Panorama

Eine für alle Sweeney-Jeanny, "good genes" und ein Lob, das keine Frau braucht

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"Es gab viel konservatives Fingerzeigen, nach dem Motto: 'Das ist doch nur eine Jeans-Werbung'", so Emma McClendon, Modehistorikerin und Assistenzprofessorin für Modewissenschaften an der St. John's University gegenüber CNN.

"Es gab viel konservatives Fingerzeigen, nach dem Motto: 'Das ist doch nur eine Jeans-Werbung'", so Emma McClendon, Modehistorikerin und Assistenzprofessorin für Modewissenschaften an der St. John's University gegenüber CNN.

(Foto: IMAGO/UPI Photo)

Sommer, Sommerloch, Jeans-/Genes-Gate. Irgendwas is' ja immer. Diesen Sommer also eine Blondine mit viel Oberweite, die Werbung für Hosen macht, die der Präsident der Vereinigten Staaten "hot" findet. Das ist nicht schön, da sollte uns noch was fürs Sommerloch einfallen, aber erstmal arbeitet die Kolumnistin ihre Bildungsmängel auf, die sie sich in den Ferien zugezogen hat.

Sorry, ich komme aus den Sommerferien. Dort habe ich mir ein ziemlich striktes Nachrichtenverbot auferlegt und es auch ganz gut durchgehalten. Sicher, ich habe gelegentlich die Überschriften gelesen, und auch die mit dem blonden Mädel und der Jeans-Werbung habe ich am Rande mitbekommen, aber es hat mich nicht aus der Ruhe gebracht. Eine blonde, hübsche, junge Frau mit ordentlicher Oberweite macht Werbung für Jeans, "so what?", dachte ich.

Damals in den Neunzigern hatte man sich bei der ultradünnen Kate Moss auch aufgeregt. Zwar hatte diese wesentlich weniger Oberweite, aber sie war mindestens genau so ein Hingucker wie die nun in aller Munde und Gedanken befindliche Sydney Sweeney.

Kate Moss - der Gegenentwurf zu Sydney Sweeney?

Kate Moss - der Gegenentwurf zu Sydney Sweeney?

(Foto: IMAGO/WENN)

Kates Aufreger damals war, dass sie ja nix drunter trug, also unter ihren Calvin-Klein-Jeans. Keinen Schlüpfer, nicht mal einen Tanga. Obwohl sie für die Marke auch Unterwäschewerbung machte. "Nichts kommt zwischen mich und meine Calvins" hieß es damals und die Gedanken liefen heiß bei denen, die sich nicht an ihrer "Frivolität" abarbeiteten.

Viele Frauen sorgten bereits für Auffahrunfälle, wenn sie von großen Postern hinab warben oder auf leuchtenden Billboards prangten. Hingucker. So wie Sydney nun. Also, ich dachte, wie gesagt, eine weitere junge Frau, die eine Menge Kohle dafür bekommt, sexy auszusehen. Kann man machen. Sie ist ja außerdem auch Schauspielerin, die Frau Sweeney, und zwar eine sehr erfolgreiche.

Sorgt für Trubel ...

Sorgt für Trubel ...

(Foto: IMAGO/Levine-Roberts)

Nicht, dass ich das wirklich beurteilen könnte, aber meine Recherchen haben ergeben, dass sie bereits im Kindesalter sehr fokussiert auf ihren Beruf gewesen sein soll und seither, als 27-Jährige, in folgenden Produktionen zu sehen war: "Grey's Anatomy", in Quentin Tarantinos "Once Upon a Time in Hollywood", 2019 dann der Durchbruch mit "Euphoria". Sie ist sowohl in Hollywood-Großproduktionen wie Marvels "Madame Web" als auch in Independentproduktionen wie "Reality" zu bestaunen, und obendrein als Produzentin ("Wo die Lüge hinfällt") tätig. Nichts davon habe ich bisher gesehen, was überhaupt nicht wertend gemeint ist. Ich sehe einfach nicht so viele Serien und gehe leider zu selten ins Kino.

