Todesmeldung auf Twitter Ukrainer entdeckt tote Familie auf "New York Times"-Foto
10.03.2022, 09:27 Uhr
Frau und Kinder von Serhiy Perebyins liegen tot auf einer Zufahrtsstraße nach Kiew.
(Foto: picture alliance / abaca)
Vor wenigen Tagen versucht eine dreiköpfige Familie zu fliehen. Sie schafft es an den Stadtrand von Kiew, ehe sie durch russischen Granatenbeschuss getötet wird. Eine "New York Times"-Journalistin hält den furchtbaren Angriff mit ihrer Kamera fest. Durch ihr Bild erfährt der Vater vom Tod seiner Familie.
Vor wenigen Tagen geht ein Bild um die Welt: Die "New York Times" verbreitet ein verstörendes Foto, das ihre Fotoreporterin Lynsey Addario in Irpin schießt, einem Vorort von Kiew. Es zeigt eine Mutter, ihren 18-jährigen Sohn, ihre neunjährige Tochter sowie einen Bekannten der Familie. Sie liegen tot auf einer Zufahrtsstraße der ukrainischen Hauptstadt. Wenige Sekunden zuvor hatten sie versucht, über einen etwa 100 Meter langen Abschnitt in Sicherheit zu flüchten, dann schlug eine Mörsergranate ein - festgehalten in Bild und Video.
Die "New York Times" veröffentlicht das Bild der toten Familie auf ihrer Titelseite. Sie will damit sichtbar machen, dass Russland in der Ukraine "willkürlich Menschen abschlachtet". Auch der Programmierer Serhiy Perebyins sieht das Bild - auf Twitter: Es handelt sich bei den Toten um seine Frau Tetiana und die gemeinsamen Kinder Mykyta und Alisa, die tot auf der Straßen liegen; daneben ein 26-jähriger Bekannter, der ihnen bei der Flucht helfen wollte.
Wohnung in Polen schon angemietet
Perebyins habe zum Zeitpunkt des russischen Einmarsches in der Ostukraine festgesteckt, um sich um seine Mutter zu kümmern, wie er der "New York Times" in einem Interview erzählt. Der Arbeitgeber seiner Frau, ein Unternehmen für Buchhaltungssoftware aus den USA, hatte sie und andere Angestellte demnach bereits gebeten, die Ukraine unverzüglich zu verlassen und Wohnungen in Polen als vorübergehende Unterkunft angemietet. Aber seine Frau habe die Abreise verschoben, weil sie erst die Flucht ihrer an Alzheimer erkrankten Mutter klären wollte, sagt er. Als aber eines Nachts eine russische Granate in das Wohnhaus eingeschlagen sei, hätten sie Unterschlupf im Keller gesucht.
Zwei Tage nach dem Einschlag hat die Familie demnach ihren ersten Fluchtversuch unternommen. Als sie ihr Gepäck ins Auto geladen hätten, sei allerdings ein russischer Panzer die Straße heruntergerollt, erzählt Vater Perebyins der "New York Times". Deshalb hätten sie entschieden, zu warten.
Am Sonntagmorgen schließlich, um 7.00 Uhr, fuhr die dreiköpfige Familie los. Seine Frau wollte ihre Eltern abholen und dann zur Kirche fahren, wo eine Hilfsgruppe die Flucht von Irpin nach Kiew organisierte, berichtet Perebyins. Gemeinsam mit einem Kirchenvertreter fuhren sie demnach an den Stadtrand von Kiew bis zu einer Brücke, die bereits zerstört war. Wie alle anderen auch mussten sie das Auto abstellen und zu Fuß den Fluss Irpin überqueren.

... Deshalb müssen flüchtende Ukrainer einen Behelfsweg im kalten Wasser nutzen.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Um nach Kiew hineinzukommen, musste die Gruppe auf der anderen Seite des Flusses noch ein Stück Straße überqueren, wo es keine Deckung gibt. Als sie gerade losrannten, feuerten russische Truppen Mörsergranaten ab.
Ortung im Krankenhaus
Perebyins hat die Flucht seiner Familie nach eigenen Angaben auf dem Smartphone über eine Ortungs-App verfolgt. Aber die Funkverbindung in Kiew ist schlecht, ihr Aufenthaltsort habe sich auf der Karte deshalb so gut wie nicht bewegt, erzählt er in der "New York Times". Erst am nächsten Morgen gab es eine Veränderung. Um 10.00 Uhr befand sich seine Familie plötzlich in einem Kiewer Krankenhaus. Der 43-Jährige versuchte, seine Frau und Kinder anzurufen, aber niemand nahm ab. Eine halbe Stunde später sah er auf Twitter einen Bericht über eine Familie, die bei der Flucht aus Irpin getötet wurde. Und das Bild von Lynsey Addario.
Jetzt will er, dass die ganze Welt erfährt, was in der Ukraine passiert. "Es ist wichtig, dass ihr Tod in Bild und Video aufgenommen wurde", sagt er in der "New York Times".
Quelle: ntv.de, chr