Panorama

Der Privatsekretär und die "Homo-Lobby" Warum Benedikt XVI. wirklich zurücktrat

Der zurückgetretene Papst Benedikt XVI. Ende Februar in Rom.

Der zurückgetretene Papst Benedikt XVI. Ende Februar in Rom.

(Foto: REUTERS)

Weil er gesundheitlich angeschlagen war, versetzte sich Papst Benedikt in den Ruhestand, heißt es im Vatikan. Das ist höchstens die halbe Wahrheit. Wichtiger war ein pikantes Dokument, das er wenige Tage vor seinem Rücktritt zum ersten Mal sah - und seine panische Angst vor Homosexuellen.

Die "Süddeutsche Zeitung" kündigte am 28. Februar eine große Enthüllung an: Ein Jahr nach dem Rücktritt Papst Benedikts werde nun die wahre Ursache für diesen Schritt ans Tageslicht gelangen. Was dann enthüllt wurde, war aber nur das, was der Heilige Stuhl bereits vor einem Jahr bekannt gegeben hatte: Es seien gesundheitliche Gründe gewesen und der Papst habe seit langem diesen Rücktritt geplant. Als wichtigste Quelle wird ein Interview mit Monsignore Georg Gänswein, dem Privatsekretär Benedikts, angeführt.

Gänswein hat allerdings ein sehr persönliches Interesse daran, dass sich diese Rücktrittsgeschichte verfestigt. Die große Enthüllung erschien auch noch genau an dem Tag, an dem Kardinal Meisner vom Papst in Pension geschickt wurde. Gänswein gilt als aussichtsreichster Kandidat für dessen Nachfolge. Für diesen Aufstieg könnte eine Sache hinderlich sein, die mit dem Rücktritt Benedikts in engem Zusammenhang steht.

So einfach, wie es die SZ darstellt, lässt sich der Papst-Rücktritt nicht erklären. Auf jeden Fall hatte die Entscheidung mehrere Ursachen und die Gesundheit Benedikts war nicht ausschlaggebend - auch wenn das nun wieder kolportiert wird. Auch war sie nicht schon lange geplant.

Unbestritten ist, dass der Vatikan noch wenige Wochen vor dem Rücktritt bekanntgab, der Papst arbeite an einer neuen Enzyklika. Das wäre natürlich völlig sinnlos, wenn ein baldiger Rücktritt bevorgestanden hätte. Zwischen dieser Ankündigung und dem Rücktritt lag aber, so weit man das aufgrund der Medienberichte und Verlautbarungen des Heiligen Stuhls rekonstruieren kann, ein wichtiges Ereignis.

Wenige Tage vor seinem Rücktritt hatte Benedikt XVI. zum ersten Mal ein Dokument aus dem Komplex Vatileaks auf seinem Schreibtisch. Ein Teil davon handelte auch von den "Cordata omosessuale in Vaticano" - den schwulen Netzwerken im Vatikan. Das Delikate dabei: Sie reichten anscheinend bis in das engste Umfeld Benedikts.

Schon bevor Joseph Ratzinger zu Papst Benedikt XVI. wurde, arbeitete er lange Jahre für die Kurie. Darum wird er gewusst haben, dass sexuelle Kontakte dort weit verbreitet sind. Nun wurde ihm diese Tatsache durch das Wort "homosexuell" ins Bewusstsein gespült. Während mann-männlicher Sex im katholischen Klerus stark verbreitet ist, darf er nicht mit dem Wort "schwul" in Zusammenhang gebracht, geschweige denn öffentlich als solcher zugegeben und so benannt werden. Die neurotische, jedes gesunde Maß übersteigende Angst Benedikts vor schwulen Männern, die ihn seit Jahren umgetrieben hatte, bekam nun ein konkretes Objekt und war vermutlich der entscheidende Auslöser für seinen panikartigen Rücktritt.

David Berger

David Berger

(Foto: picture alliance / dpa)

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein weiteres Dokument, das zunächst im Vatikan, dann im deutschen Klerus kursierte und schließlich bestimmten Presseleuten - darunter auch Journalisten der SZ - zugespielt wurde, selbst mit in die Vatileaks-Dokumente einging. Es trägt den Titel "La Cordata omosessuale in Vaticano. Prälat G.G. und homosexuelle Seilschaften hinter dem Rücken von Papst Benedikt XVI.". Das mit "Prälat G.G." Georg Gänswein gemeint ist, wird im Dokument, das auch mir selbst vorliegt, sehr deutlich. Verfasst ist es von einem ehemaligen Mitarbeiter des Päpstlichen Staatsekretariats unter dem Decknamen Michele degli Archangeli. Aufgrund "bekannt gewordener homosexueller Verfehlungen" wurde "Archangeli" aus dem diplomatischen Dienst des Vatikans entlassen und lebt nun in Süddeutschland. Was er im Vatikan erlebte, schrieb er in dem pikanten Dokument nieder und streute es breit unter den Verantwortlichen - sicher nicht ganz ohne Rachegelüste.

Auch wenn die darin enthaltenen Behauptungen zu Gänswein wohl haltlos sind, so hat das Papier im höheren Klerus doch die Runde gemacht. So etwas genügt in der katholischen Kirche mit ihrer extremen Dämonisierung homosexueller Handlungen und der Angst vor einer nach der Macht greifenden "Homo-Lobby" schon, um der Karriere hinderlich zu sein oder diese ganz zu beenden.

Sollte es Gänswein wirklich auf den Bischofsstuhl in Köln schaffen, wird er weitere anonyme Attacken fürchten müssen.

David Berger war Professor für katholische Theologie und Mitglied der päpstlichen Akademie. 2010 outete er sich als schwul und veröffentliche das Enthüllungsbuch "Der heilige Schein". Darin wirft er der katholischen Kirche vor, die homosexuelle Veranlagung von Priestern als Druckmittel gegen diese zu gebrauchen. Mittlerweile ist er Chefredakteur des Magazins "Männer".

Quelle: ntv.de

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