All about Jeans and Genes

"Gene (im Original gesprochen "genes" oder "Jeans") werden von den Eltern an die Nachkommen weitergegeben", sagt Sydney Sweeney in einem Werbespot. In einem anderen Ausschnitt, in dem die Kamera scharf auf ihr Dekolleté zoomt, behauptet sie: "Mein Körperbau wird durch meine Gene bestimmt." Manche Zuschauer brachten den Kommentar zur Genetik sofort mit ihren strahlend blauen Augen und ihrem blonden, langen Haar in Verbindung. Schließlich hatte Donald Trump erst im vergangenen Oktober "schlechte Gene" als Ursache für erfundene oder tatsächliche Verbrechen von Einwanderern bezeichnet. Viele hatten das Gefühl, der Werbespot spiele auf diese düstere, wenig verheimlichte Diskussion über Genetik in Amerika an.

Nun aber zum Aufregungsfaktor abseits des perfekten Äußeren Sweeneys. Die junge Frau soll Republikanerin sein, in der Werbung mit dem wohlkalkulierten Wortspiel jongliert sie aus dem Off mit den im Englischen gleichklingenden Wörtern "Jeans" und "Genes" und sagt: "Gene werden von den Eltern an ihre Nachkommen weitergegeben und bestimmen oft Merkmale wie Haarfarbe, Persönlichkeit und sogar Augenfarbe. Meine Jeans sind blau", was man nun also auf diese oder jene Weise auslegen kann: Die Werbung ist rassistisch, weil sie mit dem blonden, blauäugigen Narrativ einer Weiße-Klasse-Vormacht spielt. Und blau wie blaues Blut, also auch noch adelig?

Sie wissen bereits, wenn Sie sich keine Nachrichtensperre auferlegt haben, dass der Präsident, dessen Krawatte am häufigsten rot und dessen Gesicht am häufigsten orange ist, sich zustimmend zu Frau Sweeney und der Werbung des amerikanischen Jeans-Herstellers American Eagle geäußert hat. Für die, die es nicht wissen, er sagte: "Wenn Sydney Sweeney registrierte Republikanerin ist, finde ich die Werbung fantastisch." Die zuvor textilen Ladenhüter fanden daraufhin so reißenden Absatz, dass der Kurs des Herstellers durch die Decke ging.

Sweeney hat sich bisher nicht zu dem ganzen Rummel geäußert.

Sweeney hat sich bisher nicht zu dem ganzen Rummel geäußert.

Verzweifelte Zeiten, verzweifelte Maßnahmen?

American Eagle behauptet weiterhin, dass es ihnen nur und schon immer und für immer um "gute Jeans", die jedem stehen, also auch Nicht-Weißen, Nicht-Blauäugigen und Nicht-so-gut-Gebauten wie Sydney Sweeney, gehen würde. Man sich nichts dabei gedacht hätte, bei dem Wortspiel mit "Jeans" und "Genes". Der Präsident der Vereinigten Staaten nutzte, nimmermüde wie er ist, die Gunst der Stunde, um auf einer anderen jungen, sehr erfolgreichen Frau wiederholt rumzuhacken, weil sie keine Republikanerin ist - Taylor Swift. Dass dieser Mann nicht weiß, was sich gehört, dass er sich fortwährend entblödet, seine Meinung kundzutun wie ein Diktator oder ein böser König aus einem Märchen aus uralten Zeiten, das ist jedoch mindestens so skandalös wie das "Jeans/ Genes-Gate" an sich.

Ich muss gestehen, dass ich augenblicklich an eine andere Werbung denken musste, an die Uhren-Werbung der Schweizer Luxusmarke Patek Philippe. Auch dort wird damit gespielt, dass Dinge (in dem Fall "nur" Uhren, keine "genes" und auch keine Jeans) weitergegeben werden, von Generation zu Generation, und die Protagonisten sind, soweit mir bekannt, immer weiße, sehr gut und sehr reich aussehende Menschen mit irre niedlichen, weißen Kindern, die eines Tages mal die Uhr von Mutti oder Vati erben werden. Alles super ästhetisch, schön anzuschauen, edel, begehrenswert, keine Frage.

