Kampf gegen Vorurteile Warum Menschen in Schubladen denken
20.08.2023, 15:15 Uhr Artikel anhören
Nicht nur die Schubladen der Kommode sollten regelmäßig ausgemistet werden.
(Foto: IMAGO/ingimage)
Wer kennt nicht die Klischees, dass Frauen zu blöd zum Einparken sind, Männer nur Macht und Sex wollen, Hartz-IV-Empfänger faul und SUV-Fahrer egoistisch sind. Diese Liste der Vorurteile lässt sich beliebig lang fortsetzen. Warum wir Vorteile haben und was wir dagegen tun können.
Will man verstehen, wieso wir Menschen so gern in Schubladen denken, muss man eine kleine Zeitreise in die Steinzeit machen. Denn wenn unseren Vorfahren damals ein Säbelzahntiger über den Weg lief, überprüften sie im Regelfall nicht zuerst, ob sie es mit einem menschenfreundlichen Exemplar der Gattung zu tun hatten. Nein, sie ergriffen beim Anblick der 20 Zentimeter langen gebogenen Eckzähne hoffentlich sofort die Flucht und rannten so schnell sie konnten um ihr Leben. Diejenigen, die auf die Nettigkeit der Raubkatze vertrauten, überlebten diese Begegnung hingegen meistens nicht. In der Steinzeit waren unsere Vorurteile damit überlebensnotwendig.

Annahita Esmailzadeh ist seit 2021 Führungskraft bei Microsoft und mehrfach ausgezeichnete Bestsellerautorin.
(Foto: Annahita Esmailzadeh)
Heutzutage ist unser Überleben glücklicherweise nicht mehr an die erfolgreiche Flucht vor Säbelzahntigern geknüpft. Dennoch arbeitet unser Gehirn auch heute noch mit Schubladen, um Situationen oder auch Menschen, die gefährlich werden könnten, schnell einzuordnen und blitzschnelle Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen.
Die große Gefahr von Vorurteilen liegt darin, dass sie Diskriminierung von Menschen zur Folge haben können. Untersuchungen von Lehrpersonal zeigen etwa, dass Kinder mit den Vornamen Chantal oder Kevin, unabhängig von ihrer tatsächlich erbrachten Leistung, eher mit Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung gebracht und damit auch ungerechtfertigt schlechter benotet werden als Kinder die Sophia oder Maximilian heißen. Ebenso erhalten Menschen mit ausländischen Namen weitaus seltener eine Einladung zu einer Wohnungsbesichtigung als Menschen mit einem klassischen deutschen Namen.
Rollenerwartungen an Frauen und Männer
Auch rund um Familienplanung und Erziehung ranken sich viele Klischees: So wird Frauen im gebärfähigen Alter vielerorts durchgehend ein Kinderwunsch unterstellt, auch wenn sie gar keine Kinder bekommen wollen oder können. Entsprechen Frauen dieser Erwartung und bekommen Kinder, können sie es der Gesellschaft wiederum auch nicht recht machen: Halten sie trotz Kind weiterhin an ihrer Karriere fest, werden sie als Rabenmütter abgestempelt, wohingegen ihnen fehlende berufliche Ambitionen unterstellt werden, wenn sie für die Familie im Job kürzertreten oder ihre Arbeitszeit reduzieren.
Für Frauen ist es damit faktisch unmöglich, bei der Familienfrage nicht in irgendeiner wenig schmeichelhaften Schublade zu landen. Von Müttern wird erwartet, dass sie arbeiten gehen - und zwar so, als hätten sie gar keine Kinder. Im gleichen Zuge will man aber auch, dass sie sich hingebungsvoll um ihre Kinder kümmern - und zwar so, als hätten sie gar keinen Job.
Im Gegenzug entsprechen Männer nicht der gesellschaftlichen Rollenerwartung und werden mit Skepsis und Widerständen konfrontiert, falls sie eine längere Elternzeit nehmen oder gar längerfristig aufgrund der Erziehung ihrer Kinder beruflich zurücktreten möchten.
Vorurteile akzeptieren und hinterfragen
Vorurteile machen auch vor der Arbeitswelt keinen Halt: Unsere Vorurteile sowie unsere unbewusste Voreingenommenheit - der sogenannte Unconscious Bias - entscheiden maßgeblich darüber, wie wir unser berufliches Umfeld wahrnehmen, welche Kollegen wir sympathisch finden oder auch wer uns von Anfang an suspekt ist. Unconscious Bias spielt eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung, wer zu einem Bewerbungsgespräch gar nicht erst eingeladen wird, wem mehr Redezeit im Meeting zugestanden wird oder wer befördert wird.
Nun haben wir zwar alle Vorurteile, doch wir sind ihnen nicht wehrlos ausgesetzt. Will man Vorurteile aktiv bekämpfen, ist eines unerlässlich: Wir müssen akzeptieren, dass wir sie überhaupt haben. Nur wenn wir uns dessen bewusst sind, sind wir in der Lage, unsere eigenen Schubladen stetig offen zu halten, zu hinterfragen und regelmäßig auszumisten.
Der Artikel erschien zuerst bei rtl.de
Quelle: ntv.de