Panorama

Anschlag von MagdeburgTaleb A. steht vor einem Mammutprozess

10.11.2025, 06:22 Uhr
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Für den Angeklagten A. gibt es im Gerichtssaal einen schusssicheren Glaskasten. (Foto: picture alliance/dpa)

Mehr als zehn Monate nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg mit sechs Toten und einer Vielzahl von Verletzten beginnt in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt der Prozess gegen den Täter. Es werden Hunderte Nebenkläger, Anwälte, Zuschauer und Journalisten erwartet.

Mehr als zehn Monate nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg mit sechs Toten und einer Vielzahl von Verletzten beginnt in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt der Prozess gegen den Täter. Es werden Hunderte Nebenkläger, Anwälte, Zuschauer und Journalisten erwartet. Das Landgericht Magdeburg setzte vorerst 46 Verhandlungstage bis März kommenden Jahres fest.

Was geschah bei dem Anschlag?

Kurz vor Weihnachten, am 20. Dezember vergangenen Jahres, raste der 50-jährige Taleb A. mit einem 340 PS starken Mietwagen mit bis zu 48 Kilometern pro Stunde über den stark besuchten Weihnachtsmarkt in Magdeburg und erfasste während der etwa einminütigen Fahrt zahlreiche Menschen. Ein neunjähriger Junge und fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren starben. Mehr als 300 weitere Weihnachtsmarktbesucher wurden verletzt.

Wie lautet die Anklage?

Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg wirft A. unter anderem sechsfachen Mord und versuchten Mord in 338 Fällen vor - 309 Menschen wurden den Ermittlungen zufolge verletzt, 29 Betroffene blieben körperlich unversehrt. Auch bei ihnen geht die Anklage jedoch von versuchtem Mord aus.

Die Anklage spricht von einem heimtückischen Anschlag aus niedrigen Beweggründen, den A. mit einem Fahrzeug als gemeingefährlichem Mittel beging. Er stand demnach bei der Amokfahrt nicht unter dem Einfluss berauschender Mittel. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen plante er die Tat mehrere Wochen detailliert und bereitete sie vor. Er handelte demnach allein.

Was ist über den Beschuldigten bekannt?

A. ist Arzt und stammt aus Saudi-Arabien. Dort wurde er am 5. November 1974 geboren. Seit 2006 lebt der Mediziner in Deutschland, wo er seine Facharztausbildung erhielt. Zuletzt wohnte A. im sachsen-anhaltischen Bernburg und betreute seit März 2020 als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie für das Gesundheitsunternehmen Salus im Maßregelvollzug Bernburg suchtkranke Straftäter. In einem internen Bericht spricht die Holding von "fachärztlichen Defiziten und Unzuverlässigkeiten eines verschlossenen Einzelgängers".

A. selbst versteht sich als Islamkritiker, äußerte in der Vergangenheit aber auch Verachtung gegenüber deutschen Behörden und dem deutschen Staat und sympathisierte mit der AfD. In sozialen Netzwerken fiel er durch radikale verschwörungstheoretische und teils auch wirre Äußerungen auf.

War er schon im Vorfeld auffällig?

Nach der Tat stellte sich heraus, dass A. mehreren Sicherheitsbehörden und weiteren Dienststellen bekannt war. Es gab demnach Hinweise auf vom Verdächtigen ausgehende Gefahren. Die Behörden konnten ihn aber keiner der üblichen Gefährderkategorien wie Islamist, Rechts- oder Linksextremist zuordnen.

A. selbst stellte Strafanzeigen, auch gegen ihn wurden Strafverfahren geführt. So hatte der Mediziner wiederholt in Mecklenburg-Vorpommern Ärger mit den Behörden. Er wurde unter anderem wegen der Androhung von Straftaten vom Amtsgericht Rostock zu einer Geldstrafe verurteilt. Auch in anderen Fällen soll es zu Drohungen gekommen sein. In Sachsen-Anhalt gab es nach Polizeiangaben bei dem Beschuldigten zwei Gefährderansprachen, im September 2023 und im Oktober 2024. Weitere ähnliche Versuche erfolgten demnach im Dezember.

Was sind die vermutlichen Hintergründe der Tat?

Die Generalstaatsanwaltschaft geht von "Unzufriedenheit und Frustration" als Tatmotiv aus. Der Beschuldigte habe das Verbrechen offenbar als Reaktion "auf den Verlauf und den Ausgang einer zivilrechtlichen Streitigkeit sowie die Erfolglosigkeit diverser Strafanzeigen" begangen. Sein Ziel sei es gewesen, eine möglichst große Zahl von Menschen zu töten.

Wie gelangte A. auf den Weihnachtsmarkt?

Der Attentäter konnte offenkundig ohne Hindernis das Weihnachtsmarktgelände mit seinem Auto erreichen. Die deutschlandweit üblichen Poller als Schutz vor Amokfahrten mit einem Lastwagen oder Auto fehlten an der von ihm gewählten Zufahrt. Die Stadt Magdeburg begründete dies nach dem Anschlag damit, dass der Weg als Rettungsgasse für Krankenwagen und Feuerwehren bei Notfällen vorgesehen war. Mit den mutmaßlichen Mängeln am Sicherheitskonzept befasst sich derzeit unter anderem ein Untersuchungsausschuss im Landtag.

Was Betroffene vom Weihnachtsmarkt-Prozess erwarten

Wo wird verhandelt?

Verhandelt wird am Landgericht Magdeburg. Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe lehnte die Übernahme des Verfahrens ab, weil er - anders als das Landgericht - den Tatkomplex nicht als Staatsschutzverfahren einstufte. In diesem Fall wäre ansonsten das Oberlandesgericht Naumburg zuständig gewesen.

Wegen der großen Zahl von Verfahrensbeteiligten, darunter bislang mehr als 140 Nebenkläger und mehr als 40 Anwälte, wurde für den Prozess eigens eine Leichtbauhalle angemietet. In Sachsen-Anhalt gibt es kein Gerichtsgebäude mit der notwendigen Kapazität. Die Generalstaatsanwaltschaft führte unter anderem 410 Zeugen, fünf Sachverständige, Dutzende Fotos, Videos und ähnliches Material in ihrer Anklage auf.

Quelle: ntv.de, Andrea Hentschel, AFP

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