Eine Uhr, wie es in der Werbung heißt, die man nie für sich allein hat, von der man nur "der Bewahrer" oder "die Bewahrerin" ist, um sie an die nächste Generation weiterzureichen. Ich meine, die Dinger sind doch irre teuer, wer kann sich so eine Edel-Swatch schon leisten? Da fühlen sich viele doch bestimmt auch ausgeschlossen von dem elitären Between-Monaco-und-den-Hamptons-Vibe, der diese Werbung umgibt. (Habe noch keinen Aufschrei gehört bisher, aber gegoogelt, was die edlen Zeitmesser gebraucht kosten.) Der gravierende Unterschied: Der Macher der Werbung für den Edeluhren-Hersteller sahen es nicht als nötig an, dumme Wortspiele zu verwenden. Das macht den Unterschied, das hat dann eben Klasse.

Gibt's ein Learning?

Sidney Sweeney schweigt zu alledem. Verständlich. Ist sie nun eine rechte Socke, auch wenn sie keine Socken trägt? Ist es für eine junge Frau schön, von einem alten weißen Mann als das heißeste, was es gibt, bezeichnet zu werden? Wohl kaum. Ist man/frau zu woke, wenn man die Werbung ein bisschen billig findet, weil hier Wortspiele betrieben werden, die zu Zwei- oder Mehrdeutigkeiten führen, die ins Rassistische führen könnten? Ist man/frau zu wenig woke, wenn man nur rein schulterzuckend von der ganzen Aufregung Kenntnis nimmt?

Fest steht, diese Frau sieht gut aus. Fest steht auch, dass Menschen seit jeher auf dumme Werbung reinfallen und auch auf Präsidenten, die sich nicht amtskonform verhalten. Fest steht ebenfalls, dass es zu viele zu schlecht oder gar nicht erzogene Menschen gibt, und zwar fast überall auf der Welt, und dass es immer mehr werden.

Tolle Jeans stehen jedem

Echt jetzt? "Tolle Jeans stehen jedem?" Das ist Bullshit, aber American Eagle gab diese Erklärung ab, sie sollte wohl Ruhe in die Sache bringen (nachdem man bereits ein paar Milliönchen mit dem Denim gemacht hatte).

Eine junge Frau im Blaumann - mehr müsste es eigentlich nicht sein. Oder?

Eine junge Frau im Blaumann - mehr müsste es eigentlich nicht sein. Oder?

Am Ende ist es nur eine Jeans. Und eine Jeansmarke. Habe ich vorher schonmal von American Eagle gehört? Nein. Brauch' ich die? Nein. Sehen Normalos in Jeans aus wie Sydney Sweeney oder Kate Moss? Nein, verdammt. Weder die Oberweite einer Sydney Sweeney noch der (auch von einigen zu Recht verurteilte) Heroin Chic von Kate Moss macht uns, die Jeans-Käufer, besser, schöner oder beliebter, wenn wir diese Produkte tragen. Wichtig ist, WIE ich ein Produkt, also in dem Fall Jeans, trage: mit Würde. Style. Selbstbewusstsein. Lässig. Und nebenbei. Denn nichts hängt ja wohl intimer mit unserer Identität zusammen als die Art und Weise, wie wir uns kleiden.

Sollte man überhaupt so viel über Jeans sprechen? Wohl kaum, denn wir haben echt Wichtigeres auf der Agenda. Sagt auch Alyssa Vingan gegenübr CNN, Modejournalistin und ehemalige Herausgeberin von "Nylon & Fashionista": "Das hier ist einfach die Folge schlechten und, wenn ich das sagen darf, faulen Schreibens. Ich finde es weder lustig noch clever", sondern "offensichtlich billigen Humor, wenn jemand wie Sydney Sweeney, blond, mit großen Brüsten und schmaler Taille, behauptet, sie habe gute Gene, weil sie attraktiv ist. Ich glaube nicht, dass es viel tiefer ging. Leider liest es sich aufgrund des Klimas, in dem wir leben, und der Dinge, die in Amerika insgesamt vor sich gehen, sehr, sehr, sehr schlecht und unsensibel."

Es geht nun wirklich nicht nur um gute Gene oder Jeans, es geht auch um gute Sprache. Ich fordere daher: intelligente Werbung, intelligente Protagonisten, meinetwegen dürfen die auch gut oder heiß aussehen. Vor allem aber fordere ich: intelligente Staatsoberhäupter. Die müssen auch nicht gut aussehen.

Quelle: ntv.de

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