
"Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke", lauten die orwellschen Parolen.
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"Es ist schon etwas Schönes, die Vernichtung von Wörtern", schrieb der dystopische Denker George Orwell. Rund 80 Jahre später schrumpft in den USA das Vokabular der Bundesbehörden um mehr als 200 Wörter. Mit seinem Antilexikon stellt US-Präsident Donald Trump Ideologie über Sachlichkeit - und triumphiert.
Mit rund 100.000 Genen auf 21 Chromosomen ist das Weizengenom etwa fünfmal so groß wie das des Menschen. Der mehrfache Chromosomensatz verschafft der Pflanze einen evolutionären Vorteil: Sie ist enorm anpassungsfähig. So gibt es mittlerweile mehr als 560.000 verschiedene Sorten. Gerade diese Vielfalt wird dem Weizen und seinen Forschern in den USA nun zum Verhängnis. Denn Vielfalt gibt es gar nicht mehr.
Das Wort hat es neben Klimakrise und Mensch mit Uterus in das Antiwörterbuch des US-Präsidenten geschafft. Anfang März veröffentlichte die New York Times eine Liste von 200 Begriffen, die Donald Trump aus dem Vokabular der Bundesbehörden streichen will. Dort reihen sich Privilegien an Opfer, Rassismus an Frauen. Das Wort Mann bleibt erlaubt - sofern dieser keinen Sex mit anderen Männern hat.
Laut New York Times tauchten die Hinweise zu den Begriffen in Regierungsvermerken, Memos und Richtlinien von Behörden auf. Einige ordneten die Entfernung dieser Wörter von öffentlichen Websites und Schullehrplänen an. An anderer Stelle wurde kein direktes Verbot ausgesprochen, mindestens aber zur "Vorsicht bei der Verwendung" geraten.
Sprache ist Macht
"Es ist schon etwas Schönes, die Vernichtung von Wörtern", schrieb George Orwell vor rund 80 Jahren. In "1984" befreit das Wahrheitsministerium die herkömmliche Sprache von unnötigen Worten oder Nebenbedeutungen - bis "die Begriffe fehlen, die das Denken formen". Was nicht den Vorstellungen "des großen Bruders" entspricht, wird vernichtet. Und auch Trump formt sich eine ganz eigene Gegenwart. Das Ziel: die Regierung vom "Wokismus" befreien und die "radikale Gender-Ideologie" ausmerzen. Im breiten Kulturkampf bedient sich Trump des Werkzeugs seiner linken Gegner: der Sprache. Einer Sprache, die mehr Bewusstsein und Inklusion schaffen sollte, und nun rückabgewickelt wird - bis ihre marginalisierten Hauptdarsteller verschwinden. Denn wie soll etwas ohne Wort existieren?
In der Nähe des Weißen Hauses rissen Presslufthammer Mitte März den Schriftzug "Black Lives Matter" aus dem Erdboden. Archive und offizielle Dokumente wurden von Hinweisen zum Holocaust und dem 11. September befreit und das Oval Office von AP-Reportern, die nicht anerkennen wollen, dass der Golf von Mexiko nun Golf von Amerika heißt. Von der Website der U.S. Centers for Disease Control and Prevention (CDC) verschwanden zahlreiche Informationen zum öffentlichen Gesundheitswesen: Empfehlungen zur Empfängnisverhütung, eine Datenbank mit HIV-Daten aus den letzten 20 Jahren, sowie dazugehörige Informationsblätter. Mittlerweile führen Suchanfragen nach bestimmten Begriffen ins Leere - zu toten Links, unvollständigen Seiten oder themenfremden Vorschlägen. Wer nach dem Begriff "Abtreibung" sucht, bekommt mitunter den Hinweis, "Adoption in Betracht zu ziehen".
Darüber hinaus lähmt Trumps sprachlicher Kahlschlag auch fachfremde Disziplinen - mit teils irrsinnigen Folgen. Das Verteidigungsministerium löschte ein Archivfoto von dem Flugzeug, aus dem 1945 die erste Atombombe auf Hiroshima fiel. Das Flugzeug trug den ungünstigen Namen Enola Gay, benannt nach der Mutter des Piloten. Auch die Fotografien der ersten weiblichen Marines und Pilotinnen des Air Service sollen verschwinden, ebenso wie eine Aufnahme, die Biologen eines Heereskorps zeigt - in der Legende der Hinweis, dass Gewicht, Größe und Geschlecht der Fische protokolliert wurden.
Hitler, Stalin, Mao Zedong
Was Trump tut, ist nicht neu. Politische Sprachlenkung findet sich in verschiedenen Formen in fast allen politischen Kontexten. Vor allem autoritäre Regime nutzen dieses Instrument, um die Realität umzuschreiben und kritisches Denken zu verhindern. Zwar wurden in der Zeit des Nationalsozialismus keine Wörter verboten, dafür neue hinzugefügt oder umgedeutet. Aus Parlament wurde Führerstaat, Demokratie galt als undeutsch, Juden und Slawen wurden zu Untermenschen. Stalins Sowjetunion drängte religiöse Begriffe wie Gott und Himmel aus dem öffentlichen Sprachgebrauch, etablierte den Volksfeind und Mao Zedong verlieh der Sprachpolitik eine nahezu fanatische Dimension: Das "Mao-Zitatbuch" wurde zur Bibel seiner Anhänger.
Möchte man Trump Glauben schenken, will er die Sprache nicht zerstören, sondern "den Wörtern ihre vernünftige, wissenschaftlich fundierte Bedeutung zurückzugeben". In Orwellscher Doppeldenkmanier erklärt er Maßnahmen gegen Diskriminierung ihrerseits zu "illegaler Diskriminierung" und nutzt die von ihm verbotenen Wörter weiterhin selbst - alles unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit. Die Kunst des widersprüchlichen Denkens taufte Orwell Doppeldenk: eine Fähigkeit der Mächtigen, "bewusst Lügen zu erzählen, während man ehrlich an sie glaubt".
Das Gesetz der Logik setzte auch Vize-Präsident J.D. Vance Anfang Februar außer Kraft, als er die Europäer auf der Münchner Sicherheitskonferenz für die Missachtung der Meinungsfreiheit geißelte. "Freiheit bedeutet die Freiheit, zu sagen, dass Zwei und Zwei Vier macht", schrieb Orwell. Je nachdem, wer gerade spricht, macht es vielleicht auch Fünf.
Quelle: ntv.de