aggression und ihrem Hass so ungehindert freien Lauf lassen können. Ja, wir wissen, dass diese Leute da sind, das war schon immer so. Aber die Mehrheit hat doch keinen Bock auf dieses Gegröle, die Mehrheit wird jetzt auch laut und lässt sich das unqualifizierte Gelaber von extremen Rändern, seien sie politisch oder gesellschaftlich motiviert, bloß weil die bisher lauter waren, nicht mehr gefallen. Oder?
Am heutigen "Tag der Gewalt gegen Frauen" wird Bundesfamilienministerin Lisa Paus zum Glück eine von 77.000 Frauen unterschriebene Petition übergeben, um die Ministerin dabei zu unterstützen, ein Gesetz zu schaffen, Betroffene besser vor Gewalt zu schützen. Die Zeit drängt, nicht nur wegen der vorgezogenen Neuwahlen.
Sprache ist gewaltig
Und warum nun Annalena Baerbock am Tag der Gewalt gegen Frauen? Weil auch Sprache eine Gewalt ist, weil soziale Medien Gewalt ausüben können, weil so viele Gedanken voller Gewalt sind; all das zusammengenommen ist Gewalt gegen die Psyche von Frauen, was beinhaltet: "Lehn' dich nicht zu weit aus dem Fenster, Mädchen, sonst kriegste eine geknallt". Was bedeutet: "Your body, my choice", was auch heißt, dass jeden Tag in Deutschland eine Frau getötet wird, einfach nur deswegen, weil sie eine Frau ist.
Es kann nicht besser werden, wenn ein Kanzlerkandidat zum Besten gibt, sein Kabinett im Falle eines Wahlsiegs auf keinen Fall zur Hälfte mit Frauen zu besetzen, denn er hält nun mal zu wenig von einer geschlechterparitätischen Besetzung. Das ist keine Nachricht aus den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, das sagte Unions-Kandidat Friedrich Merz bei RTL/ntv in der Sendung "Frühstart" vor einigen Wochen. Sein Fallbeispiel (siehe oben): Die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Merz sagte, sie sei eine "so krasse Fehlbesetzung" gewesen, das wolle man nicht wiederholen. Und er fügte jovial hinzu: "Wir tun damit auch den Frauen keinen Gefallen." Ein Mann, der es nicht gebracht hat (die Reihe der Beispiele würde den Rahmen des Textes sprengen) würde so niemals diskreditiert werden. Oder haben Sie gehört, dass "dieser Posten", dieses "Amt" nicht mit einem Mann besetzt werden soll, denn "damit würden wir den Männern auch keinen Gefallen tun"? Wohl kaum.
Deswegen ein Appell an alle Mädchen, junge Frauen, Schwestern, und ja, auch Frauen, die man nicht so mag: Macht weiter. Haltet den Kopf oben. Trefft eure Entscheidungen, und lasst euch nichts verhageln von Kleingeistern, seien sie nun männlich oder weiblich. Die Welt braucht euch!
Quelle: ntv.de